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Arbeitskräftemangel

Wiener Wirtschaft am Limit: Ohne Migranten droht der Stillstand

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FOTO: iStock, zVg.

Ohne Migranten würde Wiens Wirtschaft stillstehen – in manchen Branchen stellen sie bis zu 70 Prozent der Arbeitskräfte. Doch trotz ihrer Bedeutung erleben viele Diskriminierung.

Die Wiener Wirtschaft stützt sich maßgeblich auf Arbeitskräfte mit Migrationshintergrund. Aktuelle Daten des Wirtschaftsforschungsinstituts WIFO aus dem Jahr 2021 belegen dies eindrucksvoll: Von den rund 1,3 Millionen Personen im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 64 Jahren in Wien haben etwa 677.000 – also 52 Prozent – einen Migrationshintergrund. In einzelnen Wirtschaftszweigen ist dieser Anteil noch deutlicher ausgeprägt: Im Tourismussektor haben bis zu 70 Prozent der Beschäftigten Migrationserfahrung, im Baugewerbe sind es etwa 59 Prozent und selbst im Handel noch 45 Prozent. Auffällig ist jedoch die Konzentration zugewanderter Personen in Tätigkeiten mit geringen Qualifikationsanforderungen – sie stellen etwa 84 Prozent aller Hilfsarbeitskräfte.

Eine neue WIFO-Studie unterstreicht die wirtschaftliche Bedeutung dieser Bevölkerungsgruppe für die Bundeshauptstadt. Trotz ihres Beitrags von einem Drittel zur regionalen Wirtschaftsleistung sind Menschen mit Migrationshintergrund am Arbeitsplatz häufig mit Benachteiligungen konfrontiert. Der Ökonom und Studienautor Peter Huber erläuterte in der Sendung „Wien heute“: „Etwa die Hälfte der Menschen mit Migrationshintergrund hat Erfahrungen mit Diskriminierungen. Frauen sind oft doppelt betroffen – sie werden als Mensch mit Migrationshintergrund und als Frau diskriminiert.“

Verschwendetes Potenzial

Als besonders problematisch bewertet der Migrationsforscher die Fehlallokation von Fachkräften: „Die wirtschaftlich gesehen schlechteste Konsequenz ist, dass die Leute nicht jene Jobs kriegen und nicht in jene Jobs kommen, für die sie qualifiziert sind.“ Wir haben eine doppelt so hohe Überqualifizierung bei Menschen mit Migrationshintergrund, das ist eine extreme Verschwendung an Wissen und Fähigkeiten.“ Diese Aussagen tätigte Huber im Rahmen eines „Wien heute“-Interviews, in dem er die Arbeitsmarktrelevanz von Personen mit Migrationshintergrund und erforderliche sozialpolitische Maßnahmen erörterte.

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Wirtschaftliche Bedeutung

Der Wirtschaftsexperte zeichnet ein drastisches Szenario für einen hypothetischen Tag ohne Arbeitskräfte mit Migrationshintergrund: „Da würde wohl anfangen mit der Frage, wie man in die Arbeit kommt, wenn keine Fahrer sind. Wir würden es sehr stark merken, dass uns etliche Dienstleistungen fehlen, die wir täglich konsumieren. Viele Dinge, die wir gewohnt sind, wären nicht möglich.“

Die Studienergebnisse weisen auf erheblichen Handlungsbedarf in der Sozialpolitik hin, um das Potenzial von Menschen mit Migrationshintergrund in der Wirtschaft besser zu nutzen.

Als konkrete Maßnahmen nannte Huber unter anderem „Deutschkurse und Angebote, um sich in Wien zurechtzufinden“.

Lösungsansätze gegen Überqualifizierung

Internationale Erfolgsmodelle bieten wichtige Anhaltspunkte, wie die Überqualifizierung von Migrant:innen wirkungsvoll bekämpft werden kann. Studien empfehlen vor allem berufsbezogene Sprachkurse und beschleunigte Verfahren zur Anerkennung ausländischer Qualifikationen. Besonders Kanada und Schweden gelten mit ihren zielgerichteten Programmen als Vorbilder: Dort wird auf individuelle Beratungsangebote und direkte Vermittlung in qualifikationsadäquate Positionen gesetzt, was nachweislich sowohl die gesellschaftliche Integration als auch die wirtschaftliche Produktivität steigert.

Migranten als Wirtschaftsmotor

Zudem zeigen aktuelle WIFO-Daten einen oft übersehenen Aspekt: Migrant:innen tragen nicht nur als Arbeitnehmende zum Wirtschaftswachstum bei, sondern zunehmend auch als Unternehmer:innen. 40,5 Prozent der Wiener Selbständigen hatten 2021 einen Migrationshintergrund, und fast die Hälfte dieser Unternehmer:innen beschäftigte mindestens eine weitere Person. Besonders beeindruckend ist ihr Beitrag im Tourismussektor, wo der Anteil der Beschäftigten mit Migrationshintergrund inzwischen auf 78 Prozent gestiegen ist. Insgesamt tragen Personen mit Migrationshintergrund etwa 35 Prozent zur Bruttowertschöpfung der Bundeshauptstadt bei – ein deutlicher Beleg für ihre zentrale Rolle in der Wiener Wirtschaft.