Start Politik
INTERVIEW

„Der Westbalkan ist mir eine Herzensangelegenheit“

(FOTO: BMEIA)

Wir sprachen mit dem Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten, Michael Linhart, über seine neue Funktion, Pläne sowie die EU-Perspektive des Westbalkans.

KOSMO: Was steht für Sie als neuer Außenminister ganz oben auf der Prioritätenliste?
Michael Linhart: Dass die Wahl meiner ersten Auslandsreise auf Bosnien-Herzegowina fiel, zeigt, dass der Westbalkan für mich eine absolute Priorität, eine Herzensangelegenheit ist. Neben der Vervollständigung des Mosaiks der EU um die Staaten des Westbalkan, sind für mich aber auch eine starke transatlantische Partnerschaft und der Einsatz für unsere Wirtschaft im Rahmen der Initiative ReFocus Austria die thematischen Grundpfeiler für meine Außenpolitik.

Sie haben gesagt, dass Ihr geplanter Besuch am Westbalkan bzw. in Bosnien-Herzegowina eine Herzensangelegenheit ist. Wie möchten Sie die EU-Beitrittsverhandlungen der Westbalkanstaaten vorantreiben?
Für mich ist wichtig, dass auch die EU ihre Zusagen einhält: Wenn die Westbalkanstaaten ihre Aufgaben und alle notwendigen Kriterien erfüllt haben, muss auch die EU ihren Teil der Vereinbarungen halten. Österreich spielt hier insofern eine Rolle, da wir beharrlich auf unsere EU-Partner einwirken, rasch die nächsten Schritte zu gehen. Denn es geht um nichts weniger als die Gefährdung der Glaubwürdigkeit der EU und des gesamten Erweiterungsprozesses.

Die Beitrittsverhandlungen werden durch zahlreiche Probleme innerhalb des Balkans begleitet. Eines davon ist, dass Bulgarien Mazedonisch nicht als offizielle Sprache anerkennt. In der Politik herrscht die Meinung, dass sich die Beziehungen zwischen Bulgarien und Nordmazedonien nach den Wahlen in Bulgarien im November verbessern werden. Sehen Sie „das Licht am Ende des Tunnels”?
Wir müssen optimistisch bleiben und vertrauen, dass es nach den Wahlen in Bulgarien zu einer Stabilisierung der politischen Verhältnisse kommt. Es darf einfach nicht sein, dass offene Themen zwischen zwei Staaten den Beitrittsprozess blockieren. Wir haben stets an beide Seiten appelliert, Flexibilität zu zeigen und die bilateralen Fragen außerhalb des Erweiterungsprozesses zu klären – das werden wir auch weiterhin tun.

„Wenn die Westbalkanstaaten alle notwendigen Kriterien erfüllt haben, muss auch die EU ihren Teil der Vereinbarungen halten.”

Wie schätzen Sie die Chancen für einen raschen Beitritt von Serbien und Bosnien-Herzegowina angesichts der Probleme mit dem Kosovo und der bosnischen Entität Republika Srpska ein?
Der Dialog zwischen Belgrad und Priština ist für die Sicherheit und Stabilität der ganzen Region wichtig. Wir haben großes Vertrauen in den EU-Sonderbeauftragten Miroslav Lajčák, der in diesem Dialog vermittelt. Ich bin sicher, dass die beiden Parteien mit seiner Unterstützung zu einer guten Lösung kommen können. Wie rasch das gelingt, hängt letztlich nur von Serbien und Kosovo ab. Österreich fordert jedenfalls beide Parteien auf, Weitsicht und Kompromissbereitschaft zu zeigen, auf einseitige Maßnahmen und Provokationen zu verzichten und mit der Normalisierung ihrer Beziehungen möglichst bald einen großen Schritt in Richtung EU zu machen.

Von 1992 bis 1995 waren Sie stellvertretender Botschaftsleiter in Zagreb. Was können Sie aus dieser Zeit für Ihre jetzige Arbeit mit dem Balkan mitnehmen?
Zu meiner Zeit an der Botschaft in Zagreb befand sich Kroatien im Kriegszustand und auch die kroatische Hauptstadt war 1995 zweimal Ziel von Raketenangriffen. Das war damals auch für uns an der Botschaft eine sehr schwierige und belastende Zeit. Aber wenn man zusammensteht und einander stützt, kann man auch solche traumatischen Situationen bewältigen. Nach den schmerzhaften Erfahrungen in den 90er-Jahren ist für mich wichtig, dass wir als internationale Gemeinschaft alles daransetzen, damit potenzielle Konflikte möglichst frühzeitig entschärft werden. Deshalb müssen wir auch Bemühungen in der Region um Aussöhnung und objektive Aufarbeitung der Geschichte tatkräftig fördern. 

Wie wirkt sich Ihrer Meinung nach die Affäre rund um Sebastian Kurz auf Österreichs Ruf in der diplomatischen Welt aus?
Natürlich wurde darüber berichtet und die Situation genau beobachtet, ich habe das in Paris selbst miterlebt. Nichtsdestotrotz handelt es sich dabei aber nur um eine Momentaufnahme, die nicht darüber hinwegtäuscht, dass Österreich als tief europäisch verwurzeltes Kulturland wahrgenommen wird und als verlässlicher, solidarischer Partner in der EU gilt.   

Bei Ihrer Antrittsrede im Nationalrat haben Sie gesagt, dass Sie sich von jenen Werten werden leiten lassen, die Sie auch in den vergangenen Jahren im diplomatischen Dienst begleitet haben. Was sind Ihre Grundwerte in der Politik und Diplomatie?
Meine Grundwerte sind Dialog und Verbindlichkeit bei klarer inhaltlicher Position im Einsatz für Österreich. Zugleich will ich meine Außenpolitik so anlegen, dass sie auf Grundfreiheiten, auf Menschenrechten, gegen Antisemitismus und auf Dialog und Verhandlungen basiert.

„Der Dialog zwischen Belgrad und Priština ist für die Sicherheit und Stabilität der ganzen Region wichtig. Österreich fordert beide Parteien auf, Kompromissbereitschaft zu zeigen.” (FOTO: BMEIA)

Österreich hat sich deutlich für den Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, dem Land, in dem Sie geboren sind, geäußert. Unterstützen Sie diese Position und wie haben Sie vor, die guten Beziehungen zur Türkei wieder aufzubauen?
Ich bin für eine klare Sprache. Wir sehen diese Türkei nicht in der EU, aber wir wollen ein enges Verhältnis mit der Türkei. Ich hatte bereits ein erstes gutes Telefonat mit dem türkischen Außenminister. An unserer bisherigen Haltung ändert das aber nichts.

Hat Österreich vor, mit dem neuen Regime in Afghanistan zusammenzuarbeiten und wie kommentieren Sie die Vorwürfe, dass Österreich den Geflüchteten nicht genug hilft?
Wir haben bereits sehr viel getan für Afghanistan. Mit 20 Millionen Euro haben wir das größte humanitäre Soforthilfepaket für Afghanistan bereitgestellt. Zudem leben in Österreich bereits 44.000 Afghaninnen und Afghanen, das ist die viertgrößte Community weltweit. Frankreich beispielsweise müsste noch einmal 300.000 Afghanen aufnehmen, um auf das gleiche Pro-Kopf-Verhältnis zu kommen wie Österreich.