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REPORTAGE

Öffnung der Gastronomie: Restaurant Marengo

Marengo_Sebiha Zečić (FOTO: iStock/Symbolfoto, zVg.)

Eine Branche, von der wir alle überzeugt waren, dass sie zu den wenigen gehörte, die die Menschheit immer brauchen würde, war die Gastronomie, und gerade die erlebte in der Pandemie den vollständigen Zusammenbruch. KOSMO hat nachgefragt, wie die Gastronomen aus dieser mehrmonatigen Finsternis herauskommen und was sie erwartet…

Die größte Pandemie des 21. Jahrhunderts hat den gesamten Planeten nicht nur gesundheitlich, sondern auch wirtschaftlich und psychisch getroffen. Die Folgen sind unüberschaubar, und obwohl der Lockdown jetzt erst einmal zu Ende ist, kommt das Schlimmste erst noch: Wer durch die Pandemie wie sehr geschädigt wurde, wird man erst in den kommenden Monaten sehen. Wie Gastronomen die siebenmonatige Pause überlebt haben und wie sie nach der Öffnung zurechtkommen werden, haben wir Sebiha Zečić, die Inhaberin des Restaurants „Marengo” gefragt.

„Der Zeitraum seit November, als wir zusperren mussten, war sehr herausfordernd. Am schlimmsten fand ich es wegen der Angestellten, denn ich konnte es nicht über mich bringen, sie so zu zahlen, wie es der Staat angeordnet hatte. Unter den Mitarbeitern habe ich alleinerziehende Eltern und Mindestverdiener, denen das Geld nicht ausgereicht hätte. Darum habe ich mich bemüht, ihnen jeden Tag Trinkgeld zukommen zu lassen. Wir haben diese Zeit nur darum überstanden, weil es das Marengo schon lange gibt und weil wir eine positive Bilanz haben. Aber eine enorme Zahl an Restaurants, die keine solche Bilanz haben, konnte ihre Betriebe nicht sechs Monate im Voraus finanzieren, bis Hilfen ausgezahlt wurden. Wer in der ersten Phase keine Ersparnisse hatte oder wer besondere Ausgaben hatte, ist in Konkurs gegangen. Diese sechs Monate waren auch meine Grenze, bis zu der ich gehen konnte.

Am traurigsten ist es, dass ich mich schon daran gewöhnt habe, jeden Tag im Lokal zu sitzen und keine Gäste zu haben.

Sebiha Zečić

Und wenn wir von der staatlichen Hilfe sprechen: Ich habe eigentlich alles selber bezahlt, denn die Hilfe kam zu spät, vor allem während des ersten Lockdowns. Später kam sie dann regelmäßig, aber auch dann musste ich einige Tage nach den Zahlungen einen großen Teil des Geldes als Umsatzsteuer für den vergangenen Zeitraum abführen, statt mit diesem Geld die Basiskosten abzudecken und mich auf den Beinen zu halten. Außerdem waren wir mit enormen bürokratischen Herausforderungen konfrontiert. Wer nicht gut Deutsch spricht und sich in diesem System nicht gut auskennt, konnte den Unterstützungsantrag an den Staat gar nicht stellen. Wir erhielten ständig Mails mit Links, die oft mit Informationen überfüllt und äußerst verwirrend waren, und wir hatten niemanden, den wir hätten fragen und um Informationen bitten können. Wenn wir die Wirtschaftskammer anriefen, erhielten wir immer dieselbe Antwort: ’Das muss Ihnen Ihr Steuerberater erklären.’ Ich finde einfach, man hätte bei der Wirtschaftskammer einen Dienst für Gastronomen einrichten sollen, der die Informationen auf eine Weise weitergegeben hätte, die uns erlaubt hätte, um Hilfe anzusuchen, ohne dafür noch Hunderte Euro für Steuerberater auszugeben. So sind uns die Hilfsanträge teuer zu stehen gekommen.

Irgendwann habe ich begriffen, dass in der Praxis nicht alles so ist, wie es in der Öffentlichkeit dargestellt wird. Die Rechnungen gingen ein wie vor der Pandemie, aber staatliche Hilfe einzufordern, war ein zu komplizierter und langwieriger Prozess. Ich glaube, ich wäre finanziell besser davongekommen, wenn ich das Lokal nach dem ersten Lockdown geschlossen hätte; vor allem, weil ein Lokal, das Speisen verkauft, viele Ausgaben hat – das Fladenbrot ist nur einen Tag lang frisch, Ćevapi kann man nicht mehrmals einfrieren und auftauen und alle Zutaten müssen regelmäßig gekauft werden.

Ich glaube, ich wäre finanziell besser davongekommen, wenn ich das Lokal nach dem ersten Lockdown geschlossen hätte.

Sebiha Zečić

Was für mich neben den finanziellen Schwierigkeiten am schwersten war, waren die Gefühle von Furcht und Frustration. Am traurigsten ist es, dass ich mich schon daran gewöhnt habe, jeden Tag im Lokal zu sitzen und keine Gäste zu haben. Zu Beginn des ersten Lockdowns hatten wir eine große Besprechung, in der jeder erklären musste, ob er weiterarbeiten wollte oder ob er Angst um seine Gesundheit und die seiner Familie hatte. Es zeigte sich, dass das Marengo als Firma loyal zu seinen Angestellten stand, aber dass auch die Angestellten Marengo gegenüber loyal waren. Alle sind hier geblieben und haben das Restaurant unterstützt, genau wie auch wir sie unterstützt haben. Wir sind wirklich eine große Familie und haben einander die ganze Zeit über beigestanden, wenn jemand in Quarantäne war oder Ähnliches. Das Schicksal unterscheidet nicht, ob gerade Pandemie ist oder nicht. Und wir können nicht nur wegen der Pandemie zu unsolidarischen Menschen werden. Man muss auch während der Pandemie human bleiben und den Angestellten mit ihren Ängsten zuhören, denn es geht nicht nur um die Existenz der Firma, sondern um uns alle.

Man muss auch während der Pandemie human bleiben und den Angestellten mit ihren Ängsten zuhören, denn es geht nicht nur um die Existenz der Firma, sondern um uns alle.

Sebiha Zečić

Ich habe versucht, jeden Tag im Lokal zu sein und mit meinen Angestellten gemeinsam etwas Kreatives für das Lokal zu tun. Es war uns sehr wichtig, in dieser Zeit, in der wir keine Gäste hatten, irgendetwas zu tun zu finden. Mit gemeinsamen Aktionen haben wir eine positive Moral, gegenseitiges Verständnis und Unterstützung aufrechterhalten. Es ist sehr wichtig, den Angestellten zuzuhören, sie zu unterstützen und ihnen das Gefühl zu geben, dass wir alle gemeinsam dieses Geschäft führen, denn so ist es ja auch wirklich.

Wir haben es geschafft zu überleben, und wir freuen uns jetzt, unsere Gäste wiederzusehen, obwohl ich skeptisch bin, wie die Maßnahmen in die Tat umgesetzt werden können. Während des ersten Lockdowns haben uns die Gäste große Solidarität und Achtung gezeigt. Alle haben sich an die Maßnahmen gehalten und es gab keine Probleme. Ich hoffe, so wird es auch jetzt sein.

Wir sind alle in derselben Situation und müssen uns gegenseitig unterstützen, unabhängig von unseren Standpunkten.

Sebiha Zečić

Meine Botschaft an alle ist, solidarisch zu sein, die Spaltungen zu überwinden, die in der Gesellschaft entstanden sind, und das freundliche und höfliche Miteinander zu bewahren, für das Wien bekannt ist. Wir sind alle in derselben Situation und müssen uns gegenseitig unterstützen, unabhängig von unseren Standpunkten: Was gut ist für die anderen, ist auch für mich gut, und umgekehrt. Ich hoffe, dass die Gäste für uns Gastronomen Verständnis aufbringen können, wenn es um die Maßnahmen geht, denn wir haben sie uns nicht ausgesucht.”