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REPORTAGE

Vollblut-Ingenieur: Der Mann, der sich weigert, alt zu werden!

In Österreich schließt sich der Kreis

In Jugoslawien blieb ich bis zum Beginn der Bombardierung 1999. Ich war bereits 70 Jahre alt und wusste nicht, wovon ich leben sollte, denn aufgrund der Sanktionen kam die französische Pension nicht mehr an und die jugoslawische war unregelmäßig. Ich wollte unter diesen unmenschlichen Bedingungen nicht leben und kam über Bosnien-Herzegowina nach Wien. Hier suchte ich um politisches Asyl an, denn ich wollte keine Imitation des Lebens. Es war schwer, als Flüchtling zu leben, bei der Caritas zu schlafen und öfter hungrig als satt zu sein. Ich hatte Glück, dass ich bald eine wunderbare Frau fand, eine gebürtige Wienerin, bei der ich merkte, dass Gefühle auch im höheren Alter noch erwachen können. Wir heirateten und führten ein schönes Leben zusammen, bis sie zu Beginn des letzten Jahres für immer von mir gegangen ist. Ich blieb ganz allein in der Welt zurück.

Kurz nach meiner Ankunft in Wien erhielt ich die Gelegenheit, diesem Land etwas zu geben, und das einzige, das ich wirklich hatte, waren meine Kenntnisse. Ich wurde Teil eines Teams von acht Leuten und unsere Aufgabe war es, ein Flugzeug zu bauen, das ein Museumsstück werden sollte. Das alles begann so, dass ich zur Fakultät ging, um mich über neue Entwicklungen in meinem Fach zu informieren. Der Professor, mit dem ich sprach und der meinen Lebenslauf angeschaut hatte, empfahl mich dem Geschäftsführer der Flugzeugfabrik Diamond Aircraft. Ich ging dorthin zu einem Gespräch und wurde sofort eingestellt. Seit 2002 bin ich 16 Jahre lang jeden Tag mit dem Zug nach Wiener Neustadt zur Arbeit gefahren. Das mache ich auch weiterhin, aber nur noch nach Bedarf, denn mein Alter behindert mich nicht.

Ich arbeite an den Projekten in einem Team, das viel jünger ist als ich. Ich bemerke den Altersunterschied nicht, und ich glaube, auch die anderen sehen ihn nicht. Sie fragen mich nach meiner Meinung und meinen Kommentaren und berücksichtigen sie. Es ist schön, unter diesen Bedingungen zu arbeiten. Eventuelle Fehler sehe ich gleich, was einfach ist, denn all die Konstruktionen habe ich konzipiert. Wenn etwas Neues entwickelt werden muss, rufen sie mich und ich übernehme die Aufgabe. Das ist immer Teamarbeit und jeder von uns ist gleich wichtig. Ich bin der Spezialist, und zwar nicht nur für Innovationen, sondern auch für Mechanismen, und ich bin verantwortlich für die Heizung und Klimatisierung und sorge dafür, dass kein Mechanismus im Flugzeug versagt. Da gibt es die Elektrik, die Thermik und die reine Mechanik, aber auch das, was am wichtigsten ist: die Fantasie. Manchmal schauen mich die jungen Kollegen verwundert an, wenn ich ihnen gewisse Sachen erkläre, aber ich habe immer eine logische Erklärung.

Heute bin ich österreichischer Staatsbürger. Als meine Frau noch lebte, sind wir zweimal nach Serbien gereist. Aber meine Heimat ist nach all den langen Jahrzehnten meines Lebens definitiv die Flugzeugfabrik in Wiener Neustadt. Meine Familie sind die beiden jüngeren Ingenieure, mit denen ich zusammenarbeite, die sehr nett sind und auf mich achtgeben. Mir geht es gut, ich bin gesund. Ich erinnere mich an alle mathematischen Formeln von vor 70 Jahren, ich erlaube mir nicht, mental oder intellektuell zu altern, und mein Arzt sagt, dass ich ein medizinisches Phänomen bin. Es stört mich, wenn jemand mit erhobener Stimme mit mir spricht, weil er glaubt, dass ich nicht gut höre oder die Sprache nicht verstehe.

Manchmal kehre ich in Gedanken nach Frankreich zurück, zur dortigen Kultur und zu den wunderbaren Menschen. Wenn ich in meinen Erinnerungen im ehemaligen Jugoslawien ankomme, denke ich leider nur, dass der Balkan noch immer ein rückständiger Teil Europas ist. Darum kehre ich auch nicht dorthin zurück. Ich werde arbeiten, solange ich gehen kann, denn es ist eine große Befriedigung, wenn Sie sehen, dass die geistige Anstrengung, die Sie hineingesteckt haben, sich zum Himmel erhebt und durch die Wolken fliegt. Es ist wunderbar, dass ich noch immer gebraucht werde, dass mein Hirn nicht alt geworden ist und dass meine Lebensbatterien noch nicht leer sind.“

Vera Marjnaovic
Meine Berufung zur Journalistin entdeckte ich bereits als Sechzehnjährige während meiner Gymnasialzeit in Montenegro. Diesem Berufszweig bin ich seither treu geblieben. Nach meiner Ankunft in Wien widmete ich mich der Arbeit mit Mitgliedern der BKS-Gemeinschaft, wodurch ich tiefgreifende Einblicke in die Lebensgeschichten und sowohl die Triumphe als auch die Herausforderungen verschiedener Generationen gewann. Diese vielfältige Palette an Persönlichkeiten prägte meinen journalistischen Weg und festigte mein Engagement für soziale Themen.