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VERANTWORTUNG

Kinder als Dolmetscher (Teil 1): „Bereits mit 13 Jahren war ich mir der großen Verantwortung bewusst“

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(FOTO: iStockphoto, Privat)

VERANTWORTUNG DER JÜNGSTEN. Es kommt sehr oft vor, dass Migrantenkinder in Österreich für ihre Eltern in unterschiedlichen staatlichen Behörden und Institutionen dolmetschen oder übersetzen müssen, weil ihre Eltern der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig sind. KOSMO forschte nach, wie anstrengend die Rolle eines Dolmetschers für ein Kind sein kann und was passiert, wenn Kleine große Verantwortungen übernehmen müssen.

Selma ist 40 Jahre alt und wohnt schon 27 Jahre im deutschsprachigen Raum. Als sie nur 13 war, verließ sie ihre Gebutsstadt Sarajevo zusammen mit ihrer Familie. Da sie in einer internationalen Umgebung lebte und bildete, spricht sie mehrere Fremdsprachen. Während ihrer Teenagerjahre war sie eine große Hilfe für ihre Familie, wenn es um die Verständigung auf Deutsch ging.

Ich spreche natürlich fließend Deutsch und Serbokroatisch. Englisch und Französisch in Schrift. Als wir Sarajevo verlassen haben, konnte ich sehr wenig Deutsch, aber dadurch, dass Sprachen für mich nie ein Problem waren, habe ich die deutsche Sprache ziemlich schnell gelernt. Heute, nach 27 Jahren, kann ich sagen,  dass ich die deutsche Sprache besser als die serbokroatische beherrsche„, beginnt Selma ihre Geschichte, die heute mit ihrem Mann, der Deutscher ist, und ihrer 11-jährigen Tochter ausschließlich auf Deutsch spricht.

Mit meinen Eltern spreche ich eine Mischung aus Deutsch und Serbokroatisch, da einige Begriffe/Wörter in der serbokroatischen Sprache bei mir nicht präsent sind.“ Als sie nach Ausland zog, musste sie für ihre Familie und Bekannte bei Amts- und Behördenwegen sehr oft aus dem Deutschen ins Serbokroatische übersetzen bzw. dolmetschen.

Mit 13 Jahren war ich der Dolmetscher von Beruf. (lacht) Da ich damals auch selbst erst Deutsch gelernt habe, haben mich solche Situationen zu mehr Einsatz und Leistung inspiriert. In kurzer Zeit habe ich auch komplexe Ausdrücke und Übersetzungen gemeistert„, erklärt uns Selma und fügt hinzu, dass ihre Dolmetscherfahrung sehr reich und vielfältig war – vom Dolmetschen bei verschiedenen Institutionen, über Übersetzen von Dokumenten bis zum Ausfüllen vom Formularen. „Das Ganze war sehr interessant für mich, weil ich dadurch auch das sogenannte Amtsdeutsch lernen durfte„, betont unsere Gesprächspartnerin mit offensichtlicher Zufriedenheit.

„Es ist nicht einfach, wenn man so mittellose Menschen sieht und erfährt, wie viel Elend, Armut und Kummer es gibt. Man darf nicht vergessen, mit 13 ist man nicht abgehärtet und aufgeklärt, wie mit 20 Jahren.“

Ihre Dolmetschfähigkeiten blieben aber nicht nur im Rahmen der Familie, denn, dank ihrer Hilfsbereitschaft, wurde sie auch von mehreren Bekannten kontaktiert und um Hilfe gebeten. „Meistens haben mich die Lehrer angesprochen, die sich in gemeinnützigen Organisationen engagiert haben. Die Familien, die meine Hilfe benötigten, wurden mir vorgestellt. Ich bin mit den Lehrern zu den Familien gefahren und habe dort die Belangen der Menschen besprochen bzw. übersetzt. Bei mir zuhause habe ich früh gelernt, mich um die Finanzangelegenheiten zu kümmern, da mein Vater der seit 47 Jahren in Deutschland arbeitet und lebt nie Zeit bzw. Interesse dafür übrig hatte.

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„Ich war mir meiner Verantworung als Übersetzerin immer bewusst“, unterstrich Selma. (FOTO: Privat)

Uns interessierte, wie sich ein Teenager in der Rolle eines Dolmetschers fühlt, wenn so viel von seiner Dolmetschung abhängt und welche Situationen besonders schwierig waren.Es ist nicht einfach, wenn man so mittellose Menschen sieht und erfährt, wie viel Elend, Armut und Kummer es gibt. Man darf nicht vergessen, mit 13 Jahren ist man nicht abgehärtet und aufgeklärt, wie mit 20 Jahren. Es belastet einen schon enorm – man sieht alles mit ganz anderen Augen. Bis zu diesem Zeitpunkt (vor dem Bürgerkrieg) in Sarajevo führten wir ein sorgloses Leben und auch im Ausland bei meinem Vater fehlte uns an nichts. Ja, und dann die Konfrontation mit Menschen, die alles verloren haben…..„, verrät uns Selma die schwierigsten Seiten der Dolmetscherrolle. Allerdings gab es auch jene, die schön waren. „Wie ich bereits erwähnt habe, gab es viel Elend. Aber die Tatsache und das gute Gefühl jemandem geholfen zu haben, gab einem so viel Erfüllung und Zufriedenheit, dass man es nicht in Worte fassen kann. Wenn Menschen, denen ich etwas übersetzte bzw. Anträge ausgefüllt habe, mich auf der Straße trafen, waren sie immer sehr herzlich und dankbar.

Das Übernehmen der Verantwortung für eigene Eltern, wirkte sich auf die Eltern-Kind-Beziehung aus. „Manches Mal war es schwierig, wenn ich für meine Eltern etwas erledigen sollte. Meine Mutter war es gewohnt, in Sarajevo alles in Bezug auf die Behörde etc. zu entscheiden und zu bestimmen. Dann, auf einmal war sie auf ihre kleine Tochter angewiesen… Da kamen natürlich auch Diskussionen auf. Es ist auch eine Mentalitätsfrage„, resümiert Selma.

Ein gewisses Maß an Distanz ist für den Dolmetscher, der das beruflich macht, vom Vorteil.

Wenn es um die sprachliche Fähigkeiten ginge, wurde sie mit keinen größeren Problemen bzw. Herausforderungen konfrontiert. „Ich habe meistens alles notiert und zuhause nachgeschaut. Ich wollte immer alles korrekt und vernünftig erledigen. Das liegt im meiner Natur. Es kam nie zu einem von mir, im Zuge des Dolmetschens, verursachten Fehler, der irgendwelche negativen Konsequenzen nach sich gezogen hat„. Auf die Frage, ob ein professioneller Dolmetscher, ihrer Meinung nach, besser als sie dolmetschen würde, antwortete sie: „Besser ist eine Definitionsfrage. Was ist besser rein funktionell zu übersetzen oder mit Leib und Seele zu übersetzen? Bei mir war kein Kommerz im Fokus, sondern allein das Bewusstsein meiner Verantwortung. Ein Dolmetscher handelt im Auftrag gegen Bezahlung und kann sich besser abgrenzen bzw. abschalten. Ein gewisses Maß an Distanz ist sicherlich für den Dolmetscher, der das beruflich macht vom Vorteil.