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Macht

Enthüllt: Warum Hitler zuerst England hasste, erst danach die Juden

Fotos von Anne Frank und Adolf Hitler in der Ausstellung 'Anne Frank' im Center for Jewish History, New York.
EPA-EFE/JUSTIN LANE

Vom gescheiterten Künstler zum Diktator: Hitlers Aufstieg wurzelte in einer Weltanschauung, die früher entstand als gedacht und überraschende Feindbilder offenbart.

Am 30. April 1945 endete in einem Berliner Bunker das Leben des Mannes, der für die dunkelsten Kapitel der Menschheitsgeschichte verantwortlich zeichnet. Über Adolf Hitler wurden mehr als 120.000 Bücher verfasst – und dennoch bleibt der Holocaust als Inbegriff des „radikalen Bösen“ ein Phänomen, das sich mit zunehmendem zeitlichen Abstand immer hartnäckiger einem vollständigen Verständnis entzieht.

Besonders bemerkenswert erscheint dabei Hitlers frühe Faszination für die angelsächsische Welt, die ihn einerseits mit Bewunderung für deren zivilisatorische Errungenschaften, andererseits mit tiefer Angst vor einer vermeintlichen Bedrohung des Deutschtums erfüllte.

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Die Nachkriegsjahre nach 1918 stürzten Deutschland in eine tiefe Krise. Der Versailler Vertrag hatte dem Land nicht nur die Monarchie genommen, sondern auch weite Gebiete abgetrennt und erdrückende Reparationszahlungen auferlegt. Die Besatzung durch fremde Truppen, darunter auch Soldaten aus den Kolonien, verstärkte das Gefühl der Demütigung. Viele Deutsche empfanden ihr Land als Kolonie eines globalen Systems, in dem selbst die biologische Substanz des Volkes durch Blockade und Auswanderungsdruck bedroht schien.

Hitler erlebte diese Umbrüche aus einer besonders prekären Position heraus. Seine persönliche Lage war noch marginaler als die der meisten Deutschen, während ihn der Zustand des Reiches stärker quälte als viele seiner Landsleute. In seiner Suche nach Erklärungen identifizierte er bald den „anglo-amerikanischen und jüdischen internationalen Kapitalismus“ als Hauptschuldigen für Deutschlands Demütigung – ein System, das seiner Ansicht nach verschiedene Instrumente, insbesondere den revolutionären Kommunismus, nutzte, um das Reich in Unterwerfung zu halten.

In seinem „Brief an Gemlich“ vom September 1919, Hitlers erstem längeren politischen Text, definierte er das jüdische „Problem“ teilweise als medizinische Frage, indem er Juden als „rassische Tuberkulose der Völker“ bezeichnete. Bemerkenswert ist, dass sein früher Antisemitismus im Kern weniger antikommunistisch als vielmehr antikapitalistisch geprägt war.

Er sprach vom „Tanz um das goldene Kalb“ und der „Majestät des Geldes“. Dabei betonte er die angeblich transnationale Verbindung zwischen Juden in Deutschland, Polen und den USA. Auffällig ist, dass Hitler zu diesem Zeitpunkt, zwei Jahre nach der Russischen Revolution, kaum Bezug auf Kommunismus, Bolschewismus oder die Sowjetunion nahm.

Hitlers Feindschaft gegenüber den Juden entwickelte sich also, bevor er zum überzeugten Gegner des russischen Bolschewismus wurde. Ab November 1919 attackierte er in seinen öffentlichen Reden vor allem „die absoluten Feinde England und Amerika“. Großbritannien, so seine Behauptung, wolle Deutschland daran hindern, eine Weltmacht zu werden, um ihr „Weltmonopol“ nicht zu gefährden. Amerika sei als „geldorientierter Staat“ in den Krieg eingetreten, um nicht das geliehene Geld zu verlieren. In dieser Rhetorik wurden die Begriffe „Amerikaner“ und „Juden“ nahezu austauschbar verwendet.

Ideologische Grundlagen

Tatsächlich wurde Hitler ein Feind der Briten und Amerikaner, bevor er zum Feind der Juden wurde. Er wurde sogar in erheblichem Maße zum Feind der Juden, weil er die anglo-amerikanischen kapitalistischen Mächte bekämpfte. „Wir kämpfen gegen die Juden“, verkündete er Anfang 1920, „weil sie den Kampf gegen den Kapitalismus verhindern.“

Russen und Franzosen hingegen betrachtete er als Feinde einer milderen Kategorie, die „aufgrund der unglücklichen Situation und anderer Umstände“ feindlich gesinnt seien.

Im Zentrum seiner Weltanschauung stand die Suche nach Erklärungen für die deutsche Niederlage. Die vermeintlichen Brüche innerhalb der deutschen Gesellschaft spielten dabei eine zentrale Rolle. Hitler kritisierte den „inneren Internationalismus“ der Sozialdemokraten und unabhängigen Sozialisten, denen angeblich die Loyalität zu ihren Klassengenossen wichtiger war als die zur Nation. Auch den deutschen Partikularismus, besonders in Bayern, sah er als Bedrohung für die Integrität des Reiches. Der Hauptfeind im Inneren waren jedoch die Juden, die Deutschland „einen Dolch in den Rücken gestoßen“ hatten.

Anfang 1920 bezog Hitler ein bescheidenes Zimmer in der Münchner Thierschstraße 1, im Arbeiterviertel Lehel. Bemerkenswert ist, dass sein Nachbar Hugo Erlanger, ein jüdischer Kriegsveteran, später sogar sein Vermieter wurde. Die beiden Männer begegneten sich oft und grüßten sich freundlich – Erlanger konnte sich später an keine Feindseligkeit seitens Hitler erinnern. Dies wirft ein bezeichnendes Licht auf Hitlers Persönlichkeit: Sein Antisemitismus hatte etwas deutlich Abstraktes, was ihn nicht daran hinderte, durchaus herzliche persönliche Beziehungen zu einzelnen Juden zu pflegen – ein Phänomen, das unter Antisemiten jener Zeit nicht ungewöhnlich war.

Aufstieg zur Macht

Der Ikonografie seiner Bewegung schenkte Hitler große Aufmerksamkeit. Das schwarze Hakenkreuz im weißen Kreis auf rotem Hintergrund erschien erstmals im August 1920 als offizielles Parteiemblem. In einer seiner seltenen Ausflüge ins Okkulte pries Hitler das Hakenkreuz als „Symbol der Sonne“, das den „Kult des Lichts“ innerhalb der „auf arischer Kultur basierenden Gemeinschaft“ nicht nur in Europa, sondern auch in Indien und Japan verkörpere. „Rot ist sozialistisch, weiß ist national und das Hakenkreuz ist antisemitisch“, erklärte er später.

Die Partei inszenierte Hitler als „charismatischen“ Führer, der Deutschland aus der Unterwerfung befreien würde. In den folgenden Monaten hielt er zahlreiche Reden in Münchner Bierhallen, wobei er seine Posen vor dem Spiegel einstudierte. Bis Ende des Jahres trat er 27-mal in München und zwölfmal außerhalb auf. Anfang 1921 hörten etwa 5.600 Menschen seine Rede über den Versailler Vertrag im Zirkus Krone. Sein erster Biograf Konrad Heiden erinnerte sich, dass Hitlers Erfolg darin lag, die Menschen im Publikum zu „Teilnehmern“ statt zu bloßen „Zuhörern“ zu machen.

In seinen Reden behauptete Hitler, die Alliierten wollten Deutschland vollständig vernichten und deutsche Kinder durch Hunger aussterben lassen. In den Reparationsforderungen sah er einen Plan, die deutsche Bevölkerung zu reduzieren – gemäß Clemenceaus angeblicher Politik, „zwanzig Millionen überschüssige“ Deutsche zu eliminieren. Der Hauptschuldige sei jedoch Großbritannien als „Herrin der Zerstörung der Volksgesundheit“. Der Versailler Vertrag sei daher nur die Fortsetzung der Kriegsblockade mit anderen Mitteln.

Das Hauptziel dieser vermeintlichen Strategie sei die Verringerung der deutschen Bevölkerung, teilweise durch Hunger, hauptsächlich aber durch erzwungene Auswanderung. „Die Entente rät uns zur Auswanderung, um uns zu ernähren, und um hier Platz für osteuropäische Juden zu schaffen“, klagte er. Mit anderen Worten: Hitler fürchtete einen „Bevölkerungsaustausch“ zu Lasten Deutschlands.

Diese Vorstellungen waren in eine breitere Kritik des europäischen Imperialismus eingebettet. Einerseits verurteilte Hitler das Britische Empire scharf und fragte rhetorisch: „Wo war das Gesetz, als Großbritannien China und Indien mit Opium und Nordamerika mit Alkohol füllte, um sich die Unterwerfung der dortigen Eingeborenen zu erleichtern?“ Er beschuldigte Großbritannien auch, die irische Bevölkerung durch die Hungersnot halbiert und „zynisch zugelassen“ zu haben, dass 29.000 burische Frauen in den „Konzentrationslagern Südafrikas“ starben.

Die Vorstellung, dass Deutschland versklavt und auf den Status einer afrikanischen Kolonie reduziert würde, war damals weit verbreitet – nicht nur in rechten Kreisen. Selbst Viktor Klemperer, ein jüdischer Veteran und späteres Opfer des Nationalsozialismus, verglich die Situation Deutschlands mit der des Kongo. Viele Deutsche empfanden die Besatzung, die Reparationen und die Anwesenheit kolonialer Besatzungstruppen nicht nur als Unterwerfung, sondern auch als eine Art Kastration – ein Gefühl, das vom rechten Rand bis zur SPÖ und sogar unter Frauenrechtsgruppen verbreitet war.

Hitler lehnte auch die Idee ab, Deutschlands Probleme durch Wirtschaftswachstum und Handel zu lösen. Er kritisierte die „rein wirtschaftliche Betrachtung der Dinge“ als „den größten Fehler der deutschen Politik“. „Die friedliche Übernahme der Weltmacht durch unsere Wirtschaft, auf die wir gehofft hatten“, behauptete er, „ist gescheitert.“

Für Hitler war die Wirtschaft zweitrangig: „Die Hauptsache ist der Nationalstolz und die Liebe zum Vaterland.“ Die Rettung Deutschlands müsse mit einer tiefgreifenden inneren Transformation beginnen, einer „inneren Reinigung“ und „Erwürgung der Schlange, die in uns ist“.