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INTERVIEW

„Westbalkan-Reisen unbedingt unterlassen”

(FOTO: BKA/Wenzel)

Mit Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) sprachen wir über Herausforderungen beim Thema Urlaub am Westbalkan oder in der Türkei, die Demonstrationen in Wien-Favoriten und andere Herausforderungen, die die Corona-Krise für den Integrationsbereich mit sich brachte.

KOSMO: Für alle sechs Westbalkanstaaten wurde die Reisewarnstufe 6 ausgesprochen. Welche Auswirkungen hat diese Situation auf die BKS-Community hierzulande und welche Reaktionen erwarten Sie sich?
Susanne Raab:
Wir müssen alles dafür tun, dass das Coronavirus nicht wieder nach Österreich hereingetragen wird. Aber da wir aktuell gerade auf dem Westbalkan einen deutlichen Anstieg der Corona-Infektionen verzeichnen und auch für die Türkei nach wie vor eine ausdrückliche Reisewarnung besteht, müssen wir besonders wachsam sein. Also müssen wir ganz klar vermitteln, dass Urlaubsreisen in eines dieser Länder unbedingt unterlassen werden. Wenn eine Fahrt nicht vermieden werden kann, muss bei der Rückkehr nach Österreich verpflichtend eine 14-tägige Quarantäne eingehalten oder ein negativer Corona-Test vorgelegt werden, der nicht älter als vier Tage ist. Diese Vorgaben werden streng kontrolliert.

Sie kündigten eine spezielle Info-Kampagne bezüglich der Reisewarnungen an. Was wird diese beinhalten und warum sehen Sie hierfür großen Bedarf?
Unsere neue Informationsoffensive wird sich vor allem an jene Migrantinnen und Migranten richten, deren Wurzeln in den Ländern des Westbalkan sowie in der Türkei liegen. Denn wir wissen, dass in Österreich mehr als 531.000 Menschen ihre Wurzeln in den Ländern des ehemaligen Jugoslawien haben, fast 283.000 haben türkischen Migrationshintergrund. Und es ist nur verständlich, dass viele von ihnen im Sommer geplant haben, ihre Familien und Freunde zu besuchen.

„Die Corona-Krise war natürlich auch für die Integration eine große Herausforderung.”

– Susanne Raab

Daher werden wir gemeinsam mit dem Österreichischen Integrationsfonds diese neue Infokampagne umsetzen: Der ÖIF wird auf seiner Website laufend Informationen über die aktuelle Coronavirus-Situation in den betreffenden Ländern zur Verfügung stellen. Via Newsletter können auch Behörden und Vereinen, Soziale Dienste, Polizeidienststellen und weitere Organisationen im Integrationsbereich erreicht werden. Auch die Beraterinnen und Berater in den neun Integrationszentren des ÖIF werden über die aktuellen Reisewarnungen sowie über wichtige Vorsichts- und Hygienemaßnahmen während der Urlaubssaison informieren. Ergänzt wird die Kampagne durch Informationen via Social Media sowie eine Zusammenarbeit mit den wichtigsten Medien für Menschen mit Migrationshintergrund, die diese Infos direkt in die Communitys tragen werden.

Sie sagten, dass aufgrund der Corona-Krise viele Integrationsmaßnahmen ausgesetzt werden mussten. Welche waren das und welche Auswirkungen hat dies auf den Integrationsprozess?
Die Corona-Krise war natürlich auch für die Integration eine große Herausforderung. Die Beratungen, Deutsch- und Wertekurse sowie Prüfungen mussten fast zwei Monate ausgesetzt werden. So eine Situation hatten wir in der Integration noch nie, das war auch für alle Migrantinnen und Migranten und Flüchtlinge eine Ausnahmesituation. Denn der Spracherwerb und die Wertevermittlung basieren ganz stark auf dem direkten Austausch, was während der Ausgangsbeschränkungen kaum möglich war. Deshalb ist es extrem wichtig für die Integration, dass Flüchtlinge und Migranten wieder persönlich in einen Deutsch- oder Wertekurs oder auch zur Integrationsberatung kommen können. Seit 15. Mai ist das wieder möglich.

Kürzlich brachten Sie Mehrsprachigkeit bei (Schul-)Kindern in Verbindung mit der Entstehung von Parallelgesellschaften. Wo sehen Sie diesbezüglich Probleme bzw. eine Beziehung zwischen diesen beiden Begriffen?
Ich habe immer gesagt, dass Mehrsprachigkeit eine wichtige Ressource ist. Aber wenn Deutsch nicht gut genug gesprochen wird, dann ist das eine Hürde für die Integration. Und wenn es in Wien Bezirke gibt, in denen mehr als 70 Prozent der Kinder in den Schulen nicht Deutsch als Umgangssprache haben, bedeutet das für mich, dass viele dieser Kinder zum ersten Mal im Bildungsprozess in der Schule mit Deutsch in Kontakt kommen. Deutsch ist jedoch der Schlüssel für eine gelungene Integration. Zudem sehen wir auch im weiteren Bildungsprozess, dass doppelt so viele Kinder mit Migrationshintergrund das Schulsystem ohne einen Schulabschluss oder ohne im Beruf zu sein verlassen. Hier gibt es also noch viel zu tun.

„Mehrsprachigkeit ist eine wichtige Ressource ist. Aber wenn Deutsch nicht gut genug gesprochen wird, dann ist das eine Hürde für die Integration.” (FOTO: BKA/Wenzel)

Warum ist es Ihrer Meinung nach zu den Ausschreitungen während der Demos in Wien gekommen und wo wurde bisher möglicherweise zu viel wegeschaut?
Aus Integrationssicht kann ich nur sagen: Wenn hunderte Menschen mit türkischen Fahnen, Erdogan-Parolen, dem Wolfsgruß und unter Gewaltausübung durch Favoriten marschieren wird wieder einmal sichtbar, wie stark Parallelgesellschaften in Wien ausgeprägt sind und welche Gefahren von ihnen ausgehen können. Diese Probleme wurden, vor allem in Wien, leider viel zu lange zugedeckt. Parallelgesellschaften und Vereine, die aus dem Ausland gesteuert sind, hemmen bereits seit langem die Integration in Österreich. Hier gilt es nun, endlich hinsehen und die Probleme ganz klar anzusprechen.

„Parallelgesellschaften und Vereine, die aus dem Ausland gesteuert sind, hemmen bereits seit langem die Integration in Österreich. Hier gilt es nun, die Probleme ganz klar anzusprechen.”

– Susanne Raab

Interethnische Konflikte gibt es in zahlreichen migrantischen Communitys, nicht nur in der türkischen. Ist die Gewaltbereitschaft unter ihnen höher als in anderen Gemeinschaften?
Wenn sich einzelne Migrantengruppen abschotten und nur wenig Kontakt zur Mehrheitsgesellschaft suchen, kann Integration nicht gelingen. Wir erwarten, dass jemand, der in Österreich leben möchte, unsere Sprache lernt und unser Wertefundament akzeptiert und respektiert. Und wenn solche Ausschreitungen wie in Favoriten stattfinden, dann wird augenscheinlich, dass das nicht der Fall ist: Unsere Werte werden geradezu mit Füßen getreten.

Wie lautet Ihr Appell an alle Menschen mit Wurzeln in Westbalkan-Ländern? Warum sollten Sie den Sommerurlaub nicht in der alten Heimat/im Herkunftsland verbringen? Mein Appell an alle lautet: Nehmen Sie die Reisewarnung des Außenministeriums unbedingt ernst und halten Sie sich daran – so schwer es ihnen auch fallen mag. Ich kann absolut nachvollziehen, dass diese Situation für viele Menschen in unserem Land nicht einfach ist, und ich habe vollstes Verständnis für die Enttäuschung, wenn man nach so langer Zeit seine Verwandten und Freunde im Ausland wiedersehen möchte oder sich bereits auf den wohlverdienten Sommerurlaub gefreut hat. Allerdings müssen wir nun alle gemeinsam dafür sorgen, eine zweite Infektionswelle zu verhindern. Und dafür müssen wir alle mitmachen und an unsere eigene Gesundheit sowie an die unserer Mitmenschen denken.