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Historische Proteste: Bringt Serbiens Jugend Vucic zu Fall?

FOTO: FOTO: EPA-EFE/OLIVIER HOSLET
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Ein tragisches Unglück in Novi Sad entfacht die größte Massenbewegung Serbiens seit Jahrzehnten. Die Demonstranten fordern tiefgreifende Veränderungen.

Die Straßen Serbiens sind in Aufruhr. Was als lokale Protestbewegung von Schülern und Studenten in Novi Sad begann, hat sich zur größten Massenbewegung seit dem Sturz von Slobodan Milosevic vor 25 Jahren entwickelt. Tausende Demonstranten fordern Gerechtigkeit nach dem tödlichen Einsturz eines Bahnhofsvordachs und machen die serbische Regierung unter Präsident Aleksandar Vucic für das Unglück verantwortlich. Doch die Proteste sind längst mehr als nur ein Aufschrei gegen Korruption – sie sind zu einem Symbol des Kampfes für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Serbien geworden.

Am 1. November ereignete sich ein tragisches Unglück in Novi Sad: Das Vordach des Bahnhofs stürzte ein und begrub zahlreiche Menschen unter den Trümmern. 14 Menschen starben, mehrere wurden schwer verletzt. Die ersten Proteste begannen als stille Trauerkundgebungen für die Opfer. Doch schnell wuchs die Wut der Menschen. Die Demonstranten warfen der Regierung Versagen und Korruption vor und beschuldigten Vucic, die Ermittlungen zu verschleppen, um politische Verbündete zu schützen.

Proteste breiten sich aus

Die Proteste, die von Schülern und Studenten initiiert wurden, breiteten sich rasch im ganzen Land aus. Universitäten und Gymnasien wurden besetzt, Straßen und Brücken blockiert. Immer mehr Teile der Bevölkerung schlossen sich an – darunter Landwirte, Lehrer, Anwälte und Oppositionspolitiker. Psychologieprofessorin Tamara Jamon von der Universität Belgrad sieht die besondere Stärke der Bewegung in ihrer Struktur: flache Hierarchien, klare Ziele und breite Unterstützung. Eine Umfrage ergab, dass 61 % der Serben die Proteste befürworten. Sogar serbische Intellektuelle und Kulturschaffende mischen sich ein. In einem offenen Brief an die EU forderten sie Brüssel auf, die Demokratiebewegung in Serbien aktiv zu unterstützen.

Kritik an Vucic

Die Proteste richten sich direkt gegen Präsident Aleksandar Vucic. Die Demonstranten werfen ihm und seiner Regierung Vetternwirtschaft, Korruption und zunehmenden Autoritarismus vor. Vucic, einst Journalist und Minister in der Ära Milosevic, wurde 2014 Ministerpräsident und 2017 zum Präsidenten gewählt. Seitdem baute er seine Macht mit repressiven Maßnahmen weiter aus: Einschränkung der Pressefreiheit, Manipulation der Wahlen und Verstrickung in Korruption. Laut Transparency International (Organisation gegen Korruption) liegt Serbien auf dem Korruptionsindex (Messung der Korruption) mit nur 36 von 100 Punkten weit unten.

Die Massenproteste zeigen Wirkung: Ende Januar trat der serbische Regierungschef zurück – ein enger Vertrauter Vucic, der einst Bürgermeister von Novi Sad war. Ihm wird vorgeworfen, Bestechungsgelder von einem chinesischen Konsortium (Unternehmensgruppe aus China) angenommen zu haben, das für die Renovierung des Bahnhofs verantwortlich war. Doch für die Demonstranten ist das nur ein Bauernopfer. Sie fordern den Rücktritt von Vucic selbst.

Trotz der Proteste bleibt Vucic bisher unbeirrt. Neuwahlen hält die Opposition für keine echte Option, da vergangene Wahlen mutmaßlich manipuliert wurden. Stattdessen fordert sie eine Übergangsregierung – doch Vucic zeigt sich unnachgiebig.

Noch nie war der Druck auf die serbische Regierung so groß. Die Demonstranten haben es geschafft, eine breite gesellschaftliche Bewegung zu formen, die weit über den ursprünglichen Anlass hinausgeht. Sie kämpfen nicht nur für Gerechtigkeit nach einer Tragödie, sondern für ein neues, demokratisches Serbien. Ob sie langfristig Erfolg haben, bleibt abzuwarten. Doch eines ist sicher: Die Studentenbewegung hat Serbien verändert – und Vucics Herrschaft ins Wanken gebracht.