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EXKLUSIVE BEICHTE

„Meine Tochter in den Fängen radikaler Islamisten“

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(Symbolbild FOTO: iStockphoto)

Nada: „Die Freundinnen begannen sie auszuschließen und zu hänseln, dass sie nicht cool sei. Das hat sie schwer getroffen.“

Sie übertrat die rote Linie
Immer, wenn sie mit ihrem Freund zum Gebet ging, durchsuchte ich die Literatur, die meine Tochter las, und ihre Dinge. Ich kann den Schock mit Worten nicht beschreiben, den ich erlitt, als ich einmal eine Broschüre mit Anleitungen zur Planung und Ausführung terroristischer Anschläge fand. Ohne nachzudenken, rief ich die zuständigen Behörden an und erzählte ihnen alles. Sie warteten in der Wohnung auf sie und nahmen sie sofort zum Verhör mit. Wenn ich mich heute an ihren entsetzten Ausdruck erinnere, tut es mir in der Seele weh. Kurz war es, als wäre sie für einen Moment wieder meine Tochter, die in ihrer Furcht Hilfe sucht. Damals machten mir einige Familienmitglieder Vorwürfe, weil ich mein eigenes Kind bei der Polizei angezeigt hatte. Sie begriffen nicht, dass ich sie damit vor sich selber schützen wollte und andere Menschen vor ihr. Es kam zum Prozess, Sara war verängstigt und behauptete, die betreffende Broschüre nur aus Neugier gelesen zu haben, aber ohne die Absicht, irgendwelche Anregungen daraus zu übernehmen. Sie kam nicht ins Gefängnis, weil sie noch minderjährig war, aber sie war bis ins Mark erschüttert. In der Zwischenzeit war in Österreich ein Gesetz in Kraft getreten, das das Tragen der Burka in der Öffentlichkeit verbot, daher trug sie wieder nur ein Kopftuch. Ihr Freund, der zu uns in die Wohnung kam, betrachtete uns als Erzfeinde, traute sich aber nicht, irgendetwas laut zu sagen.

Die Lösung
Nach allem, was wir in diesen Jahren durchgemacht hatten, in denen wir darum kämpften, Sara zu uns zurückzuholen, wurde unsere Familie müde und emotional ausgezehrt. Mein Mann und ich gingen zur Arbeit und versuchten, das Drama, in dem wir lebten, vor den Menschen zu verbergen. Wir blieben nur mit den engsten Freunden im Kontakt, denn viele hatten sich von uns abgewandt, weil sie die Wahl unserer Tochter für eine Schande hielten. Unser Leben reduzierte sich auf die Angst um Sara, und so ging es nicht mehr weiter. Zum Glück lebte unser Sohn von uns getrennt und blieb so weitgehend verschont. Die Entscheidung, alles zu beenden, fällten wir schweren Herzens, denn sie bedeutete, unser Kind nach Bosnien zu bringen, sie aus dem verheerenden Teufelskreis herauszuholen, in dem sie sich befand.

Wir waren sogar bereit, auch selber dorthin zurückzukehren, auch wenn uns dieser Gedanke sehr schwer fiel. Am Anfang überredete ich Sara, dass wir beide für zwei Wochen zu meiner Mutter fahren sollten, die in einem kleinen bosnischen Dorf lebt. Ich packte viele Bücher ein, vor allem leichte Literatur, Sportkleidung für meine Tochter, und wir fuhren los. Dort im Gebirge gibt es kein Internet und keine guten Telefonverbindungen, und ich hoffte, dass die Unmöglichkeit von Kontakten mit dem Freund und diesem ganzen Umfeld das Ihre tun würde. Die zwei Wochen wurden verlängert, ich reiste zwischendurch kurz nach Graz, und Saras Pass war noch immer an einem sicheren Ort verwahrt. Sie beschwerte sich, forderte, nach Hause zurückzukehren, aber in Bosnien konnte sie sich nicht durchsetzen. Sie konnte nicht zum Jugendamt und zum Gericht gehen, weil ich ihr die Bewegungs- und Meinungsfreiheit genommen hatte. Volle vier Monate lebte meine Prinzessin in diesem ländlichen Milieu, und als es ihr lästig wurde, sich zu wehren, begann sie, mit den Nachbarn ihrer Großmutter zu kommunizieren und die Bücher zu lesen, die ihr zur Verfügung standen. Darunter waren natürlich keine religiösen Werke und schon gar keine islamischen.

Einmal kaufte ich ihr ein schönes buntes Kopftuch. Sie war gerührt, schaute mich verwundert an, und dann erklärte ich ihr, dass ich nichts dagegen hätte, dass sie Muslimin geworden sei, dass ich sie noch immer genauso liebte wie damals, als sie noch ein Kreuz um den Hals trug. Ich erinnerte sie an alles, das ich sie gelehrt hatte, als sie noch klein war, vor allem, gegenüber allen anderen Einstellungen offen zu sein. Weil die Christen für sie unter diesen Umständen zu den Andersdenkenden gehörten, ihre Eltern und der Bruder aber diesem Glauben angehörten, bat ich sie, uns wieder in ihr Leben aufzunehmen. Das versprach sie mir.

Nach Österreich brachte ich wieder eine fröhliche und lustige Sara zurück. Sie trug noch immer ein Kopftuch und lange Röcke, aber sie begann, sich wieder ein wenig zu schminken und normal mit den Menschen zu kommunizieren. Wir gingen shoppen und sie wählte moderne Garderobe, die sie nur zu Hause trug. Von ihrem Freund trennte sie sich und freitags ging sie auch nicht mehr zum Gebet.

„Ich bat Menschen von der Islamischen Gemeinschaft, ihr zu erklären, dass das, was sie angenommen hatte, nicht der wahre Islam ist.“

Eines Abends im letzten Jahr schlug mein Mädchen mir vor, dass wir beide alleine zum Abendessen in ein Restaurant gehen sollten. Natürlich nahm ich das gerne an, und als wir zur Haustür gingen, erinnerte ich sie daran, dass sie ihr Kopftuch vergessen hatte. Sie schaute mich ernst an, schweig kurz und erklärte dann, dass sie das nicht mehr tragen würde. Seit damals hat sich vieles verändert. Sara geht seit dem Herbst wieder in die Schule, kleidet sich wie ihre Altersgenossinnen, hat Freundinnen und Freunde und geht ab und zu mit ihnen aus. Am Anfang fürchtete sie sich, was auch nicht unbegründet war, denn wir erhielten telefonische Drohungen und sahen manchmal komische Typen vor unserem Haus stehen. Aber auch das hörte wieder auf. Über viele Dinge, die passiert sind, haben wir noch nicht gesprochen, aber ich weiß, dass es auch dazu irgendwann kommen wird. Jetzt ist mir nur wichtig, dass unsere Familie wieder zusammen ist.

Es war nicht leicht für mich, Teile meiner schweren Geschichte zu erzählen, aber ich fand, dass ich anderen Eltern gegenüber eine Verantwortung habe. Unsere Kinder werden beim Eintritt in die Pubertät verwundbar und sind damit perfekte Ziele für verschiedene Verführungen. Darum bereue ich es heute, dass ich Sara in der Zeit, als sie so litt, weil sie in der Schule ausgeschlossen wurde, nicht mehr Aufmerksamkeit gewidmet habe. Wenn ich damals anders reagiert hätte, wäre sie vielleicht nicht in diesen Kreis türkischer Mädchen hineingeraten, die offensichtlich instruiert waren, Opfer zu finden – und eines davon war meine Tochter.

Vera Marjnaovic
Meine Berufung zur Journalistin entdeckte ich bereits als Sechzehnjährige während meiner Gymnasialzeit in Montenegro. Diesem Berufszweig bin ich seither treu geblieben. Nach meiner Ankunft in Wien widmete ich mich der Arbeit mit Mitgliedern der BKS-Gemeinschaft, wodurch ich tiefgreifende Einblicke in die Lebensgeschichten und sowohl die Triumphe als auch die Herausforderungen verschiedener Generationen gewann. Diese vielfältige Palette an Persönlichkeiten prägte meinen journalistischen Weg und festigte mein Engagement für soziale Themen.