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REPORTAGE

Unser Held aus Kindertagen – Branko Kockica!

FOTO: zVg., Dragan Kadić, Kupindo, Muzej Istorije Jugoslavije, Printskrin, Vladan Vukajlović

Mehr als 250 Folgen der Sendung „Kocka, kocke, kockice“ („Würfel, Würfel, Würfelchen“) haben im ganzen ehemaligen Jugoslawien eine unauslöschliche Spur in der Erinnerung vieler Generationen hinterlassen. Ihr Held, Branislav Branko Milićević, bekannter als Branko Kockica, war und ist der Kinderbühne „Puž“ treu geblieben, in die die Kinder, deren Kindheitsidol Branko einst war, jetzt mit ihren Kindern kommen.

„Glück ist das, was du glaubst, dass es ist. Das hängt vom Standpunkt ab. Und es ist gut, dass dieser Punkt nicht in den Wolken schwebt. Den Ball des Glücks muss man auf der Erde lassen. Da können wir leichter dribbeln und Tore schießen. Glücklich sind die Völker, die keine Helden haben“, das sagte Branko Kockica einst im Interview mit serbischen Medien. Und genauso hat er auch viele andere Begriffe und die Welt, die uns umgibt, zu seinem bekannten „Tatatatira“ erklärt. Erklärt hat er z. B. was eine Akazie ist und welche Bedeutung die Blätter in der Natur haben, warum man sich die Hände wäscht, was Luft ist, wie Sauerkraut gemacht wird, aber auch, was das Weltall, das Wasser und die Tiere sind.

Was vielen im Gedächtnis geblieben ist, ist seine Erklärung Jugoslawiens am Beispiel eines Reisigbündels: „Wir sind ein armes, kleines Land und müssen zusammenbleiben, denn ein großes, wirtschaftlich mächtiges Land kann uns zertreten, zerreißen, zerbrechen.“ Darum hat Kockica auch betont, dass wir alle zusammenhalten müssen, denn so sind wir stärker und „Freunde, die zusammenhalten, kann niemand brechen.“ Und er hat auch gesagt, „wenn sie uns auseinanderbringen, dann können sie uns zerfetzen wie nichts“, was leider im Nachhinein wie eine Prophezeiung über das Schicksal der Jugoslawen wirkt, denn genau das ist auch passiert.

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Gastfreundschaft, Disziplin und eine Prise Geisteskrankheit – daraus bestand die Erziehung der meisten Jugo-Kinder der Neunziger! Uns wurde eine besonders einzigartige Kindheit und Jugend zuteil, die uns durch einige außerordentliche Merkmale segnete und auf ewig prägte. Lasst uns zusammen einen nostalgischen Blick auf die guten (verrückten) alten Zeiten werfen…

 

Symbol der Kindheit
Die erste Sendung „Kocka, kocke, kockice“ wurde am 29. November 1974 ausgestrahlt. Interessant ist auch die Ausstrahlung von über 250 witzigen Episoden bis zur letzten Sendung im Jahre 1994. Es war ein Lehr- und Unterhaltungsprogramm für Kinder, die Branko immer als „Kameraden“ anredete. Einige Jahre nach der ersten Sendung gründete „unser Branko“ gemeinsam mit seiner Ehefrau Caca (einer Regisseurin) seine Kinderbühne, die als „Pozorištance Puž“ bekannt geworden ist. Im Grunde hätte es ohne seine Frau auch dieses gute Kindertheater nicht gegeben, was Branko gegenüber einem serbischen Medienhaus so erklärte: „Wäre Caca in das Projekt nicht mit eingestiegen, hätte es ´Puž‘ nie gegeben. Ich wollte, dass meine Vorstellungen keine reinen Präsentationen wurden. Sie hat meine ersten Stücke kritisiert. Dank ihr habe ich auch bessere Texte geschrieben. Sie ist wie eine Mutterhenne. Sie hat Schauspieler um sich versammelt wie Küken. Caca ist mehr als die Hälfte von ´Puž‘”. Dieses Theater ist noch heute fleißig aktiv, d.h. seit 40 Jahren unterhält es Generation um Generation kleiner Belgrader, für deren Eltern Kockica schon der Held ihrer Kindheit war.

„Kocka, Kocke, Kockica“: Die erste Sendung wurde am 29. November 1974 ausgestrahlt und die letzte Sendung gab es 1994. Mehr als 250 Lehr- und Unterhaltungssendungen haben Kockica und die Kinder, seine „Kameraden“ aufgenommen.

TATATATIRA. Zu diesem Ausruf erklärte Kockica alles, was uns umgibt, sogar Jugoslawien.

Mit dieser Bühne ist Kockica dem, wie er selbst sagt, undankbarsten Publikum der Welt treu geblieben, den Kindern. Dem undankbarsten, denn bei ihnen gehen Schummeleien nicht durch. Aber alle Schauspieler lieben ihr treues Publikum und arbeiten gerne auf der Bühne des „Puž“. Branko erklärt uns noch besser, warum die Schauspieler diese Bühne mögen. „Schauspieler spielen gerne in guten Vorstellungen und vor einem vollen Haus. Bei uns haben sie Gelegenheit, in vielen Vorstellungen zu spielen. Jede wird über 50-mal im Jahr gegeben und wir zahlen schon seit 40 Jahren jeden Montag die Honorare. Wir haben ein System wie im Wilden Westen, nur dass die die Arbeiter am Freitag bezahlten und wir am Montag. Ich war auch zuerst Schauspieler und ich habe es gehasst, wenn die Honorare zu spät kamen. Bei uns gibt es das nicht“, schließt unser großer Schauspieler, wie immer endlos sympathisch.

GEMEINSAM SIND SIE STÄRKER.
Schon 40 Jahre führen Branko und seine Frau (die Regisseurin) Caca ihre Bühne „Puž“ gemeinsam.

Hat sich Branko Kockica je vorgestellt, dass er seine ganze Karriere Kindern widmen würde? Dazu sagte er in einem Interview: „Nein, überhaupt nicht… Ich glaube, dass jeder das finden muss, wofür er Talent hat, und dass er an seiner Gabe und seinem Talent arbeiten muss. Das heißt nicht, dass er das Recht hat, zu tun, was er will, sondern dass er sich selbst verwirklicht. Ich wollte also nicht Kinderschauspieler werden, aber ich habe das einfach für mich entdeckt. Und ich bin glücklich darüber, denn ich habe unendlichen Respekt vor Kindern.“

Vor „Kockica“ spielte Branko in Filmen wie „Užička Republika“, „Sarajevski atentat“, „Masmediologija na Balkanu“, aber viele wissen nicht, dass er auch als Hamlet eine Auszeichnung erhielt und dass er als der einzige serbische Schauspieler gilt, der den Hamlet in New York gespielt hat, in englischer Sprache und mit amerikanischen Kollegen. Dennoch ist Branko als Kockica für viele Generationen zu einem Symbol der Kindheit geworden. Und nicht nur die Kindheit hat er vielen verzaubert, sondern auch viele spätere Gelegenheiten. So hört man zum Beispiel nicht selten auf Hochzeiten „sein“ Lied „U svetu postoji jedno carstvo“ („Auf der Welt gibt es nur ein Reich“). Branko sagt, dass er das weiß, und fügt sogar hinzu: „Wenn ich nur in ein Café gehe, spielt gleich ein Orchester für mich ´Drugarstvo´. Das ist nicht mein Lied, ich habe es nur gesungen. Der Komponist der Musik ist Mika Živanović und der Text wurde von einem Kind geschrieben. Es stammt aus irgendeiner Sammlung, wir kennen nicht einmal den Namen des Autors. Mehrere Menschen behaupten, der Autor dieses Textes zu sein.“

„Ich werde nur schwer Ersatz für mich finden. Wir brauchen einen Schauspieler,
der das Charisma eines guten Lehrers und
ein Gespür für die Kinder hat“, betont Branko.

Neuauflage des „Kockica“
2005 begann die Aufnahme neuer Folgen der Kultserie „Kocka, kocke, kockice“. Damals wurde Branko von Journalisten gefragt, wie sehr sich die Kinder seit 1984 verändert hätten, und er sagte: „Ich habe bereits in der Pozorištance bemerkt, dass die Kinder anders sind als damals. Sie sind weniger folgsam, und wenn jemand aus dem Publikum laut wird, kann ich ihn schwerer beruhigen als damals. Als ob die Kinder die Stimmen von uns Erwachsenen nicht hören könnten. Bei den Aufnahmen muss ich mehr tun, um sie zu unterhalten, und ich sage ihnen oft: „Hört mir mit den Augen zu!“ Das ist nicht schlecht, denn die Kinder sind heute selbstbewusster und frecher.“ Dennoch kann Branko offensichtlich gut mit Kindern, egal, welcher Generation sie angehören. Worin diese Magie liegt, erklärte er in einem Gespräch: „Wir alle kennen das Zitat von Edison, dass Genie zu einem Prozent aus Inspiration und zu 99 Prozent aus Schweiß besteht. Ja, und bei mir ist es umgekehrt. Ich mache tatsächlich gar nichts. Der ganze Zauber ist nur das, was zwischen mir und den Kindern passiert.

Lange wusste ich nicht, was das ist, ich war jung. Aber ´Experten‘ haben das untersucht. Einmal haben wir eine Vorstellung für Kinder in einer Spezialschule für Entwicklungsstörungen gemacht, die eigentlich nur in der Lage sind, die Werbespots im Fernsehen zu verfolgen, denn sie verlieren das Interesse an allem schnell. Ihre Psychologen haben sich gefragt, wieso diese Kinder sitzen geblieben sind und eine Stunde lang das Programm beobachtet haben. Damals wussten weder wir noch sie, was das war. Später begann man, mit einigen Menschen das Wort Charisma zu verbinden. Zum ersten Mal habe ich das in der Öffentlichkeit gehört, als man es mit Slobodan Milosević in Verbindung brachte. Ein charismatischer Führer?! Und ich bin eben so eine charismatische Kinderfigur. Ganz einfach, ohne Schweiß. Ich komme einfach, und das ist es dann.“ So erklärte Kockica seine authentische Arbeit mit den Kindern, und alle, die ihn gesehen haben, wissen genau, was er meint.

DIE POZORIŠTANCE PUŽ
Mit dieser Bühne ist Kockica denen treu geblieben, denen er seine Karriere gewidmet hat – den Kindern.

Den Jungen gehört die Welt
Heute bedauern viele, dass es weder solche Programme noch solche Helden für Kinder gibt. Heute herrschen irgendwelche Reality-Programme vor und es scheint, als wären die Werte ganz auf den Kopf gestellt worden. Man hat den Eindruck, dass es auch die Eltern als schwierige Aufgabe empfinden, Kinder in der heutigen chaotischen Zeit zu erziehen. Eltern, für die gerade Kockica ein Held ihrer Kindheit war, waren sicher einige Dinge klarer, ihre Herzen waren reiner und letztendlich war auch ihr Kopf mit gewissen Bildungsinhalten besser gefüllt. Wie können wir also wissen, was für junge Menschen das sind, denen wir die Welt übergeben? „Für mich ist dieser Spruch lächerlich, dass ´den Jungen die Welt gehört‘. Zuerst müssen diese Jungen, solange sie noch klein sind, tun, was ihnen die Großen befehlen. Und wenn sie dann groß werden und am Ende diese Welt in die Hände bekommen, dann sind sie nicht mehr jung. Ich glaube, dass die Alten die Welt für sich gestalten, obwohl sie sie dann ihren Nachkommen hinterlassen, und ich glaube, dass das in Ordnung ist. Letzten Endes werden sich die Jungen, wenn sie heranwachsen, nur dann um die Alten kümmern, wenn die Alten sie beizeiten dazu erziehen. Ich will sagen, dass die Jungen nur das werden können, wozu die Erwachsenen sie machen. Darum glaube ich, dass die Kindheit die wichtigste Zeit im menschlichen Leben ist“, schließt unser Held Branko Kockica.

Dennoch: Echte Helden gab es immer nur wenige. Wir hatten das Glück, dass uns Branko Kockica die Kindheit mit seiner charismatischen Erscheinung, seinen Weisheiten und seinen Liedern verschönert hat. Aber auch Kockica denkt darüber nach, bald in Pension zu gehen. Einem serbischen Journalisten gegenüber erklärte er dazu: „Ich spiele immer weniger neue Stücke. Ich muss Ersatz für mich schaffen. Ich weiß nicht, wie ich jemanden finden kann, der mich in den interaktiven Vorstellungen mit den Kindern ersetzt, bei denen der Schauspieler alleine auf der Bühne steht. Das hat der verstorbene Manda hervorragend gekonnt, und früher auch Minja Subota und Lazar Ristovski. Wir brauchen einen Schauspieler, der das Charisma eines guten Lehrers und ein Gespür für die Kinder hat. Ich glaube, es wird schwer einen Nachfolger zu finden. Das Theater ´Puž‘ wird eines Tages ohne mich auskommen müssen. Irgendwann einmal muss ich in Pension gehen. Und eines Tages werde ich auch sterben. Ich glaube, dass ich aus dem ´Puž‘ direkt in den Himmel komme. Irgendwie bin ich schon im Himmel. Mit Kindern zu arbeiten ist himmlisch, und ich tue das schon seit Jahren…“

NEUBELEBUNG: 2005 wurden neue Folgen der Kultsendung „Kocka, kocke, kockica“ aufgenommen.

KINDHEIT. „Das ist die wichtigste Zeit im Leben jedes Menschen”.

Beichte
„Bevor ich meine dicke Pension genieße, möchte ich meinen TV-Kindern, die jetzt schon ihre eigenen Kinder im Kinderwagen spazieren fahren, etwas sagen. Häufig spricht mich jemand auf der Straße an und fragt, wie es mir geht. Manchmal kommt mir vor, dass sie sich Sorgen um mich machen. Aber es gibt keinen Grund zur Sorge. Mir geht es sehr gut. Und wenn es morgen mit mir zu Ende geht, sollen sie wissen, dass ich nichts bedaure. In diesem Leben ist es mir sehr gut gegangen. Dučić hat gesagt hat, ´Ein Mann, der hofft, ein ruhiges und bequemes Leben mit einer guten Frau zu verbringen, gleicht dem, der hofft, in seinem Garten eine Ölquelle zu finden‘, und ich habe in meinem Garten Öl gefunden. Und das ist vielleicht das Wichtigste, das soll mir Caca jetzt nicht übelnehmen. Ich habe das erreicht, was ein Dichter durch den Sänger Sinatra allen mitteilen wollte, die diese Botschaft schätzen können: ´I did it my way‘.“

(Auszug aus einem Interview mit serbischen Medien)