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REPORTAGE

„Ich will die österreichische Staatsbürgerschaft nicht!“

FOTO: KOSMO; iStockphoto

Nach der Übersiedelung aus der Heimat ins Ausland nehmen die meisten unserer Landsleute die neue Staatsbürgerschaft an, sobald Sie die Voraussetzungen dafür erfüllen, weil sie der Meinung sind, dass ihr Leben dadurch leichter wird. Es gibt jedoch auch Menschen, die diesen Schritt nie tun.

Der Besitz einer Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis im fremden Land ist selbstverständlich, aber die Erlangung der Staatsbürgerschaft ist für viele wie die Verleihung eines wertvollen Ordens, denn dieser Schritt bedeutet Endgültigkeit, Zugehörigkeit und das vollständige Ende des Attributs „vorübergehend“, mit dem noch heute der Arbeitsaufenthalt unserer Landsleute im Ausland behaftet ist.

Allerdings denken nicht alle so und es gibt auch viele Menschen, die auch nach Jahrzehnten des Lebens und der Arbeit in Österreich keinen Antrag auf Staatsbürgerschaft gestellt haben, obwohl sie die gesetzlichen Voraussetzungen dafür erfüllen würden. Einige geben an, dass sie nie genug Zeit hatten, alle Dokumente zusammenzusammeln, anderen wären die verschiedenen Gebühren für Übersetzungen, Vollmachten etc. zu teuer gewesen, aber es gibt auch solche, die das letzte Band nicht kappen wollen, das sie noch mit dem Herkunftsland verbindet.

Allerdings haben wir auch Menschen getroffen, die der jüngeren und mittleren Generation angehören und noch einen weiten Weg bis zur Pension vor sich haben und die sich mit Nachdruck darauf vorbereiten, Österreicher zu werden. Der Grund dafür ist die Angst vor der Fremdengesetzgebung, die, wie sie meinen, für alle Migranten ein großes Hindernis darstellt. Und aus eben dieser Angst heraus wollten sie auch nicht öffentlich über ihre Besorgnisse sprechen. Am häufigsten jedoch erwähnten sie das Recht auf Sozialleistungen im Falle der Arbeitslosigkeit oder sogar die Ausweisung aus Österreich.

Dipl. Ing. Vladimir Dadić (43)
„Ich habe mich endlich entschieden!“

Vor 23 Jahren ist Vladimir Dadić nach Abschluss der Mittelschule in Belgrad zum Studium nach Österreich gekommen und entschied sich dazubleiben, weil hier bereits seine Eltern lebten.

„Ich habe an der Technischen Universität Elektrotechnik abgeschlossen, was auf dem Arbeitsmarkt sehr gefragt war. Eine Arbeitserlaubnis habe ich ohne Probleme erhalten und auch einen guten Job gefunden. So ist mein Leben in den vergangenen Jahren ohne große Turbulenzen verlaufen. Ich habe Freunde gefunden, habe mich gut integriert, einen Status erlangt, mit dem ich zufrieden bin, und ich fühle mich wohl in Österreich“, betont Vladimir.

In der Zwischenzeit hat unser Gesprächspartner eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erhalten und die Arbeitserlaubnis verlängert er alle fünf Jahre. Er hat auch das gesetzliche Recht erworben, den Antrag auf die österreichische Staatsbürgerschaft zu stellen, aber das hat er noch nicht getan.

Vladimir Dadić: „Die hiesige Mentalität ist mir vertrauter geworden.“ (FOTO: zVg.)

„Ehrlich gesagt habe ich über diese Option nachgedacht, als es noch Voraussetzung war, dass man zehn Jahre in Österreich gelebt hat. Leider wurde dieses Gesetz geändert, als ich neuneinhalb Jahre zusammenhatte, meine Studienzeit eingerechnet, und diese Änderung bedeutete für mich, dass ich noch weiter warten musste. Als ich dann wirklich alle Voraussetzungen erfüllt hatte, war mein Status vollkommen geregelt, sodass mir die Staatsbürgerschaft nicht mehr viel bedeutete. Wenn ich meine Überlegungen genau beschreiben soll, so brauchte ich die Staatsbürgerschaft aus praktischen Gründen eigentlich nicht mehr und ich fühlte mich auch nicht als Österreicher, daher hielt ich es für unnötig und sogar für unmoralisch, diesen Prozess zu einzuleiten“, ist der junge Ingenieur ehrlich.

Inzwischen hat sich in Vladimirs Einstellung und seinen Zukunftserwartungen vieles geändert und er hat sich entschlossen, sich dem Heer unserer Landsleute mit österreichischer Staatsbürgerschaft anzuschließen.

„In den letzten Jahren hat sich meine Meinung über die Staatsbürgerschaft geändert. Ich finde, ich sollte sie jetzt annehmen, vor allem, weil ich mich diesem Land mehr zugehörig fühle als dem, in dem ich geboren bin. Die hiesige Mentalität entspricht mir mehr, hier verstehe ich alles besser, ich verfolge die Entwicklungen in Österreich intensiver als die in Serbien, selbst wenn es um Politik geht. Und unter anderem will ich auch endlich bei Wahlen mein Wahlrecht nutzen, was ich bisher in meinem Herkunftsland nicht getan habe. Das Fremdengesetz hat mich nicht geschreckt, selbst wenn es strikt ist, denn ich habe einen stabilen Job und Sozialstatus und auch einen Beruf, der mir Sicherheit garantiert. Ich sehe die Annahme der Staatsbürgerschaft eher als moralische Entscheidung, die davon abhängt, wohin ich gehöre und wie ich mich fühle. Wenn ich die Vorteile und Nachteile gegeneinander abwäge, überwiegen die Vorteile. Neben der Möglichkeit, in Länder zu reisen, für die man mit dem serbischen Pass ein Visum benötigt, muss ich anführen, dass es innerhalb der EU mit der österreichischen Staatsbürgerschaft viel einfacher ist Arbeit zu finden als mit der serbischen. Niemand kann mit Sicherheit sagen, wohin ihn das Leben verschlägt, daher muss man vorausschauend entscheiden“, unterstreicht Herr Dadić und fügt hinzu, dass er demnächst anfangen wird, die nötigen Dokumente zu beschaffen, was noch viel Zeit kosten wird.

Živka (55) und Milun (66) Katanić:
„Wir werden unsere Staatsbürgerschaft nicht ändern.“

Das Ehepaar Katanić kam mit seinem Sohn Vladan vor 30 Jahren nach Wien. Am Anfang war die Anpassung nicht leicht, aber sie hatten klare Ziele und waren geduldig. „Wie so viele andere arbeiteten wir am Anfang in Jobs, die für Ausländer vorgesehen waren. Das war schwer, wir konnten die Sprache nicht gut genug, aber mit der Zeit haben wir uns da herausgearbeitet und haben uns bessere Verhältnisse erkämpft. Ich habe 20 Jahre als Bautechniker gearbeitet, mein Arbeitsplatz war in einem Büro, und meine Frau hat eine hervorragende Stelle in der Boutique gefunden, in der sie noch heute arbeitet. In all diesen Jahren haben wir uns durch das Gesetz geschützt gefühlt, und auch wenn wir manchmal gar nicht über all unsere Rechte informiert waren, hat man uns bei den Behörden alles von sich aus erklärt und gegeben“, erzählt Milun, der mittlerweile in Pension ist, begeistert. Aber obwohl sie bereits drei Jahrzehnten in Wien leben, wollten die Katanićs nie die österreichische Staatsbürgerschaft annehmen.

ENTSCHEIDUNG. Wenn man Vor- und Nachteile gegeneinander abwägt, überwiegen die Vorteile.

„Der wichtigste Grund dafür ist, dass wir auch ohne Staatsbürgerschaft alles bekommen haben, was wir uns gewünscht und gebraucht haben. Und das bedeutet, dass wir eine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis bekommen haben, dass wir gute und solide bezahlte Arbeitsplätze gefunden haben und uns damit unsere Existenz sichern konnten. Wir leben sehr gut und haben dieselben Rechte wie auch die österreichischen Staatsbürger, nur dass wir an Wahlen nicht teilnehmen können. Wir haben auch in Serbien nie gewählt, und da wir beide apolitisch sind, fehlt uns das Wahlrecht nicht“, erklärt Frau Živka.

Dem Ehepaar Katanić war es immer am wichtigsten, ihrem Sohn Vladan (35) optimale Ausbildungsbedingungen zu schaffen, denn ihnen war bewusst, dass Kompetenz in der Welt zählt.

Živa Katanić: „Wir haben hier alle Rechte, so wie auch die österreichischen Staatsbürger.“ (FOTO: zVg.)

„Wir haben für unseren Sohn einen privaten Kindergarten gezahlt, was sich natürlich mehrfach ausgezahlt hat. In der Schule war er ein ausgezeichneter Schüler, sodass er ohne Probleme im Gymnasium aufgenommen wurde, und ebenso war es auch mit dem Studium. Als er sein Informatik-Diplom gemacht hat und begann, Arbeit zu suchen, hat ihn niemand nach seiner Staatsbürgerschaft gefragt. Heute ist er in einer Führungsposition, ist sehr erfolgreich. Er hat alles mit seinen Kenntnissen erreicht und niemand hat es zur Voraussetzung gemacht, dass er österreichischer Staatsbürger sein musste. Vladan hat die österreichische Staatsbürgerschaft bis jetzt nicht angenommen, aber er hat die Absicht, denn er möchte, dass sein Kind, wenn unsere Schwiegertochter und er eines bekommen, automatisch österreichischer Staatsbürger ist“, erzählen die stolzen Eltern.

Obwohl sie in der Nähe ihres Heimatorts Kragujevac zwei Häuser und etwas Land besitzen, beabsichtigen die Katanićs nicht, dorthin zurückzukehren. Sie wollen in Wien bleiben, weil sie in der Nähe ihres Sohnes und seiner Familie sein wollen.

„Wir fahren nicht allzu oft in unsere Heimat, vielleicht dreimal pro Jahr. Unser Leben ist wie auf einer Wippe – nach Serbien ziehen uns Erinnerungen, die Familie und auch ein bisschen Heimweh. Aber wir lieben diese Stadt, und wenn wir aus Serbien zurückkommen, sagen wir, dass wir nach Hause fahren. In Wien haben wir Freunde gefunden, natürlich auch österreichische, unser Leben ist schön hier, wir haben eine solide Existenz, guten Gesundheitsschutz und Sicherheit. In der Mentalität fühlen wir uns schon als Österreicher, aber im Herzen sind wir noch immer Serben. Wir pflegen unsere traditionellen Bräuche und feiern unsere Slava und alle Feiertage. Wir möchten gerne, dass auch unsere Kinder und Enkelkinder wissen, wo ihre Wurzeln sind“, sagen die Katanićs abschließend und fügen hinzu, dass sie beide Länder lieben, aber dass sie weiterhin mit der serbischen Staatsbürgerschaft in Wien leben werden.

Milun Katanić: „Unser Leben verläuft wie auf einer Wippe. Mit Serbien verbinden uns Erinnerungen, Familie, Heimweh. In der Mentalität fühlen wir uns schon als Wiener, aber im Herzen sind wir noch immer Serbien.“ (FOTO: zVg.)

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