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INTERVIEW

Lukas Mandl: „Die Republik Kosovo ist ein Baby der USA und der Europäischen Union“

Seit wenigen Tagen hat der Kosovo mit Vjosa Osmani eine neue Präsidentin. Ihre Rhetorik könnte man als sehr Serbien-kritisch beschreiben. Auf der anderen Seite gilt sie als explizite Gegnerin des Nachfolgeregimes ehemaliger UÇK-Mitglieder. Was erhoffen Sie, bzw. die EU sich vom neuen Staatsoberhaupt?
Osmani als Präsidentin ist ein Zeichen der Stabilität, welches der Kosovo in die Welt sendet. Dieses Versprechen, der Allianz Kurti-Osmani wurde eingehalten. Für mich persönlich wäre es ein Fehler gewesen, die Allianz vor der Wahl zu schmieden, wenn es nach der Wahl keine Mehrheit im Parlament gibt. Die jetzige Allianz spiegelt aus meiner Sicht den Wählerwillen bestmöglich wider. Ich habe Vjosa Osmani als Parlamentsabgeordnete kennengelernt und war von ihren Reden schon vor Jahren beeindruckt. Ich glaube, dass sie eine nächste Generation repräsentieren kann und gleichzeitig ausreichend politische Erfahrung aufweist. Ich nehme wahr, dass sie Geschichtsaufarbeitung sehr wichtig nimmt. Das ist die Sprache einer Vertreterin einer Generation, die selbst nicht in Kriegshandlungen involviert war – außer auf der Opferseite, weil sie zu jung ist, um irgendwie anderweitig beteiligt sein zu können. Als jemandem, dem Geschichtsbewusstsein wichtig ist, ist das eine Sprache, welcher ich aufmerksam zuhöre. Es wird wichtig sein, dass die Aufarbeitung in einem wissenschaftlichen und mitmenschlichen Ton geschieht, ohne Aggression. Ich weiß, dass dies viel abverlangt, vor allem von Opfern. Wichtig ist, dass alles mit Würde und Pietät geschieht.

In der populistischen serbischen Rhetorik wird die Anerkennung des Kosovo immer als großer Verlust für Serbien bezeichnet. Wie kann man der serbischen Politik erklären, dass es kein Verlust, sondern wie Sie sagen, ein Gewinn für beiden Seiten ist?
Sachlich ist es de facto ein Gewinn. Ein ständiges Spannungsverhältnis mit einem Nachbar kann nur verlustreich sein. Dennoch kreiert eine Befeuerung von manchen Seiten ein völlig verkehrtes Meinungsbild innerhalb der Bevölkerung. Ich will es mit einem Vergleich sagen. Und dieser soll Serbien wirklich zu Ehre gereichen. Serbien ist so etwas wie das Deutschland des Westbalkan. Warum? Serbien ist das größte und wirtschaftlich vergleichsweise stärkste Land. Damit geht jedoch eine gewisse Verantwortung einher. Deutschland hat Verantwortung für ganz Europa. Als Österreicher sage ich so etwas nicht ohne Augenzwinkern oder Schmunzeln. Durch die Größe und wirtschaftliche Stärke ist es allerdings sachlich der Fall. Das ist die schöne und positive Rolle, in welcher sich Serbien sehen kann. Jedoch auf Augenhöhe mit allen anderen. Es ist einfach so, dass ein Albaner nicht weniger wert ist als ein Serbe und ein Serbe nicht weniger wert ist als ein Albaner. Jeder Mensch ist gleich viel wert. Auch wenn man glauben mag, dass es sich hierbei um elementares Wissen handelt, so beruhen alle ethnischen Konflikte darauf, dass es eben nicht in allen Köpfen klar ist. Auf dieser Basis kann Serbien eine wertvolle Rolle für die wirtschaftliche Entwicklung und damit für die Zukunft des Weltbalkans spielen.

„Ein Teil der EU zu sein, die Menschenwürde, Freiheitsrechte und Demokratie respektiert sowie Rechtstaatlichkeit fordert, bedeutet auch gleichzeitigt, die Republik Kosovo anzuerkennen.“

– Lukas Mandl

Das Südtirol-Modell wird in „Kosovo and the EU“ als Beispiel für eine Lösung angegeben. Könnten Sie uns dies etwas genauer erläutern?
Das Beispiel kommt von einem Mitautor. Österreich hat in der Verfassung noch immer die Schutzmachtfunktion für Südtirol inne. Schon dieser Begriff bringt zum Ausdruck, dass es mal ein heißer und blutiger Konflikt war. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es immer noch Terroranschläge im Kontext dieses Konflikts. Glücklicherweise ist es heute irrelevant. Wir sind alle in der Europäischen Union. Die Südtiroler haben jene Autonomie, die sie wollen. Sie gehören staatlich zu Italien und bestehen aus italienischsprachigen und deutschsprachigen Italienern. Das ist ein Zukunftsszenario. Ich vermittle auch ethnisch serbischen und ethnisch albanischen Kosovaren, dass es nicht so lange zurückliegt, dass Deutschland und Frankreich erbitterte Feinde waren – bis in die Bevölkerung hinein. Heute sind die beiden Länder so eng, dass man als Österreicher im Europäischen Parlament versuchen muss, auch mal mitzuwirken. Auch das sage ich selbstverständlich mit einem Schmunzeln. Das ist jedoch die Zeit, in welcher wir leben dürfen. Und wenn heute jemand glaubt, dass es nie möglich sein wird, dass sich Kosovaren und Serbien verstehen, dann sage ich: „Nein, es ist möglich!“. In der Geschichte gibt es zahlreiche Beispiele dafür, dass es auch anders gehen kann.

Bedeutet das im Umkehrschluss, dass sie Serben bzw. den Minderheiten am Kosovo eine gewisse Autonomie zusprechen würden, wie dies bei Südtirol der Fall ist?
Nein und danke der Nachfrage. Der Kosovo ist ein Staat, eine Republik, anerkannt von weit über 100 Staaten der Welt. Niemals würde ich den Kosovo mit Südtirol vergleichen. Es geht um das Spannungsverhältnis, welches sich innerhalb Europas aufgelöst hat. Niemals den Status als Völkerrechtssubjekt.

Warum würden Sie die EU als einzige Zukunftsperspektive der angesprochenen Region beschreiben?
Salopp könnte man aufgrund der geographischen Lage sagen. Gleichzeitig aufgrund des Wunsches der Bevölkerung, europäisch und ein Mitglied der Union zu sein. Die Europäische Union erzielt im öffentlichen Meinungsbild am Westbalkan oft viel höhere Werte als in ihren Mitgliedsstaaten. Das ist auch eine Verpflichtung und Verantwortung. Die EU kann im Sinne der Interessen ihrer BürgerInnen und ihrer Werte mehr Stärke nach Außen entwickeln, wenn sie sich um das gesamte europäische Territorium kümmert. Ziel sollte es sein, dass alle EuropäerInnen auch UnionsbürgerInnen sind. Warum? Weil wir nicht alleine auf der Welt sind und unsere Werte und Lebensmodell nicht unwidersprochen ist. Wir müssen Stärke für die Haltung der Kooperation aufbauen, da andere eher eine Haltung der Konfrontation leben. Das alles sind Gründe, die ganz weit von Pristina und Belgrad genauso wichtig und gültig sind. Sie haben auch in Helsinki, Warschau und eben Brüssel große Relevanz. Sie betreffen uns alle und machen es sinnvoll, sich für diese Entwicklung Europas einzusetzen.

(FOTO: Büro Lukas Mandl/M. Lahousse)

Wäre hierfür nicht auch ein Paradigmen- bzw. Perspektivenwechsel innerhalb Europas vonnöten? Der Balkan wird oftmals ja als „schwarzes Schaf Europas“ oder „Pulverfass“ bezeichnet.
Das ist ein ständiger Prozess. Dies gilt auch für Anerkenner-Staaten des Kosovo. Hier gibt es oft fehlende bzw. Falschinformation. Das größte Potential sehe ich jedoch im Westbalkan selbst, vor allem im Bereich der Rechtstaatlichkeit. Für mich persönlich ist es wichtig, allen Westbalkanstaaten eine positive Zukunftsperspektive aufzuzeigen. Ich würde die Region als eine Art des Silicon Valleys in Europa sehen. Es gibt kaum tradierte Industrie und die Landwirtschaft kann alles nicht alleine tragen. Gleichzeitig gibt es viele junge Menschen, die leidenschaftlich im IT-Bereich aktiv sind. Die Raiffeisenkasse International hat die gesamte IT in den Kosovo ausgelagert. Und es gibt auch viele kleinere Unternehmen, wie das Grazer „bit media“, die das große Potential für der Kosovaren erkannt haben und nützen. Dies gilt für den gesamten Weltbalkan und so eine Art Silicon Valley ist, neben all der Probleme, die wir ständig wälzen und hoffentlich lösen, ein positives Zukunftsszenario.