Start Aktuelle Ausgabe
INTERVIEW

Reisefreiheit für Balkan: „Epidemiologen müssen das beurteilen”

Schallenberg: „Bei der Einstufung der Sicherheit eines Landes schauen wir auf einen umfassenden Kriterien-Mix.” (FOTO: BMEIA / Gruber)

In den vergangenen Wochen besuchten Sie mehrere Staaten des Westbalkans, u.a. um EU-Impfstoffhilfen zu überreichen. Wie weit sind diese Lieferungen bereits und warum ist es für Österreich bzw. die EU so wichtig, auch Nicht-Mitgliedern zu helfen?
Dass das gelingt, war mir ein persönliches Anliegen und deshalb bin ich auch sehr froh, dass ich bei der ersten Lieferung in Sarajevo dabei sein konnte. Seit Anfang Mai laufen die wöchentlichen Lieferungen zuverlässig ab, bis August werden insgesamt 651.000 Dosen Pfizer-Impfstoff in die Region geliefert worden sein. Die Pandemie macht nicht vor Grenzen Halt, auch nicht vor Schengen-Grenzen. Solidarität ist hier nicht nur ein Gebot der Menschlichkeit, sondern auch des gesunden Hausverstands. Es darf keinen „weißen Fleck” mitten in der Impflandkarte Europas geben, das wäre eine große Gefahr für alle. Ich bin froh, dass Österreich gemeinsam mit der Europäischen Kommission einen wichtigen Beitrag dazu leistet, das zu verhindern.

Sie sagten kürzlich, dass „die europäische Integration ist ohne die sechs Westbalkanländer nicht komplett” sei. Warum unternimmt Österreich so große Bemühungen hinsichtlich eines Beitritts der genannten Staaten?
Österreich ist der Region nicht nur geographisch nahe, sondern auch historisch, wirtschaftlich und menschlich vielfältig und eng verbunden. 550.000 Menschen, die in Österreich leben, haben ihre Wurzeln in dieser Region. Da ist es nur logisch, dass wir die Länder der Region mit uns in der EU haben wollen. Es geht hier aber nicht nur um Österreichs Interessen: Der Westbalkan ist ein wichtiges strategisches Bindeglied zwischen Europa und dem östlichen Mittelmeerraum. Wenn es der EU nicht gelingt, diese Schlüsselregion an sich zu binden, werden andere zum Nachteil der Union ihren Einfluss ausweiten.

Wenn es der EU nicht gelingt, diese Schlüsselregion an sich zu binden, werden andere zum Nachteil der Union ihren Einfluss ausweiten.

Alexander Schallenberg

Gleichzeitig wissen wir, dass nicht alle Nachbarschaftsbeziehungen am Balkan harmonisch sind. Wie planen Sie bzw. die EU die Dispute zwischen einigen Staaten, wie z.B. Mazedonien und Bulgarien, bzw. Serbien und dem Kosovo, vor einem Beitritt beiseitezulegen?
Es ist klar, dass die EU nicht durch ihre Erweiterung Konflikte „importieren“ will, die die ihre Funktionstüchtigkeit in Frage stellen. Die Normalisierung des Verhältnisses zwischen Serbien und Kosovo ist hier besonders wichtig. Die EU ist eine zentrale Vermittlerin im Dialog zwischen Belgrad und Pristina. Österreich unterstützt den EU Sonderbeauftragten Lajčák voll bei seinen Bemühungen um eine baldige Lösung. Nordmazedonien hat sich den Verhandlungsbeginn verdient, er sollte möglichst schnell erfolgen und nicht von der Lösung der offenen Fragen mit Bulgarien abhängig gemacht werden. Solche bilateralen Fragen sollten keine europäischen werden und den Beitrittsprozess hemmen. Ich bin der festen Überzeugung, dass solche Fragen in bilateralen Gesprächen, aber nicht in europäischen Beitrittsgesprächen gelöst werden sollten.