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REISEBERICHT

Ein Österreicher zum ersten Mal in Bosnien: bezaubernd und beklemmend zugleich

Sarajevo-Reisebericht
Zwischen Kriegserinnerung und Multikulti. (FOTOS: Manuel Bahrer/KOSMO)

Der Name der bosnisch-herzegowinischen Hauptstadt löst in fast jedem sofort irgendeine Assoziation aus. Sei es das Attentat von Sarajevo, das den Ersten Weltkrieg auslöste, Erinnerungen an die Belagerung im Jugoslawienkrieg, oder aber die Vorstellung eines kulturellen Melting Pots zwischen Orient und Okzident.

Gemeinsam mit meinem besten Kumpel besuchte ich über ein verlängertes Wochenende Sarajevo. Es war gleichzeitig auch meine erste Reise nach Bosnien-Herzegowina überhaupt. Und der Trip war eine Achterbahn der Gefühle und Eindrücke. Allein schon der Grenzübergang Slavonski Brod-Brod zwischen Kroatien und Bosnien-Herzegowina zeigt, in welchem Zustand sich das Land befindet.

Sobald man den Fluss Save überquert hat und in Bosnien ankommt, springen einem mit Schusslöchern übersäte und zerbombte Gebäude einfach nur so entgegen. Verlassene Tankstellen neben der Straße wurden von der Natur zurückerobert und Bäume wachsen quer durch die Tankwarthäuschen. Um ehrlich zu sein hatte das Ganze etwas von Geisterstädten aus Horrorfilmen, die allerdings traurige und erschütternde Realität sind. Die Bewohner von Brod stehen mit selbstgebauten Marktständen am Straßenrand und verkaufen selbstgestrickte Hausschuhe und ähnliche Handwerkswaren. Mir schoss sofort in den Sinn: „Ist das ihre einzige Einkommensquelle? Könnten sie sonst nicht überleben?“ Beklemmend…

Krieg wohin man sieht
Auf unserem Weg von Brod in Richtung Sarajevo änderte sich dieser erste Eindruck kaum. Bedrückend war es zu sehen, wie sehr der Krieg noch auf den ersten Blick präsent ist und selbst größere Städte wie Doboj und Zenica sahen von weiten, an diesem nebeligen Nachmittag, aus wie ein Trauerspiel. Man sieht immer abwechselnd Orte mit einer Moschee, dann kurz darauf einen Ort mit einer Kirche usw. Selten sieht man Gotteshäuser zweier verschiedenen Glaubensrichtungen in einem Dorf zusammen, ganz zu schweigen von den kroatischen, serbischen und türkischen Fahnen an diversen Institutionen und Privathäusern.

Erst die Autobahnauffahrt bei Zenica in Richtung Sarajevo zeigte, dass sich in diesem Land seit dem Krieg etwas getan hat. Die etwas in die Jahre gekommene Schnellstraße war auf einmal eine moderne Autobahn und die Kilometer in Richtung Hauptstadt wurden schnell weniger – kein Wunder, wir konnten auch schneller als die rund 70km/h von der Schnellstraße fahren.

Dann war es endlich soweit. Wir fuhren in die Vororte von Sarajevo und sahen von der Straße den Hang hinab. Erst da wurde mir klar, wo wir uns eigentlich befinden. Wir waren genau an jener Außengrenze der Stadt, wo die Armeen der bosnischen Serbien stationiert und von wo aus Sarajevo 1.425 Tagen belagert wurde. Es war die längste Belagerung einer Stadt im 20. Jahrhundert.

Kleines Jerusalem: Meeting of Cultures
In unserer Unterkunft in der Nähe des Stadtzentrums angekommen war jedoch dieses bedrückende Gefühl auf einmal wie verflogen. Sarajevo sah aus wie ein kleines Wien, voll von „westlicher“ bzw. österreich-ungarischer Architektur. Die Stadt war am späten Abend voller Leben und Lebensfreude, als wäre der Krieg nie geschehen. Der Weg von der Ewigen Flamme, einem Denkmal für die Opfer des Zweiten Weltkrieges, vorbei an der neuen orthodoxen Kirche und der Kathedrale in Richtung Baščaršija fühlte sich an wie ein Spaziergang durch eine kleinere Version der Kärntner Straße.

Am Ende der Ferhadija-Straße sah ich dann von weitem genau das, weshalb Sarajevo auch gerne als europäisches Jerusalem bezeichnet wird. Dort wo ein klassisches westliches Gebäude aufhört, fängt sofort ein typisch osmanischer Basar an – mit allem was dazugehört. Rund um die imposante Gazi Husrev Beg-Moschee reihen sich hunderte kleine ebenerdige Häuser, mit Holz-Klappen an der Fassade angebracht, die heruntergeklappt als Auslage für die vielen Waren dienen. Es gibt wirklich nichts, was man auf der Čaršija nicht finden kann. Zwischen den zahlreichen Geschäften findet man außerdem noch echte Handwerksbetriebe, sowie Restaurants, Shisha-Bars und Cafés in Hülle und Fülle. Genau an jenem Übergang zwischen Ost und West ist auch ein Kompass in den Boden eingelassen, das Meeting of Cultures. Wie es sich für richtige Touristen gehört, haben wir uns am ersten Abend gleich mal Ćevapi mit Kajmak in der berühmten Ćevabdžinica „Željo“ gegönnt.

Kulturprogramm = Kriegsprogramm?
Am zweiten Tag standen dann diverse Museumsbesuche an der Tagesordnung. Begonnen hat unser Rundgang in der Galerija 11/07/95, dem ersten Mahnmal für den Völkermord in Srebrenica. Gleich der erste Raum war, wie man in Wien so schön zu sagen pflegt, eine „feste Watsch’n“.

Auf der Wand waren tausende Portraits der Opfer angebracht, die einem direkt in die Augen blicken. Auf einer anderen Wand waren die Namen aller Opfer niedergeschrieben– mich überkam ein Schauder. Unterstrichen wurde die Präsentation der Gräueltaten mit einem Dokumentarfilm, in welchem die Mütter der Ermordeten die letzten Minuten mit ihren Liebsten erzählen. Nachdem wir das Mahnmal verließen, mussten wir erst einmal richtig durchschnaufen, es war ein Eindruck, den man einfach nicht in Worte fassen kann.

Da wir aber auf einem Kurztrip waren, machten wir nicht allzu lange Pause. Es ging gleich darauf weiter in das Museum der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Genozid, dass sich nur eine Seitengasse weiter befindet. Dort erwartet uns dasselbe Bild. Alltagsgegenstände von Kriegsopfern, ein Nachgestelltes Massengrab, sowie hunderte Bilder – traurig und interessant zugleich.

Nachdem wir uns einen bosnischen Kaffee in der Baščaršija gönnten, gingen wir über den Markt in Richtung Vijećnica, dem ehemaligen Rathaus. Das Museum darin begann irgendwie erleichternd, da es einmal nicht sofort um Krieg, Tod und Verbrechen, sondern um die Geschichte der Stadt bzw. Bosnien-Herzegowinas ging. Dieser erste Eindruck verflog aber schnell als wir in ein Zimmer kamen, in welchem ein Gerichtssaal des Kriegsverbrechertribunals von Den Haag mit Originalgegenständen und Richterkleidung nachgebaut wurde. Gleich daneben befindet sich ein Informationszentrum über das Tribunal, in welchem Bilder von Verbrechern auf der Hand hängen. Auf fast allen war ein fetter Stempel mit „kriv/guilty“ (schuldig) abgebildet.

So viel zum Thema kein Krieg im alten Rathaus – ganz zu schweigen von den Exponaten von Franz Ferdinand und seiner Gattin, die das Sarajevoer Attentat nacherzählen. Ähnliches erwartete uns auch bei der Lateiner Brücke, die früher Prinzip-Brücke hieß und Gavrilo Prinzip den österreich-ungarischen Thronfolger ermordete.

Mit der Seilbahn ging es dann auf den Trebević-Berg, wo übrigens die olympischen Winterspiele 1984 ausgetragen wurden. Dort war jedoch von Sport und dem großen Fest nichts mehr zu sehen. Eine alte devastierte Bobbahn, beschmiert mit Graffiti, ist vielmehr als Zeuge eines Kriegsschauplatzes zu verstehen. Spuren von der damaligen Euphorie rund um das große Sportereignis sucht man vergebens. Wir marschierten sicherlich eine halbe Stunde die alte Bobbahn abwärts und sahen links und rechts nur Spuren von Verwüstung und Krieg.

Im Kriegsverbrechertribunal-Zimmer der Vijećnica wurde uns empfohlen, dass wir uns am nächsten Tag unbedingt den Tunnel der Hoffnung („Tunel spasa“) ansehen müssten, der etwas außerhalb von Sarajevo liegt. Inmitten einer Vorortssiedlung in der Nähe des Flughafens, in einem gewöhnlichen Einfamilienhaus, befindet sich heute ein Museum, bzw. der Eingang zum berühmten Tunnel, durch welchen Tonnen von Gütern transportiert und tausende Menschen aus dem belagerten Sarajevo flohen. Ich glaube, dass ich euch nicht genauer erzählen muss, welch bedrückende Atmosphäre dort herrscht.

„Ich möchte nicht, dass meine Stadt als reiner Kriegsschauplatz präsentiert wird“
Geschafft von all diesen Eindrücken stießen wir zufällig auf das Kultcafé Tito unweit des Weltmuseums. Dort fühlte ich mich wie am Anfang meiner Reise, als wir im multikulturellen Stadtzentrum ankamen. Auch wenn ich persönlich kein großer Fan von Jugonostalgie und Tito-Verherrlichung bin, so fühlte ich mich dort irgendwie im wahren Sarajevo angekommen. Keine religiöse Trennung, keine Kriegserinnerungen, kein Tod, keine Einschusslöcher und kein Verbrechen – sondern einfach nur junge Menschen, die ungeachtet ihrer ethnischen Zugehörigkeit zusammenleben.

Während ich die Gespräche am Nebentisch etwas belauschte, hörte ich einen jungen Mann sagen: „Ich möchte nicht, dass die Touristen meine Stadt als reinen Kriegsschauplatz präsentiert bekommen. Hier gibt es noch viel mehr.“

Amen, Bruder! – du sprichst mir aus der Seele. Da ich selbst Serbisch/Bosnisch/Kroatisch fließend spreche, habe ich womöglich durch den Kontakt mit den Einheimischen ein etwas lebendigeres und offeneres Bild von der Stadt bekommen. Wenn ich jedoch darüber nachdenke, wie es einem 0815-Touristen nach einem Besuch in Sarajevo geht, dann muss ich mich schon fragen, ob der einzige Eindruck den die Hauptstadt Bosnien-Herzegowinas hinterlassen möchte, jener des Krieges ist.