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INTERVIEW

Rainer Will: „Die Corona-Krise hat einen digitalen Urknall im Handel ausgelöst”

Rainer Will; „Gerade der Handel ist kein Corona-Hotspot” (FOTO: Stephan_Doleschal)

Wir sprachen mit dem Geschäftsführer des Handelsverbandes Rainer Will über die Auswirkungen der Corona-Krise auf den Handel sowie über mögliche Lösungen.

KOSMO: Die Prognosen zeigen, dass nach den Lockdowns im Jahr 2020 Österreich mit einem Wertschöpfungsverlust von 33,8 bis 40,4 Milliarden Euro bis März rechnen kann. Stimmen diese Prognosen und was sind Ihre Einschätzungen?
Rainer Will: Ein Wertschöpfungsverlust von bis zu 40 Milliarden Euro ist durchaus realistisch. Auch die jüngste WIFO Schnellschätzung hat den negativen Konjunkturausblick des Handelsverband-Konsumbarometers sowie die massiven Auswirkungen des zweiten und dritten Lockdowns auf die heimische Volkswirtschaft bestätigt. Im 4. Quartal 2020 ist das österreichische BIP um 7,8 Prozent im Vergleich zu 2019 eingebrochen. Die WIFO Zahlen belegen überdies einen massiven Rückgang der privaten Konsumausgaben im November und Dezember. Im Handel betreffen die negativen Auswirkungen der Krise jedoch fast ausschließlich die stationären Geschäfte. Hier lag der inflationsbereinigte Umsatzrückgang 2020 bei mindestens 5 Prozent. Pro Lockdown-Woche muss unsere Branche einen Verlust von bis zu einer Milliarde Euro verkraften. Am stärksten sind KMU-Händler mit Geschäftsflächen betroffen.

Das Land ist mit der größten Arbeitslosenquote in der zweiten Republik konfrontiert. Wie viele Menschen im Handelsbereich sind ohne Arbeit geblieben? Wie greifen Ihrer Meinung nach die Maßnahmen der Regierung, um Arbeitsplätze zu erhalten?
Richtig, Ende Jänner 2021 waren mehr als 535.000 Menschen in Österreich arbeitslos gemeldet und 470.000 in Kurzarbeit. Allein im Handel – dem zweitgrößten Arbeitgeber des Landes – sind die Arbeitslosenzahlen im Vorjahr Corona-bedingt um ein Drittel angestiegen. Viele Corona-Hilfen kommen nicht schnell genug an und wenn, dann decken sie in manchen Fällen gerade die Grundbedürfnisse. Es geht aber um deutlich mehr: Um das Bezahlen der Gehälter, der Miete und auch der nicht verkauften Ware. e länger die Lockdowns dauern, desto mehr vitale Unternehmen kommen unter die Räder. Nicht das Virus kostet uns Arbeitsplätze, sondern die zu langsame, zu bürokratische Hilfe. Daher hat der Handelsverband auch die Online-Petition #arbeitsplaetzeretten ins Leben gerufen, die bereits von fast 7.000 UnterstützerInnen unterzeichnet wurde. Wir rufen alle MitbürgerInnen auf, unsere Wirtschaft, die heimischen Arbeitsplätze und Lehrstellen mit ihrer virtuellen Unterschrift zu unterstützen.

Wie sieht es hinsichtlich der Unternehmen aus? Gibt es Statistiken darüber, wie viele aufgrund der Corona-Pandemie insolvent wurden bzw. wie viele womöglich kurz davorstehen?
Unsere aktuelle Händlerbefragung spricht eine deutliche Sprache: Jeder zweite Händler hat Existenzängste, jeder Vierte kann seine Rechnungen nicht bezahlen, 10.000 Handelsunternehmen sind bereits zahlungsunfähig oder stehen kurz davor. Damit wackeln hierzulande 100.000 Jobs. In vielen anderen Branchen ist die Lage ähnlich dramatisch. Die Insolvenz-Lawine rollt. Konsum ist Psychologie. Nur wenn der eigene Arbeitsplatz abgesichert ist und man wirtschaftlich langfristig planen kann, geht man gerne einkaufen. Fast 40 Prozent der Konsumenten kaufen jetzt in der Krise deutlich weniger, jeder Zehnte beschränkt sich auf lebensnotwendige Güter. Die auf 15% gestiegene Sparquote der Österreich ist stiller Zeuge einer kollektiven Verunsicherung. Daher brauchen wir jetzt dringend wieder ein Klima der Zuversicht.

„Die Corona-Krise zeigt eindringlich, wie wichtig sowohl die Lehre als auch die Vermittlung digitaler Fertigkeiten für eine erfolgreiche Zukunft sind.”

– Rainer Will

Ihrer Meinung nach, muss das Leben in diesem Jahr nach dem Motto „Leben und Wirtschaft mit dem Virus“ geführt werden. Wie sehen Ihre Lösungen konkret aus?
Wir haben vier konkrete Empfehlungen an die Bundesregierung:  Weitere harte Lockdowns um jeden Preis vermeiden Wir begrüßen die Wiedereröffnung der heimischen Geschäfte ab dem 8. Februar und appellieren gleichzeitig an die Bundesregierung, künftige harte Lockdowns unbedingt zu vermeiden. Gerade der Handel ist kein Corona-Hotspot und hat sich immer gemeinsam mit den KundInnen an alle Sicherheits- und Hygienekonzepte gehalten. Eine Studie der renommierten US-Universität Stanford zeigt überdies, dass Geschäftsschließungen aufgrund der kurzen Aufenthaltsdauer und des losen Kundenkontakts de facto keinen Effekt auf das Corona-Infektionsgeschehen haben.

  • Hilfen für direkt und indirekt betroffene Unternehmen rasch und fair ausbezahlen
    Die Politik muss halten, was versprochen wurde: Ein rascher und fairer Schadenersatz, der tatsächlich bei den Unternehmen ankommt. Für alle Betroffenen und über die gesamten Lockdown-Zeiträume. Nur so können die Arbeitsplätze, das Einkommen der Mitarbeiter und das Überleben der Unternehmen gesichert werden.
  • Transparente Test-und Impfstrategie
    Es braucht eine bundesweite, freiwillige Test- und Impfstrategie mit Positiv-Anreizen (z.B. Gutscheine). Angebote der stärkeren Einbindung privatwirtschaftlicher Unternehmen beim freiwilligen Testen sollten angenommen werden. Transparenz und seriöse Aufklärung in aller Offenheit sind das A und O für die Schaffung eines Bewusstseins für die Wichtigkeit und den Sinn von Corona-Maßnahmen.

Hinzu kommt: Während heimische Unternehmen Milliarden an Gebühren, Abgaben und Steuern leisten und damit die Sozialtöpfe finanzieren, kassieren digitale Giganten ohne Betriebsstätte in Österreich Jahr für Jahr Steuergutschriften. Erstere zahlen die Krisenschulden, während letztere unseren Staatshaushalt belasten, ohne etwas zum Gemeinwohl beizutragen. Daher fordern wir mehr Fair Play sowie eine faire Besteuerung von Amazon und Co.

Hat die Corona-Pandemie im Handel neue Geschäftsfelder eröffnet, die es in Zukunft auszubauen gilt bzw. hat das Virus die Berufsfelder verändert?
Während der stationäre Handel massiv unter Druck steht, sieht die Situation im Onlinehandel ganz anders aus: 2020 haben wir im eCommerce ein Umsatzwachstum von mehr als 30 Prozent auf rund 8,5 Milliarden Euro verzeichnet.  Die Umsätze beim Smartphone Shopping (Mobile Commerce) sind im Vorjahr sogar um mehr als 50 Prozent gestiegen. Viele heimische Händler haben das Potenzial erkannt und in ihren Webshop investiert – eine gute Entscheidung. Denn die Rechnung ist eigentlich ganz einfach: Jeder Non-Food Händler, der nicht zumindest ein Zehntel seines Umsatzes online erwirtschaftet, muss seine digitalen Vertriebskanäle dringend verstärken. Die Corona-Krise hat jedenfalls einen digitalen Urknall ausgelöst, durch den eCommerce-Boom ist die Zahl der heimischen Webshops auf 13.500 angestiegen. Mehr als 5.000 davon sind bereits auf unserem eCommerce-Verzeichnis www.kaufsregional.at gelistet. Sehr positiv ist auch, dass wir seit Beginn der Corona-Pandemie ein deutlich gestiegenes Interesse der KonsumentInnen am regionalen Einkauf erleben. Faktoren wie Nachhaltigkeit, Qualität und lokale Produktion rücken wieder stärker in den Vordergrund. Das ist eine große Chance für die heimischen Händler und Marktplätze, mit Qualität „Made in Austria” zu punkten.

Ein dritter wichtiger Punkt ist das Thema Fachkräftemangel. Österreich braucht dringend gut ausgebildete Fachkräfte und Talente in der Digitalisierung. Der Fachkräftemangel wird uns auch 2021 begleiten, umso wichtiger sind jetzt entsprechende betriebsnahe Qualifizierungsmaßnahmen. Der Handel spielt hierbei als drittgrößter Lehrlingsausbilder des Landes mit mehr als 15.300 Lehrlingen eine zentrale Rolle. Die vom Handelsverband initiierte und 2018 von vom Wirtschaftsministerium umgesetzte eCommerce-Lehre hat sich sogar zum beliebtesten aller neuen Lehrberufe des Landes entwickelt. Nun sollte der nächste logische Schritt folgen: die Schaffung eines eigenen, 3-jährigen Aufbaulehrgangs zum „eCommerce-Fachwirt” bzw. zur „eCommerce-Fachwirtin”. Wir brauchen diese ergänzende Weiterbildungsmöglichkeit, welche die Vertiefung des fachspezifischen Wissens erlaubt und den Lehrlingen eine weitere Perspektive für die nächsten Karriereschritte eröffnet. Nach jedem Abschluss muss auch ein Anschluss möglich sein, das ist unsere Devise.