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Was ist von Jugoslawien geblieben?

In den letzten 30 Jahren ist ein Staat, der etwa der Bevölkerungszahl des heutigen Kroatiens entspricht, aus dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien „verschwunden”. Die meisten Menschen verließen BiH, Serbien und Kroatien und die wenigsten Slowenien, in das aufgrund des Lebensstandards viele immigrieren. (FOTO: zVg.)

Ein ganzer Staat ist verschwunden
Den letzten Bevölkerungszählungen und den Daten der offiziellen Webplattformen der Balkanstaaten zufolge haben die schlechten Lebensbedingungen und der Krieg über 4,1 Millionen Einwohner aus dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien vertrieben. Verschwunden ist damit ist ein ganzer Staat von der Größe des heutigen Kroatien!

Die wirtschaftlich bedingte Migration mit ihrem hohen Grad an Brain-Drain ist das größte Problem, mit dem die Balkanstaaten in den letzten Jahrzehnten konfrontiert waren. Am bedenklichsten ist die Statistik in BiH, da nach den Daten der Agentur für Statistik und den konsularischen Vertretungen Bosniens im Ausland mehr Menschen mit Herkunft aus BiH außerhalb als innerhalb ihres Heimatlandes leben. Man schätzt, dass mehr als zwei Millionen Bosnier außerhalb der Grenzen ihres Geburtsstaates leben.

Dicht gefolgt wird BiH von Serbien, das eine jährliche Abwanderung von bis zu 60.000 Menschen verzeichnet. Besorgniserregende Forschungsergebnisse zeigen, dass seit Beginn der neunziger Jahre bis heute über 1,1 Millionen Menschen dieses Land verlassen haben und dass jeder dritter Student plant zu emigrieren. Der EU-Beitritt Kroatiens hat den Menschen, die sich nach einem besseren Leben sehnen, die Türen geöffnet, und so sind in den vergangenen sieben Jahren ca. 229.000 Menschen abgewandert, darunter 12 % hochgebildete. Montenegro und Nordmazedonien verfügen nicht über offizielle Daten, wie viele Menschen diese Länder verlassen haben, aber grobe Schätzungen gehen von 150.000 Montenegrinern und einer halben Million Nordmazedonen aus.
Das einzige Land, das Immigration verzeichnet, ist Slowenien, in das Menschen aus den umliegenden Ländern aufgrund des besseren Lebensstandards und des funktionierenden Staatsgefüges einwandern.

MIGRATION Ca. 2 Millionen Menschen leben außerhalb von BiH und ca. eine Million hat Serbien verlassen.

„Hätten wir Jugoslawien noch, gäbe es das nicht”, hört man oft von einzelnen Gruppierungen, allerdings behaupten Experten, auch mit Jugoslawien hätte es Wirtschaftsmigration gegeben, ebenso wie nach seinem Ende. Migrationsströme lassen sich nicht aufhalten. Migration gab es schon, als Jugoslawien noch bestand. Menschen gehen einfach dorthin, wo sie sehen, dass der Lebensstandard besser ist. Auch aus Ländern wie Bulgarien, der Slowakei oder Polen, die EU-Mitglieder sind, wandern Menschen in andere Länder ab. Migrationen sind eine neue Realität, und dieser Prozess ist mehrschichtig und intensiv, aber in gewisser Weise entspricht er auch den Grundprinzipien der EU, der Bewegungsfreiheit der Bevölkerung innerhalb der Gemeinschaft. Wenn der Grad der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung höher wäre, wenn die Länder ein Leben bieten könnten, das lebenswert ist, wäre der Umfang der Migration oder sogar Flucht von Menschen ein anderer. Die Kombination von politischen und wirtschaftlichen Faktoren führt dazu, dass die Balkanregion brutal an Bevölkerung verliert”, erklärt Džihić.

Was hat Jugoslawien uns hinterlassen?
Neben Jugo-Nostalgie, der Geschichte Titos, Brüderlichkeit und Einheit, dem Bau von Trassen und Straßen, großen Verheerungen, Kriegswunden, Erinnerungen an den Kommunismus, einer einheitlichen Sprache und einer gemeinsamen Geschichte hat Jugoslawien seinen Kindern auf dem Totenbett noch ein paar Dinge hinterlassen.

„Das Zweite Jugoslawien war 45 Jahre lang eine historische Tatsache und hat zur Modernisierung der Bevölkerung, zur Bekämpfung des Analphabetismus und zum wirtschaftlichen Fortschritt beigetragen und die sozialen Grundlagen gelegt, ohne die die heutigen neuen Staaten nicht bestehen könnten. Im politischen Sinne ist der Siedepunkt mit der Bezogenheit der Staaten aufeinander bestehen geblieben. Auch wenn viele das bestreiten, ist die ganze Region historisch, geographisch, emotional, sprachlich und kulturologisch miteinander verbunden. Alle Staaten der Region müssen irgendwie eine gemeinsame Sprache finden, um normal funktionieren zu können und um eine historische Einigung zu erzielen, die Normalität ins Leben bringt und Kooperation zwischen ihnen ermöglicht, und das nicht nur im ökonomischen Sinne, wie es heute ist, sondern auch im politischen. Wenn man diese Bezogenheit der Staaten aufeinander richtig nutzt, dann ist das ein großes Plus und ein komparativer Vorteil für jedes Land dieser Region”, schließt Džihić.

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Nachdem sie ihr Bachelorstudium an der Fakultät für Politikwissenschaften in Belgrad abgeschlossen hat, begann Aleksandra ihre journalistische Karriere bei der Tagespresse in Serbien, wo sie bis zu ihrem Master-Abschluss gearbeitet hat. Letztes Jahr verschlug es die wissbegierige Serbin schließlich nach Wien. Jetzt lebt sie ihre Leidenschaft für Journalismus als Redakteurin des KOSMO-Magazins aus. Stets professionell und mit viel Interesse, berichtet sie über aktuelle politische und gesellschaftliche Themen. In ihrer Freizeit liest die Politologin am liebsten ein Buch, oder entdeckt auf ihrem Fahrrad neue Orte in Wien.