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INTERVIEW

Tomislav Atanasovski: „Alles, was ein Fotograf braucht, ist Neugier“

FOTO: Jelena Mihajlović Ignjatović

Tomislav Atanasovski (30), ein vielseitiger Fotograf aus Skoplje (Mazedonien), ist zum Studieren nach Wien gekommen.

Beruflich fotografiert er verschiedene Feiern, Veranstaltungen und Menschen, aber besonders interessant findet er es, in seiner Freizeit auf den Wiener Straßen mit der Kamera interessante Augenblicke und unbekannte Persönlichkeiten „einzufangen“. Auf die Frage, was einen Fotografen ausmacht – eine Künstlerseele, ein gutes Auge, Disziplin, Talent oder die Ausstattung – antwortet er, dass alles, was wirklich gebraucht wird, Neugier ist.

KOSMO: Wie und wann hast du mit dem Fotografieren angefangen?
Tomislav Atanasovski: Den ersten professionellen Fotoapparat habe ich bekommen, als ich 15 war, das war einfach Liebe auf den ersten Blick. Ich hatte ihn in der Hand – und das war es einfach. Aber nach den ersten Jahren der Begeisterung habe ich irgendwie mit dem Fotografieren aufgehört und hatte fast 10 Jahre lang keinen Fotoapparat, bis die Fotografie wieder ihren Weg in mein Leben gefunden hat. Ich habe mich erinnert, dass ich das früher einmal so sehr mochte. Seitdem haben die Kamera und ich uns nie mehr getrennt. Erst habe mich mir eine geliehen, dann habe ich eine gekauft, dann die nächste, dann bessere Objektive… Ich spare nie an der Technologie, jede Investition zahlt sich aus, denn sie ist für immer. Die Fotografie hat kein Ablaufdatum.

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Was ist es, das dich inspiriert und dazu treibt, zu fotografieren?
Ich fotografiere das Leben – alles was lebt ist Inspiration genug für mich. Ich benutze meine Kamera, um das unendliche Spiel von Formen einzufangen, das sich vor mir abspielt. Menschliche Formen, tierische Formen, abstrakte Dinge, alles… Das kann im wahrsten Sinne des Wortes alles sein, ein interessanter Augenblick, ein schönes Objekt, eine interessante Form, bestimmtes Licht… aber was immer es ist, es muss „von mir fordern, dass ich es fotografiere“. Die Fotografie ist eine Reaktion. Ich warte immer auf Dinge aus der Außenwelt, „die mich einladen“. Das größte Problem ist es, die Zeit zum Fotografieren zu finden. Sobald ich die habe, gehe ich und fotografiere, das ist für mich wie Meditation.

Wie entsteht ein Bild?
Am wichtigsten ist, dass der Fotograf neugierig ist. Der Idealzustand ist, dass er „leer und offen“ ist. Ein besonderer Wert ist, dass du keine bestimmten Ziele hast, was du fotografieren willst, selbst wenn du mit einem Kunden an einem bestimmten Auftrag arbeitest. Was ich mag, ist, dass ich mich vom Augenblick leiten lasse und auf dieses gewisse „Etwas“ warte. Lieber würde ich nach Hause gehen, ohne etwas fotografiert zu haben, als dass ich mich zum Fotografieren zwinge, nur weil ich die Absicht habe, zu fotografieren.

Wer sind die Menschen auf deinen Fotos?
Alle möglichen, zwischen 0 und 112 Jahren, Männer, Frauen, Junge und Alte – meine Kamera diskriminiert niemanden. Alles, was ich interessant finde, ist wertvoll für mich. Wenn ich mit Kunden arbeite, sind das meistens Hochzeiten oder Porträts für Webseiten. Interessant ist, dass meine Kunden meistens Frauen sind. Ich weiß nicht, ob das darum so ist, weil Frauen sich bewusster sind, dass sie gute Fotos für die Werbung brauchen, oder weil Männer über visuelle Dinge gar nicht nachdenken (lacht).

Wie hast du dich entschieden, nach Wien zu kommen, hatte das auch einen Bezug zur Fotografie?
Ich bin nach dem Abschluss der Mittelschule gekommen, um eine weitere Ausbildung zu machen. Zuerst habe ich Betriebswirtschaft studiert und nach dem Abschluss der Universität habe ich begonnen, im IT-Bereich zu arbeiten. Damit bezahle ich derzeit meine Rechnungen. Mein ursprünglicher Plan war es, noch weiter nach Westen zu gehen, vielleicht nach London oder New York, aber dann habe ich mich entschlossen, zumindest noch für ein paar Jahre hier zu bleiben, denn diese Staat bietet eine solche Lebensqualität, dass man sie nur schwer verlassen kann. Derzeit arbeite ich an einer großen Veränderung in meiner Karriere, denn ich studiere Psychotherapie. Ich habe begriffen, dass das vielleicht die wichtigste Arbeit ist, denn es gibt wirklich Menschen, die Unterstützung brauchen, um gewisse Dinge zu überwinden und ihre Lebensqualität zu erhöhen. Und das menschliche Leben ist wichtiger als die Wirtschaft oder die Informationstechnologien.

FOTO: Jelena Mihajlović Ignjatović

Du arbeitest an einem interessanten Projekt, dessen Resultat ein “Fotoband über Wien” sein wird. Worum geht es da genau?
Vor einem Jahr habe ich mit der Straßenfotografie begonnen und ich habe schnell viel Spaß daran gefunden, Menschen zu fotografieren, die ich nicht kenne. Und dann habe ich festgestellt, dass über diese Stadt schon seit 1940 kein Fotobuch mehr erschienen ist. Das möchte ich gerne ändern. Es gibt lediglich einige, in denen es nur um ein Museum oder die Architektur geht, als ob hier keine Menschen lebten. Darum habe ich mir die Aufgabe gestellt, einen Fotoband zu machen, denn für mich ist es das Natürlichste, Menschen auf der Straße abzubilden. Die Idee ist, dass das Buch Eindrücke von der Atmosphäre und den Menschen dieser Stadt vermittelt, so als ob man einen Kurzfilm anschauen würde. Jetzt fotografiere ich nur, aber später suche ich mir einen Verleger. Wichtig ist, dass ich zumindest einen Menschen überzeugt habe – mich selbst (lacht), aber wenn ich Fotos mache, die mir gefallen (denn ich bin sehr selbstkritisch), werde ich diesen Enthusiasmus leicht auch auf andere übertragen können.

Wie würdest du deinen Stil beschreiben?
Ich habe keinen bestimmten Stil, ich sehe keinen Grund, mich auf nur einen Stil des Fotografierens oder der Fotobearbeitung zu beschränken. Wenn ich an einem Projekt arbeite, dann bearbeite ich die Bilder in einheitlicher Weise, damit sie einen gemeinsamen Zug haben und gemeinsam natürlich aussehen. Für mein nächstes Projekt, das „Fotobuch über Wien“ habe ich einen visuellen Schwarz-Weiß-Stil und ein Weitwinkelobjektiv als Perspektive gewählt. Meine erste Inspiration waren Skateboard-Fotografen (Atiba Jefferson, Fred Mortagne), aber die Schwarz-Weiß-Fotografie mag ich sowieso. Farben geben einem Bild Energie, aber oft lenken sie die Aufmerksamkeit des Betrachters zu sehr ab. Das, was übrigbleibt, wenn man die Farben herausnimmt, sind Schatten, Helligkeit, Formen. Wenn einen die Farben nicht ablenken, denkt man sofort mehr darüber nach, was auf dem Bild ist. Das Herz meines Projekts sollen die Menschen sein, nicht die Farben.

Nervt es dich, dass heutzutage fast jeder meint, er könnte fotografieren?
Nein, ganz im Gegenteil, ich hoffe, dass mehr und mehr Leute gerne fotografieren werden. Warum nicht? Die Menschen fotografieren, was sie sehen und was ihr Leben ausmacht. Und wenn das ein Selfie ist, ein Bild von Essen, von den Haustieren… Es interessiert mich immer, die Arbeit anderer Menschen zu sehen, denn es ist schön, die Welt „mit fremden Augen“ zu sehen, ihre Perspektive einzunehmen, wenn auch nur kurz, zu sehen, was sie sehen und „in ihre Welt hineinzuschlüpfen“. Ich sehe lieber irgendein authentisches Bild mit schlechtem Licht und Hintergrund als ein „perfektes“ Bild, bei dem man sieht, dass es erzwungen ist. Kameras sind heute sehr erschwinglich. Darum bin ich neugierig, was uns die Zukunft bringt.

Wie beeinflusst deiner Meinung nach die Entwicklung der modernen Technologien die Kunst der Fotografie, z.B. die Tatsache, dass jeder eine Kamera am Handy hat?
Telefone sind ein tolles Werkzeug um Fotos zu machen, sie stehen enorm vielen Menschen zur Verfügung. Auch wenn die meisten ihr I-Phone zur Selbstvermarktung nutzen, sind vielleicht doch einige darunter, die das magische Auge der Kamera erkennen und es dazu benutzen, Kunst zu machen und die Welt zu begeistern. Gleichzeitig sind mit all den Online-Plattformen und Foren die Lernkurve und die Verfügbarkeit von Informationen für die neuen Fotografen viel größer, das ist auch ein Bonus.

Ist ein Bild tatsächlich mehr wert als tausend Worte und warum?
Das kann jeder leicht selber für sich überprüfen. Schauen Sie eine beliebige, zufällig ausgewählte Fotografie an und sagen Sie selbst, ob die nicht mehr sagt als tausend Worte (lacht).

Autorinnen:
Jelena Mihajlović Ignjatović und Dušica Pavlović