Hinter der Fassade des Schulalltags lauert ein zerstörerisches Phänomen mit weitreichenden Folgen. Systematische Schikane kann tiefe Wunden hinterlassen.
Nach dem verheerenden Amoklauf in Graz am 10. Juni 2025, bei dem elf Menschen ihr Leben verloren, rückt ein mögliches Motiv in den Fokus: Mobbing. Ein 21-jähriger ehemaliger Schüler eröffnete mit zwei Waffen das Feuer in Klassenräumen, bevor er sich selbst tötete. Unter den vermuteten Beweggründen für diese Gewalttat wird Mobbing als ein möglicher Auslöser genannt. Doch was genau verbirgt sich hinter diesem Begriff, und welche Handlungsmöglichkeiten haben Betroffene?
⇢ 10 Euro für die Schießausbildung: So bereitete sich der Täter vor
Der Mobbing-Leitfaden des Österreichischen Bildungsministeriums aus dem Jahr 2018 definiert Mobbing als „eine spezielle Form von Gewalt und ein überaus schadhaftes, anti-soziales Verhalten“. Vier Kernmerkmale charakterisieren dieses Phänomen: Erstens die Schädigungsabsicht – ein oder mehrere Schüler zeigen aggressives Verhalten gegenüber einem Mitschüler oder einer Gruppe mit dem Ziel, Schaden zuzufügen. Zweitens der Wiederholungsaspekt – die schädigenden Handlungen erfolgen systematisch über einen längeren Zeitraum. Drittens ein Machtungleichgewicht – zwischen Täter und Opfer besteht ein Kräfteungleichgewicht, sei es körperlich oder psychisch, zum Nachteil des Opfers. Viertens die Hilflosigkeit – betroffene Schülerinnen und Schüler fühlen sich der Situation ausgeliefert.
Wichtig zu verstehen ist, dass nicht jede aggressive Handlung automatisch Mobbing darstellt. Das als „Bullying“ im angloeuropäischen Raum bekannte Phänomen ist keineswegs neu, tritt in verschiedenen Formen auf und kennt keine Altersgrenzen.
Erscheinungsformen
Mobbing manifestiert sich in unterschiedlichen Ausprägungen: Beim physischen Mobbing steht die körperliche Verletzung im Vordergrund – durch Schläge, Tritte oder Schubsen. Verbales Mobbing umfasst Beschimpfungen, Drohungen und herabwürdigende Kommentare. Beim relationalen oder sozialen Mobbing geht es um die Zerstörung sozialer Beziehungen, etwa durch gezieltes Ausgrenzen oder Verbreiten von Gerüchten.
Cybermobbing findet über digitale Medien statt und zeichnet sich durch besondere Merkmale aus: die ständige Präsenz der Angriffe, die potenziell große Reichweite, die mögliche Anonymität der Täter, vermeintliche Straffreiheit und wenige Kontrollmechanismen. Geschlechtsbezogenes oder sexistisches Mobbing beinhaltet Belästigungen und abwertende Äußerungen mit Geschlechterbezug, die traditionelle Rollenmuster verfestigen und dem Unterrichtsprinzip der Gleichstellung entgegenstehen.
⇢ Von Columbine bis Erfurt: Die zehn folgenschwersten Amokläufe an Schulen
Die Ursachen für Mobbing sind vielschichtig und als Gruppenphänomen zu verstehen. Laut dem Leitfaden können Machtstreben, Statusgewinn in der Gruppe, empfundene Provokation durch das Opfer, Langeweile oder Rache für eigene Mobbingerfahrungen als Motive dienen. Im schulischen Umfeld kann Mobbing auch aus diskriminierenden ideologischen Haltungen entstehen – sei es aufgrund sexueller Orientierung, Religion, Sprache, Aussehen oder Herkunft.
Typischerweise wählen Mobber sozial unsichere Personen ohne starkes Freundesnetzwerk als Zielscheibe. Charakteristisch für Mobbing ist die systematische und anhaltende Schikane. Der Haupttäter sucht häufig Unterstützung bei Mitschülern, die aus Angst vor eigener Ausgrenzung mitmachen. Die Angriffe reichen von Verbreitung falscher Gerüchte über Beschädigung persönlicher Gegenstände bis hin zu Erpressung, körperlicher Gewalt und sozialer Isolation.
Gravierende Folgen
Die Folgen von Mobbing können gravierend sein und jahrelang nachwirken, abhängig von der psychischen Konstitution des Opfers. Zu den möglichen Auswirkungen zählen verschiedene Ängste wie Schulangst oder soziale Phobien, psychosomatische Beschwerden wie Kopf- und Bauchschmerzen, Leistungsabfall, Depressionen, Substanzmissbrauch und im schlimmsten Fall Suizidgedanken oder vollendeter Suizid.
Auch für die Täter kann Mobbing negative Konsequenzen haben, darunter dissoziales Verhalten, spätere Straffälligkeit oder ebenfalls Suchtprobleme. Darüber hinaus leidet die gesamte Klassengemeinschaft: Ein negatives Schulklima kann die Leistungen aller Schüler beeinträchtigen, während wichtige soziale Kompetenzen wie Verantwortungsbewusstsein, Zivilcourage und Empathie verkümmern oder gar nicht erst entwickelt werden.
Anzeichen für Mobbing können vielfältig sein. Während manche Kinder offen kommunizieren, wenn sie sich in der Schule unwohl fühlen, ziehen sich andere noch stärker zurück. Warnsignale können ängstliches Verhalten, Widerstand gegen den Schulbesuch, körperliche Beschwerden, Appetitlosigkeit, Schlafstörungen und sinkende schulische Leistungen sein. Auch beschädigte persönliche Gegenstände oder ein plötzlich erhöhter Geldbedarf können auf Erpressung hindeuten.
Im Umgang mit betroffenen Kindern ist zunächst wichtig, ihnen zu vermitteln, dass sie ernst genommen werden und keine Schuld tragen. Der zweite Schritt besteht darin, das Schweigen zu brechen und Unterstützung zu suchen – bei Lehrern, Schulpsychologen, der Schulleitung, Eltern oder in schwerwiegenden Fällen bei der Polizei.
Entscheidend ist das Verständnis, dass Mobbing nicht nur ein individuelles Problem darstellt, sondern die Verantwortung der gesamten Schulgemeinschaft erfordert.
Folge uns auf Social Media!