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LGBT

„Ima izać‘“: Die erste Pride Parade in Bosnien-Herzegowina!

Freiheit, Liebe, Solidarität

Zum ersten Mal wurden in der Hauptstadt von Bosnien-Herzegowina die Regenbogenfahnen geschwenkt. Die Pride Parade unter dem Motto „Ima izać‘!“ („Man muss hinausgehen!“) setzte ein Zeichen für Diversität, Toleranz, den Kampf gegen Diskriminierung und gleiche Menschenrechte für alle.

Mehrere tausend Menschen versammelten sich mitten in Sarajevo und zogen mit der Parade durch das Stadtzentrum. Dabei trugen sie Plakate mit Slogans wie „Meine Liebe ist größer als meine Furcht“, „In der Einigkeit liegt die Kraft“ und „Solidarität“.

Zusammenhalt (3 FOTOS)

Die Organisatoren betonten, dass man nicht nur für die Rechte der LGBTQ-Gemeinschaft marschierte, sondern auch für die Rechte aller anderen Minderheiten, die diskriminiert und verfolgt würden. Zahlreiche bekannte Persönlichkeiten unterstützten die erste Parade in B-H. Einer von ihnen war auch Božo Vrećo, ein Sevdalinka-Sänger, der früher aus dem Urlaub heimgekehrt war, um an der Parade in Sarajevo teilzunehmen. Er betont, dass es ein tolles Gefühl war, Teil der ersten Pride Parade zu sein. „Dies ist ein Sieg der Liebe über jeden Konservatismus und ich bin stolz auf Sarajevo und die über 3.000 Menschen, die auf der Straße waren und für ihre Rechte gekämpft haben, anerkannt zu werden, das Recht der Wahl zu haben und zu lieben, wen sie wollen, und mit dieser Person zusammenzuleben. Die Anerkennung ihrer selbst und ihrer Freiheit als solcher. Sarajevo ist heute eine Stadt der Toleranz, der Liebe und der Einigkeit. Das Heraustreten aus der Finsternis ins Licht und ein Zeichen, dass wir uns für etwas, das es wert ist, organisieren können. Ich bin stolz und glücklich über diese heutigen Bilder aus Bosnien-Herzegowina“, betont Vrećo.

Jasmila Žbanić, Regisseurin: Danke an alle Bürgerinnen und Bürger von B-H, die das Recht unterstützt haben, anders zu sein.“

Die bosnisch-herzegowinische Regisseurin Jasmila Žbanić betonte, dass dies ein wichtiger Tag für die Bürgerinnen und Bürger von B-H war und dass sie als Bürgerin von Sarajevo die Notwendigkeit empfinde, sich bei den Organisatorinnen und Organisatoren der Pride Parade in B-H zu bedanken.

„Wie intelligent, professionell und würdig habt ihr diese riskante und schwere Aufgabe für uns alle gemeistert. Danke! Danke an die Regierung des Kantons Sarajevo, ohne euch wäre dies alles unmöglich. Danke an die Polizei, die uns das Gefühl vollkommener Sicherheit gegeben hat. Eine wichtige Rolle, dass alles wie geplant verlaufen ist, haben die Islamische Gemeinschaft und ihre Führung gespielt. Sie haben alles getan, um die Atmosphäre friedlich zu halten. Einen großen Dank und Respekt! Danke an die Medien, die professionell waren. An die Botschaften, die uns unterstützt haben. Und am Ende der größte Dank an die Bürgerinnen und Bürger von B-H, die das Recht unterstützt haben, anders zu sein, das Recht, offen so zu sein, wie man ist. Heute habe ich großartige Menschen aus Sarajevo, Prijedor, Banja Luka, Mostar, Stolac, Foča und Trebinje gesehen. Danke an die Freunde aus Belgrad, Zagreb, Berlin und Amsterdam, die bei uns in Sarajevo waren. Heute sind LGBTQ-Personen, Atheisten, Gläubige, traditionelle Familien Seite an Seite marschiert. Niemanden hat es gestört, dass jeder von uns er selber und anders ist“, betonte Žbanić.

SOLIDARITÄT. Die Pride Parade feierte unter dem Motto „Man muss hinausgehen!“ die Vielfalt, Toleranz, den Kampf gegen Diskriminierung und gleiche Menschenrechte für alle. (FOTO: Mediha Adrović)

„Es gibt uns und wir bedrohen niemanden!“

Mit Trommelklängen und dem Absingen des antifaschistischen Liedes „Ay Carmela“ erreichte der Zug das Gebäude der staatlichen Institutionen von B-H, wo die Organisatoren das Wort ergriffen.

„Mögen sich Freiheit und Liebe verbreiten. Das ist unser Traum.“, rief eine der Organisatorinnen des Umzugs, Lejla Huremović. (FOTO: Mediha Adrović)

Auf dem Platz von B-H erklärten die Organisatoren in einer kurzen Ansprache an die Anwesenden, dass sie täglich für ihre Rechte kämpften und oft verbal und physisch angegriffen würden. „Heute sind wir alle, Lesben, Gays, Trans- und Queer-Personen, sichtbar geworden. Und wir versprechen, dass wir für unsere Leben kämpfen werden, die nicht nur im Verborgenen verlaufen können. Wir sind so unsichtbar, dass uns sogar unsere Familien ignorieren. Dieser Marsch gibt uns die Kraft, damit es für alle besser wird. Hier sind wir, es gibt uns und wir bedrohen niemanden. In der Schule oder an der Fakultät können wir nicht sagen, wen wir lieben. In der Arbeit, wenn wir überhaupt eine haben, zwingt man uns, nicht über unsere Leben zu sprechen.

Die Pride Parade ist keine endgültige Lösung der Probleme der LGBTQ-Gemeinschaft.

Wir wollen eine Gesellschaft der Gewaltfreiheit, der Gemeinschaftlichkeit, der Unterstützung aufbauen, in der niemand sein Leben auf seine vier Wände beschränken muss und in der sich niemand fürchten muss, die Gewalt, die er erfährt oder beobachtet, anzuzeigen. Diese Parade gibt uns Kraft und Hoffnung, dass es eine Veränderung geben kann. Das ist unser Traum. Und wir haben den Mut dafür zu kämpfen. Und das werden wir auch – im Namen des Friedens, der Liebe und der Freiheit“, appellierte Lejla Huremović, Mitglied des Organisationskomitees der ersten bosnisch-herzegowinischen Pride Parade, an die Anwesenden.

Es wurde betont, dass diese Parade als Beispiel für den Schutz der Rechte von LGBTQ-Personen durch die Institutionen dienen sollte, und dass man hoffe, es werde dabei bleiben.

„Ich habe lange überlegt, was ich euch sagen soll. Nicht nur wegen euch, die ihr hier seid, sondern auch wegen all jener, die aufgrund von Diskriminierung heute nicht bei uns sein können. Wir Gays, Lesben, Trans- und andere Menschen, werden diskriminiert, unserer Rechte beraubt, geschlagen und von einzelnen Institutionen stigmatisiert und sogar Zwangsbehandlungen unterworfen. Ab heute fordern wir eine Gesellschaft, in der wir uns der Isolation, dem Hass und der Homophobie gemeinsam entgegenstellen werden“, fügte ein anderes Mitglied des Organisationskomitee, Branko Ćulibrk, hinzu. Er beendet seine Ansprache mit den Worten „Tod dem Faschismus!“.

Zu Trommelklängen und Versen des Liedes „Snijeg pade na behar na voće, neka ljubi ko god koga hoće“, erreichte der Zug das Gebäude der gemeinsamen Institutionen von B-H. (FOTO: Mediha Adrović)

Nach den offiziellen Reden präsentierte der Musiker Damir Imamović die Sevdalinka „Snijeg pada na behar na voće“ („Schnell fällt auf die Obstschale“), dessen zweite Zeile „Neka ljubi ko god koga hoće“ („Möge jeder lieben, wen er will“) auf dem Platz von B-H widerhallte. Am Ende interpretierte er die berühmte internationale antifaschistische Hymne „Bella ciao“. Es stimmt: Die erste bosnisch-herzegowinische Pride Parade war historisch und hat ohne einen einzigen Zwischenfall geendet. Allerdings löst diese Parade die Probleme der LGBTQ-Gemeinschaft nicht. Dafür gilt es, in den kommenden 364 Tagen zu kämpfen.

Was deutlich wurde, ist, dass die Pride Parade zum Schlüsselthema geworden ist, das auch die zehnmonatigen „Anstrengungen“ zur Regierungsbildung in B-H überschattete. Der Umzug ist zu Ende, die Regierung ist noch immer nicht gebildet und es zeichnet sich auch noch nicht ab, wann das geschehen wird.

Schon ab morgen können wir mit den tagespolitischen Fragen und den unvermeidlichen Beleidigungen auf nationaler Basis fortfahren. Darin sind wir unübertroffen.

Autorin: Mediha Adrović