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EXPERTENMEINUNG

Kinder als Dolmetscher (Teil 4): „Der beste Arzt hilft nichts, wenn bei der Dolmetschung Fehler passieren“

Expertenmeinung
„Familienmitglieder, vor allem Kinder, sind einerseits mit dem Dolmetschen überfordert, andererseits auch emotional involviert und können diese doppelte Herausforderung selten bewältigen“, unterstrich Univ.-Prof. Mag. Dr. Kadrić-Scheiber.

„Der Staat muss erkennen, dass zu Bemühungen um die Qualität von Gesundheitsleistungen oder Gerichtsverfahren auch die professionelle Dolmetschung gehört. Wie so oft hat das Sparen am falschen Platz schwerwiegende negative Folgen.“

In der USA, Australien, Kanada und Schweden gibt es schon längst DolmetscherInnen in Krankenhäusern, die entweder fix angestellt sind oder auf Honorarbasis arbeiten. Warum gibt es solches System nicht in Österreich?

Das sind die klassischen Einwanderungsstaaten. Sie haben schon früh erkannt und in ihr Aufnahmekonzept eingebaut, dass neu zugewanderte Menschen Unterstützung benötigen, die sich auf verschiedene Bereiche erstreckt, darunter auch barrierefreie Kommunikation. Österreich geht vom Gastarbeiterkonzept aus und hat erst in den letzten Jahren erkannt, dass hier Handlungsbedarf besteht. Es wurde etwa die Videodolmetschung für den Gesundheitsbereich getestet; will man eine gute Qualität in der Dolmetschung haben, muss man aber grundsätzlich umdenken und Ressourcen zur Verfügung stellen. Der Staat muss erkennen, dass zu Bemühungen um die Qualität von Gesundheitsleistungen oder Gerichtsverfahren auch die professionelle Dolmetschung gehört. Wie so oft hat das Sparen am falschen Platz schwerwiegende negative Folgen.

„Professionelle Dolmetschung gehört zu einem guten Gesundheitssystem genauso wie gut ausgebildete Ärzte und modernste Technik.“

Man kann zwar einen Dolmetscher bestellen, aber einerseits sind sich die Menschen der Wichtigkeit der DolmetscherInnen nicht bewusst, und andererseits spielt hier auch der finanzielle Aspekt eine Rolle. Warum sind dann die DolmetscherInnen in Krankenhäusern und anderen Institutionen nicht ein vom Staat festgelegtes MUSS, wie es z. B. bei der Polizei oder vor dem Gericht der Fall ist?

Für den Polizei- oder Justizbereich haben wir konkrete rechtliche Vorgaben durch die Menschenrechtskonvention und durch Verfassungsrecht und EU-Recht. Im Gesundheitsbereich haben wir diese Vorgaben bisher nicht, das heißt, wir brauchen hier Bewusstseinsarbeit. Die Dolmetschung ist für die Patienten wichtig – aber auch für die Ärzte. Immer mehr Ärzte erkennen die Bedeutung der Dolmetschung und sind mit dem Status Quo unzufrieden. Sie bemerken, dass durch unprofessionelle Dolmetschungen Fehlerquellen entstehen und sie ihren Beruf nicht gut ausüben können. Es muss also von Seiten der Dolmetscherinnen genau so Bewusstseinsarbeit geleistet werden wie von Ärzten und Gesundheitsmanagern und man muss die Politik in die Pflicht nehmen. Professionelle Dolmetschung gehört zu einem guten Gesundheitssystem genauso wie gut ausgebildete Ärzte und modernste Technik.

„Wenn durch einen Fehler beim Dolmetschen eine Krebsdiagnose zu spät gestellt wird, dann ist das in jedem Einzelfall ein Unglück, das wir uns nicht mehr leisten sollten.“

In wessen Händen liegt es, das Kommunaldolmetschen in diesem Bereich als Disziplin und als Notwendigkeit zu positionieren?
Ich denke, dass das in erster Linie auch die Aufgabe der Krankenhausleiter, Krankenkassenverantwortlichen und Gesundheitspolitiker ist. Aber natürlich müssen die Experten, vor allem die Dolmetschwissenschaftler der Universitäten, die nötigen Informationen und Aufklärung liefern. Oft sind sich alle Beteiligten nicht bewusst, wie negativ sich eine nicht qualifizierte Dolmetschung auswirken kann. Wenn ein Angehöriger oder eine Reinigungskraft schnell als Dolmetscherin einspringt, dann ist das oft von allen Beteiligten gut gemeint, aber es ist kein Standard, der einem wohlhabenden Staat entspricht. Wenn durch einen Fehler beim Dolmetschen eine Krebsdiagnose zu spät gestellt wird, dann ist das in jedem Einzelfall ein Unglück, das wir uns nicht mehr leisten sollten.