Im Schuljahr 2018/19 registrierte die Statistik Austria mehr als 26 % aller Schüler als zweisprachig, d.h. sie sprechen neben dem Deutschen noch eine weitere — Muttersprache. Daran ist die enorme Bedeutung der Zweisprachigkeit in der österreichischen Gesellschaft klar ablesbar. KOSMO zeigt auf, welche Vorteile das Aufwachsen mit zwei Sprachen hat aber auch welche Herausforderungen diese mit sich bringt.
„So viele Sprachen du sprichst, so oft bist du Mensch”, heißt es in einem alten Sinnspruch. Experten geben jedoch zu bedenken, dass auch bei Menschen, die mehrere Sprachen fließend sprechen, nur selten alle auf demselben Niveau beherrscht werden. Vielmehr ist dem Sprecher immer eine Sprache, die sogenannte Muttersprache, am vertrautesten. Somit liegt echte Zweisprachigkeit nur bei wenigen Menschen vor.
„Grundsätzlich kommen Kinder mit der Fähigkeit auf die Welt, zwei oder mehr Sprachen gleichzeitig zu erwerben, und dies ist auch häufig der Fall, wenn etwa Vater und Mutter zwei unterschiedliche Sprachen sprechen und sich dazu entschließen, das Kind zweisprachig, ’bilingual’, zu erziehen”, erklärt unsere Gesprächspartnerin, die Psycholinguistin Mag. Dr. Barbara Rössl-Krötzl.
Die Fähigkeit, zwei Sprachen so zu sprechen, dass Unterschiede in der Kommunikationsfähigkeit nicht erkennbar sind, definieren Fachleute als Bilingualismus. Diese Fähigkeit ist am häufigsten bei Personen anzutreffen, die in multiethnischen Ehen aufgewachsen sind, oder bei Personen, die aufgrund der Migration ihrer Eltern in einem fremden Land großgeworden sind und gleichzeitig zwei Sprachen gelernt haben. Dies bestätigt auch unsere Gesprächspart nerin und fügt hinzu, dass die Linguistik Menschen dann als zweisprachig anerkennt, wenn sie in beiden Sprachen ohne Probleme kommunizieren können.
Kinder, die gleichzeitig zwei Sprachen hören, bzw. die in ihrer frühen Lebensphase mit beiden Sprachen gleich intensiv konfrontiert werden, werden beide Sprachen ganz natürlich verwenden.
„Wenn ein Kind von Geburt an mit zwei Sprachen aufwächst oder wenn es bis zu einem Alter von zweieinhalb Jahren – etwa durch den Besuch der Kinderkrippe oder einer Tagesmutter – eine zweite Sprache dazugewinnt, dann ist es unter günstigen Bedingungen wahrscheinlich, dass das Kind beide Sprachen so erwirbt wie in deren jeweiligem einsprachigen Erwerb. Die Forschung zeigt, dass bei einem Erwerbsbeginn nach einem Alter von etwa zweieinhalb Jahren der Erwerbsverlauf der neu hinzutretenden Sprache auch andere Merkmale als der Erwerb der Erstsprache aufweist. In Bezug auf das Deutsche wissen wir etwa, dass bestimmte Sprachlernbereiche, insbesondere grammatikalische Besonderheiten, im sogenannten Zweitspracherwerb in einer anderen Reihenfolge erworben werden oder ihr Erwerb einfach längere Zeit in Anspruch nimmt als in einem Erstspracherwerb. Fest steht jedoch, dass in jedem Alter eine zweite/dritte usw. Sprache bis zum höchsten Niveau gelernt werden kann. Entwicklungsabhängig kommen jedoch jeweils unterschiedliche Lernmechanismen und -strategien zum Einsatz”, betont Rössl-Krötzl.
Muttersprache
Wenn ein Kind mehrsprachig aufwächst, stellt sich oft die Frage, welche Sprache als Muttersprache gilt.
„Grundsätzlich wird als Muttersprache diejenige Sprache bezeichnet, die ein Kind von Geburt an erwirbt. Dies bezieht sich daher auf die erste Sprache in der Sprachlernbiografie des Kindes, dementsprechend spricht man bei diesem Spracherwerbstyp meist von ’Erstsprache’. Mit dem Begriff ’Muttersprache’ wird gleichzeitig auch der bedeutsame emotionale Faktor ins Spiel gebracht. Eine vertrauensvolle Beziehung zu den Bezugspersonen – sei es Mutter, Vater, Großeltern etc. – ist ja Voraussetzung für einen gelungenen Spracherwerb und die Gesamtentwicklung des Kindes. Eine hohe emotionale Bedeutung und bedeutsame Funktion kann auch eine später dazu erworbene Sprache, eine sogenannte Zweit- oder Drittsprache, gewinnen, wie wir es aus vielen Sprachlernbiografien kennen. Dennoch wird diese Sprache vom jeweiligen Sprecher/der jeweiligen Sprecherin nicht als Muttersprache empfunden bzw. bezeichnet. Dabei muss man sagen, dass eine stimmige Zuschreibung letztlich immer dem einzelnen Sprecher/der einzelnen Sprecherin obliegt und nicht von außen, auch nicht von ’ExpertInnen’, erfolgen kann”, erklärt Rössl-Krötzl.
Wie bereitet man Kinder auf die Zweisprachigkeit vor?
„Zweifellos ist es bei einer mehrsprachigen Erziehung wichtig, bestimmte Grundbedingungen zu beachten, damit das Kind sowohl kognitiv als auch sozialemotional nicht überfordert ist. In den ersten drei Lebensjahren ist dies unter anderem die Trennung der Sprachen hinsichtlich der Personen nach dem Prinzip ’eine Person – eine Sprache’ (Vater: Serbisch, Mutter: Italienisch) und/oder hinsichtlich der Lebenswelten des Kindes,z.B. die Kinderkrippe (Pädagogin: Deutsch). Dies ist insofern wichtig, als das Kind dadurch die jeweiligen sprachlichen Wissenssysteme getrennt voneinander wahrnehmen und erschließen kann. Dies ist etwa von Bedeutung für den Erwerb des in sich schlüssigen grammatischen Regelsystems der jeweiligen Sprachen, die das Kind intuitiv aus dem Sprachangebot des Umfeldes entdeckt und dann produziert”, sagt Rössl-Krötzl.
Rössl-Krötzl: „Es ist wichtig, dass sich die Eltern viel mit dem Kind beschäftigen.”
Unbedingt sollte man auch beobachten, ob das Kind versteht, was ihm erzählt wird. Wichtig ist, dass die Sätze kurz sind und dass nicht zu viele unbekannte Wörter verwendet werden. Sehr wichtig ist, dass das Kind einen Kindergarten in der Sprache besucht, in der auch in der Schule unterrichtet wird, denn so erlernt es die Sprache gemeinsam mit den anderen Kindern und den Erziehern. Wenn man bei seinem Kind bemerkt, dass es sprachlich weit hinter den Altersgenossen zurückbleibt, reicht womöglich die sprachliche Stimulierung zu Hause oder im Kindergarten nicht aus. Dann ist es empfehlenswert, eine logopädische Behandlung aufzusuchen.
Wie der „Kampf ” mit der Zweisprachigkeit in der Praxis aussieht, erfährt KOSMO von der Familie Smajić, deren jüngste Mitglieder von Geburt an mit zwei Sprachen gleichermaßen konfrontiert sind, dem Deutschen und dem Bosnischen.
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