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REPORTAGE

„Nie mehr wird mich jemand misshandeln!“

Der Krieg begann
Als der Krieg ausbrach, zeigte sich, was für ein Feigling er war, denn er fürchtete sich sehr. Meine Mutter und er wollten, dass wir nach Deutschland gingen, aber ich wollte nicht. Da habe ich zum ersten Mal wirklich Widerstand geleistet, der mir zusätzliche Schläge einbrachte, aber ich gab nicht nach. Aus Bosnien gingen wir nach Kroatien und lebten bei meinen Verwandten. Damals erfuhr ich die bittere Wahrheit, dass ich keine gesetzlichen Rechte auf meine Kinder hatte, womit er mich zusätzlich quälte. Denn wir hatten nie geheiratet, aber er hatte mir einmal ein Dokument zum Unterschreiben gegeben, das sie mich nicht durchlesen ließen. Mit dieser Unterschrift hatte ich die Obsorge für die Kinder meinem Mann übertragen und meine Mutter war daran beteiligt.

Damals habe ich begonnen, sie, ihn und mein ganzes unglückliches Leben zu hassen. Ich bedauerte nur meine Mädchen, denen ich versuchte, alle Liebe zu geben. Aber eine glückliche Kindheit konnten sie mit ihrem gewalttätigen Vater trotzdem nicht haben. Eines Nachts fasste ich nach schweren Schlägen den Entschluss zu fliehen. Meine Töchter waren vier und fünf Jahre alt und ich 20. Ich sprang über den Balkon und marschierte die ganze Nacht auf einer leeren, finsteren Straße, bis ich zum Militär kam. Ich meldete mich, um als Krankenschwester in den Krieg zu gehen, und mein einziger Gedanke war, dass ich dort das Glück haben könnte, sofort zu sterben. Ich konnte das Leben nicht mehr ertragen, das andere für mich geplant hatten und das mich so unglücklich machte. Ich hatte nicht die Kraft, mich absichtlich umzubringen, aber ich wollte sterben. Nach kurzer Zeit kehrte ich zurück, um meine Kinder zu sehen. Er ging auf mich los wie ein Tier, schlug mich mit voller Kraft, sodass mir ein Zahn abbrach, meine Lippe aufplatzte und mir das Blut herunterlief. In diesem Moment platzte etwas in mir, die Welt drehte sich um mich, mein langjähriger Schmerz schnürte mir den Hals zu und die Furcht war weg. Ohne zu denken nahm ich die Pistole aus dem Gürtel und hielt ihm die Mündung an die Schläfe. Ich sagte ihm ganz ruhig, dass ich ihn umbringen würde, wenn er nur noch einmal versuchen sollte, mich zu schlagen. Er versuchte, mir die Pistole wegzunehmen, aber er wusste nicht, dass ich in der kurzen Zeit beim Militär gelernt hatte, mich zu verteidigen. Ich faltete ihn zusammen wie einen Fetzen und das war das Ende seiner Gewalt.

Der Gewalttäter begriff, dass sich die Rollen verkehrt hatten und dass das Ende meines Leidens gekommen war. Er sagte kein Wort, und ich begriff, als ich ihn so verängstigt sah, dass alle, die Frauen misshandeln, in Wirklichkeit große Feiglinge sind. Vier Jahre lang war ich als Krankenschwester an der ersten Frontlinie. Alle Verwundeten kamen zuerst in meine Hände; ich half ihnen, so gut ich konnte, bevor sie weiter ins Lazarett gebracht wurden. Ich hatte keine Angst, denn ich glaubte, dass mir nichts Schlimmeres passieren könnte als das, was ich in meinem Leben schon durchgemacht hatte. Und den Tod fürchtete ich nicht, denn ich fühlte mich schon lange tot. Ab und zu fuhr ich zu meinen Kindern und er ging mir aus dem Weg. Kurz nach meiner Abreise hatte er geheiratet und seine Frau empfing mich. Sie sagte mir, ich hätte kein Recht, die Kinder zu sehen, denn ich hätte diese Papiere unterschrieben, aber ich hörte nicht auf sie. Meine Mutter besuchte sie regelmäßig, wenn sie aus Deutschland kam, aber ich hatte schon jeden Kontakt zu ihr abgebrochen.

FOTO: Radule Bozinovic

Endlich frei
Nach dem Krieg blieb ich in Kroatien, etwa zwei Fahrtstunden entfernt von dem Ort, wo meine Töchter und ihr Vater lebten. Sie wussten immer, dass sie eine Mama hatten, sie wussten, wie sehr ich sie liebte und dass ich für sie und wegen ihnen alles tun würde. Es reichte, dass mich eine von ihnen anrief, und ich bin sofort zu ihnen gefahren. Ich besuchte sie in der Schule und kümmerte mich um sie auf eine Weise, in der meine Mutter das nie getan hatte. Sie verstanden das alles, obwohl sie nicht viel über den Horror sprachen, in dem wir vor dem Krieg gelebt hatten. Ich hatte den Eindruck, dass sie alles möglichst schnell vergessen wollten. Meine Töchter sind jetzt glücklich verheiratet und sind dabei ihren eigenen Wünschen und Gefühlen gefolgt. Beide sind bereits Mutter und sind sehr gescheite junge Frauen. Die erste Begegnung mit ihrem Vater fand nach langen Jahren bei der Taufe der Enkeltochter statt. Ich betrachtete ihn mit Abscheu, ihn, der mich gemeinsam mit meiner Mutter emotional und mental verstümmelt hatte. Er war ein alter Mann geworden.

Ein Teil von mir hasst ihn noch immer unendlich, der andere empfindet Mitleid. Ich frage mich manchmal, wie es ihm mit sich selbst geht, ob ihm zumindest bisweilen ein Gedanke an die Untaten kommt, die er mir angetan hat. Meine Mutter hat versucht, meinen Töchtern zu näherzukommen, aber sie haben das kategorisch abgelehnt. Sie wussten, was sie aus meinem Leben gemacht hat, obwohl sie ihnen immer erzählt hat, dass ich mehr Gutes bekommen habe, als ich verdient hatte. Zweimal habe ich sie besucht, denn ich dachte, es sei meine Pflicht, ihr zu helfen, da sie alt und alleine ist. Beim zweiten Besuch versuchte ich ihr zu erklären, wie unglücklich mich ihre Entscheidungen gemacht hatten, aber sie beschuldigte mich, ich sei undankbar und hätte nicht darauf bestehen dürfen, eine Ausbildung zu machen. Ich fragte sie, ob sie sich vorstellen könne, wie viele Schläge ich bekommen habe, aber ihre Antwort war vernichtend: ’Wahrscheinlich hattest du das alles verdient, denn ein Mann schlägt seine Frau nicht aus Spaß.’ Sie hasst mich, davon bin ich überzeugt. Ich erinnere mich nicht, dass sie mich jemals in den Arm genommen hat, dass sie mich getröstet hat und mir irgendetwas Zärtliches gesagt hat.

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Man kann nicht sagen, dass sie das nicht konnte, denn ich weiß noch gut, wie sie zu meinem Bruder war. Aber dennoch ist ihr geliebter Sohn ans andere Ende Deutschlands geflüchtet, nur um möglichst weit von ihr weg zu sein. Noch heute will Mama mich nicht in ihrer Nähe, aber ich rufe sie aus Pflichtgefühl gelegentlich an. Immerhin hat sie mir das Leben geschenkt, auch wenn sie es später zerstört hat. Wenn sie meine Stimme hört, sagt sie: ’Oh, du bist es! Mach dir keine Sorgen um mich!’, und legt auf. Ich liebe sie nicht, aber ich würde mich um sie kümmern… vielleicht nur deswegen, damit sie sieht, dass sie mich nicht gebrochen hat. Heute bin ich ruhig und bemühe mich, die schlimmen Erinnerungen zu vergessen oder zumindest zu verdrängen. Ich arbeite viel, und so oft ich kann, besuche ich meine Kinder. Ich habe endlich aufgehört, die Schuld für mein Unglück bei mir selbst zu suchen. Am meisten bedaure ich, dass ich nicht gleich am Anfang, als sie mich in diese Hölle gedrängt hatten, den Mut hatte, wegzulaufen. Aber ich war noch ein Kind. Wenn sich heute ein Mann in mein Leben verirren würde, müsste ich ihn darauf hinweisen, dass er in meiner Gegenwart keine jähen Bewegungen machen darf, die so aussehen könnten, als wollte er mich schlagen, denn ich könnte für meine Reaktionen keine Garantie übernehmen. Ich habe mir geschworen: Nie wieder wird mich jemand schlagen!“

Vera Marjnaovic
Meine Berufung zur Journalistin entdeckte ich bereits als Sechzehnjährige während meiner Gymnasialzeit in Montenegro. Diesem Berufszweig bin ich seither treu geblieben. Nach meiner Ankunft in Wien widmete ich mich der Arbeit mit Mitgliedern der BKS-Gemeinschaft, wodurch ich tiefgreifende Einblicke in die Lebensgeschichten und sowohl die Triumphe als auch die Herausforderungen verschiedener Generationen gewann. Diese vielfältige Palette an Persönlichkeiten prägte meinen journalistischen Weg und festigte mein Engagement für soziale Themen.