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VERBRECHEN

Der Handel mit Babys: Sara sucht ihre Schwester!

Erste Hinweise auf Betrug
Fünfzehn Tage, nachdem ihre Welt zusammengebrochen war, gingen Saras Eltern nach Slowenien und lebten für eine Weile in Ljubljana. Etwa sechs bis sieben Monate später wurden sie von den Ärzten in Belgrad benachrichtigt, sie könnten kommen und den Obduktionsbefund abholen.

 „Meine Tante bemühte sich monatelang um den Befund, da meine Familie ja nicht mehr in Belgrad lebte, und am Ende erhielt sie irgendein Papier, auf dem stand, dass die Lungenflügel des Kindes nicht ausreichend entwickelt waren und dass das Baby daran verstorben sei. Dieses Papier trug keinen Stempel und keine Beglaubigung und war vollkommen unprofessionell verfasst. Meine Mutter ging mit diesem Papier zu einem Arzt in Ljubljana. Er sagte, dieser Befund sei völlig unseriös und müsse neu ausgestellt werden.“

Dieser ungewöhnliche Obduktionsbefund weckte bei Saras Eltern Zweifel an der Todesursache ihrer Tochter. (FOTO: Privatarchiv)

Dieser ungewöhnliche Obduktionsbefund weckte bei Saras Eltern Zweifel an der Todesursache ihrer Tochter. Jahre vergingen, und sie machten sich die ganze Zeit Vorwürfe, weil sie nicht darauf bestanden hatten, das Baby noch einmal zu sehen. Zwanzig Jahre später, im Jahre 2015, erschienen in den Medien erste Berichte über Babys, die aus Geburtskliniken gestohlen worden waren. Die Affäre kam ans Licht und die Gojićs ließ der Gedanke nicht mehr los, dass ihre Tochter möglicherweise gar nicht gestorben ist, sondern geraubt wurde.

 „Bis 2015 hatten sie keinerlei Dokumente und auch nicht den Verdacht, dass jemand das Baby gestohlen haben könnte. Dann fanden sie auf der Internetseite eines Vereins von Eltern gestohlener Babys Hinweise, wie sie an bestimmte Dokumente kommen könnten. Sie stellten bei den zuständigen Behörden in Belgrad Anträge und bemerkten gewisse Ungereimtheiten“, erzählt uns Sara.

Ungereimtheiten
„Das Kind war weiblich und es gab eine Einheitliche Matrikelnummer des Bürgers (JMBG). Diese Nummer kann niemandem zugeteilt werden, der keinen Namen hat. Meine Schwester sollte Maja heißen, aber meine Eltern sind leider nicht dazu gekommen, ihr diesen Namen zu geben. Dennoch wurde in diesem Fall eine Matrikelnummer, d.h. eine synthetische Nummer, wie die Eltern gestohlener Babys sie nennen, eingetragen, weil jemand sie für irgendetwas gebraucht hatte. Wir überprüften sie in der Datenbank und stellten fest, dass es sie überhaupt nicht gab. Im Auszug aus dem Matrikelbuch der Verstorbenen steht, dass ein männliches Baby gestorben sei, wobei der Todestag vor dem Geburtsdatum datiert. Als Todesdatum wurde nämlich der 18.10.1995 eingetragen und erst ein paar Tage später, und zwar mit dem 23.10.1995, wurde auch das Geburtsdatum eingetragen. Diese Auszüge erhielten sie von der Gemeinde Novi Grad, Belgrad.“

Ein weiteres Indiz dafür, dass das Kind der Gojićs nicht gestorben, sondern geraubt worden war, ergab sich in Verbindung mit seiner Bestattung.

„Das öffentlich-kommunale Unternehmen ‚Pogrebne usluge‘ Belgrad teilte uns mit, dass  auf dem Friedhof, auf dem die Bestattung angeblich stattgefunden hat, keine Daten zur Bestattung eines Babys vorlägen, das am 24.9.1995 unter dem Familiennamen Gojić geboren wurde.

Aber dies sind nicht die einzigen Widersprüche. Die Ärztin im „Narodni Front“ hatte Saras Mutter mitgeteilt, ihr Kind sei zwischen 11.30 und 12.00 Uhr verstorben, aber in den Papieren steht, dass der Tod erst gegen 12.30 eingetreten sei. Außerdem heißt es im Obduktionsbefund, dass das Kind eine Frühgeburt gewesen sei, was auch nicht der Fall war.

Die Suche nach der geraubten Schwester
Im Laufe der Zeit stellte sich heraus, dass die Geschichte der geraubten Kinder bei allen betroffenen Familien dieselbe war: vom Zeitpunkt der Todesnachricht, über das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte, bis hin zum Auftauchen von Dokumenten, die voller Widersprüche waren. In Serbien bestehen heute mehrere Vereine von Eltern gestohlener Babys, aber auch sie sind nicht in der Lage, diese Affäre aufzuklären und die geraubten Kinder zu finden. Darum hat sich Sara entschieden, sich selbst auf die Suche zu machen. Sie hofft, über Bekannte, Freunde, Familienmitglieder und andere hilfsbereite Menschen in den sozialen Netzwerken auf ihre verschwundene Schwester zu stoßen.

 „Ich würde mich freuen, wenn sich alle Mädchen melden würden, die 1995 geboren wurden und einen Verdacht oder Zweifel haben, dass sie adoptiert sein könnten. Auf Facebook habe ich meine Fotos hochgeladen und hoffe, dass zwischen mir und meiner Schwester vielleicht eine Ähnlichkeit besteht. Außerdem habe ich einen Text in drei Sprachen geschrieben: in Deutsch, Englisch und Serbisch. Ich habe eine DNA-Analyse gemacht und hoffe, dass ich meine Schwester finden werde. Was das Geburtsdatum betrifft, glaube ich, dass sie diese Daten im Krankenhaus geändert haben. Daher ist nicht der Geburtstag, sondern nur das Jahr wichtig.“

Molim vas RT ! Tražim rođenu sestru! Hvala !

Posted by Sara Gojic on Tuesday, 26 January 2021

Seitdem sie ihre Suche gestartet hat, haben sich mehrere Mädchen bei Sara gemeldet, die dasselbe Problem haben und ebenfalls nach einer Schwester oder einem Bruder suchen. Und es haben auch einige junge Leute geschrieben, die adoptiert wurden.

 „Eine hat mir sogar erzählt, dass sie auf diese Weise adoptiert wurde. Ihre jetzigen Eltern haben ihr gesagt, dass sie einfach keine Kinder bekommen konnten und es auf alle möglichen Arten versucht haben, bis sie dann ins Krankenhaus gegangen sind und für ein Baby bezahlt haben. Damals ging das über die Ärzte und Leute in höheren Positionen, die behaupteten, die Babys würden zur Adoption freigegeben, weil ihre Mütter sie nicht wollten. Ich bemühe mich, allen Mädchen, die sich bei mir melden, Unterstützung anzubieten, und ich rate ihnen, eine DNA-Analyse zu machen. Ich habe meine über die Website ‚MyHeritage‘ gemacht. Diese Analyse ist der sicherste Indikator. Ich glaube, dass viele Kinder, die aus den Geburtskliniken gestohlen wurden, nicht wissen, dass sie adoptiert sind. Oder wenn sie es wissen, wissen sie nicht, unter welchen Bedingungen das geschehen ist. Meinen Eltern habe ich gesagt, dass ich meine Schwester über die sozialen Netzwerke suchen will, und sie haben mich unterstützt. Ich mache das alleine und arbeite nicht mit irgendwelchen Vereinen zusammen“, zeigt sich Sara sicher in ihrem Entschluss.

Wenn Ihr glaubt, Informationen zu haben, die Sara helfen könnten ihre Schwester zu finden, könnt ihr euch ganz anonym unter der E-Mail-Adresse saragojic11@hotmail.com melden.