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Krieg

Trauma der Nationalitäten am Balkan – Kommentar

Ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Ein M3 Stuart Tank vor dem Museum der Republika Srpska in Banja Luka, Bosnien und Herzegowina. iStock/Thomas_Brock
Ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Ein M3 Stuart Tank vor dem Museum der Republika Srpska in Banja Luka, Bosnien und Herzegowina. iStock/Thomas_Brock

Woher kommst du? Was bist du? Solche Fragen sind am Balkan essentiell. Und noch heute – 21 Jahre nach Ende des Jugoslawienkrieges – sind diese Fragen wesentlicher Bestandteil eines Gespräches. Weshalb die Frage der Nationalität das Fundament unserer Kommunikation ist, soll hier beleuchtet – oder zumindest kommentiert – werden.

Das Ende des Staates Jugoslawien war für einige Menschen am Balkan auch gleichzeitig das Ende ihrer nationalen Identität. In welchem Teil des Landes befinde ich mich gerade? Wo wurde ich geboren? Sehe ich mich selbst als Serbe, Kroate, Bosnier, Slowene, Mazedonier oder Montenegriner?, mussten wohl die Fragen im Jahr 2001 gewesen sein, die sich die Menschen am Balkan selber stellten. Denn das Ende des Krieges war gekommen. Unsicherheit breitete sich aus. Gerade für Auswanderer, die in Deutschland und Österreich lebten und noch immer da sind. Denn trifft man jemanden, der ebenfalls vom Balkan kommt, ist die entscheidende Frage „Woher kommst du?“. Ob und weshalb das für manche Menschen entscheidend ist, lässt sich nur hinter der Fassade eines Bürgerkrieges erkennen.

Umfrage „Ich bin…“

Vor etwa 15 Jahren führte ein lokaler Radiosender in Bosnien und Herzegowina eine Umfrage durch. Hundert Teilnehmer sollten den Satz „Ich bin…“ ohne weiteren Kontext vervollständigen. 99 Prozent der Befragten gaben ihre Nationalität an und nur eine Person antwortete mit „Student“. Das zeigt wie Menschen damals und heute durch einen zehn Jahre andauernden Krieg geprägt wurden. Verluste und Leid hatten es den Menschen am Balkan unmöglich gemacht einander zu vertrauen und zu akzeptieren, dass es abseits der Politik auch ein Miteinander geben muss. Zu groß war das Misstrauen unter den neu ernannten Nationalitäten. Man musste sich quasi für eine Seite entscheiden.

Gespaltene Community

Neben der Gastarbeiterwelle in den 60er und 70er Jahren – teilweise auch bis in die 80er Jahre hinein – kamen zu Zeiten des Jugoslawienkrieges viele Menschen beispielsweise aus Bosnien nach Österreich und Deutschland. Eine Flüchtlingswelle entstand. 90.000 bosnische Schutzsuchende entschieden sich für Österreich als sicheren Hafen. Zwei Drittel davon blieben und gesellten sich zu der – schon durch die Gastarbeiter – anwesenden Balkan-Community. So kamen aus den anderen Staaten ebenfalls Kriegsflüchtlinge hinzu. Die Community wuchs und entfremdete sich untereinander. Die Frage welcher Nation man angehört, wurde im Ausland zu einer Art Statussymbol erhoben.

Zweite und dritte Generation

Und so wurde die zweite und dritte Generation der österreichischen „Jugos“ innerhalb dieser Suche, nach der eigenen Identität, aufgezogen. Die Werte die ihnen mitgegeben wurden, wurden zwar stark vom österreichischen Schulsystem und der stabilen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lage geprägt. Aber auch von den Geschichten und Tragödien des Krieges, der in weiter Ferne stattfand. Die meisten waren alt genug um mitzubekommen, dass Mama und Papa am Fernseher sitzen, sich Kriegsszenarien anschauen und besorgt dreinschauen. Sie haben auch Bruchstücke von verzweifelten Telefonaten zwischen ihren Eltern und Verwandten im Ausland aufgeschnappt. Und wenn die Familie dann doch einen Heimatbesuch – abseits der Front – wagte, hörten sie vielleicht auch, wie Bomben in weiter Ferne auf die Erde runter prasselten während Papa versichert, dass alles ok sei.

Ist man ein Kind der 80er oder 90er Jahre und in Österreich geboren, so befindet man sich sowieso in einem Zwiespalt. Ist man Österreicher weil man in Österreich geboren wurde? Oder ist man vom Balkan weil die Eltern dort geboren wurden und dementsprechend dem Kind die Sprache und Wertvorstellungen mitgegeben haben? Hier reichte die Antwort „Jugoslawe“ dann sowieso nicht mehr aus. Zur Erinnerung: es stehen Serbe, Kroate, Bosnier, Slowene, Mazedonier und Montenegriner zur Auswahl.

Was bist du?

Ein Wirrwarr der Identitätsfrage stellte sich bei vielen ein. Man konnte die Frage „Was bist du?“ (Gemeint ist wieder die Nationalität.) schon gar nicht mehr hören, ohne das sich einem der Magen umdreht. Zu unangenehm war die Frage, denn eine passende Antwort hatten viele sowieso nicht parat. Zu umständlich musste man sich erklären und zu präsent war die Gefahr etwas falsches zu antworten. Trotzdem wurde die Frage immer und immer wieder gestellt. Noch heute wiegt der Schock über den Krieg so schwer, dass sich manche Menschen gerade dazu verpflichtet fühlen nach der Identität des Gegenübers zu fragen. Aber mittlerweile sind die Wogen des Hasses, die durch den Krieg entstanden sind, zu einem manchmal abwertend anmutendem „Pa, nema veze.“ („Na, macht ja nichts.“) abgeklungen.