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AUSSCHLIESSLICHKEIT

Veganismus: Lebensphilosophie und Gesundheit

FOTO: iStockphoto/KOSMO

Veganer haben Zutaten tierischer Herkunft komplett aus ihrem Speiseplan gestrichen und tragen auch keine Kleidung oder Schuhe aus Pelz, Leder und Seide. Einige halten sie für eine Sekte, andere für moderne Sonderlinge, aber sie lieben nur einfach Tiere.

Beim Auftreten von Allergien gegen gewisse Lebensmittel tierischer Herkunft wie Hühnerfleisch, Milch oder Eier ist es normal, dass diese in der Ernährung vermieden werden. Einige Speisen lehnt man aufgrund ihres ungeliebten Geschmacks und Geruchs ab, aber auch aus religiösen Gründen werden bestimmte Fleischsorten aus dem Speiseplan gestrichen. Ebenso sind gewisse nationale Küchen für andere Völker aufgrund der ungewöhnlichen Delikatessen, die sie beinhalten, fremd und unangenehm. Die Ausschließlichkeit des Veganismus finden jedoch viele heute übertrieben, denn diese Ernährungsweise ist eine extremere Form des Vegetarismus. Egal ob es um Ernährung, Kleidungsstücke oder um Gelatine in Medikamentenkapseln geht, Veganer lehnen die Verwendung von allem, was mit Tieren zu tun hat bzw. mit ihrem Missbrauch durch den Menschen, konsequent ab.

Sie halten dies für die gesündeste und ethisch vertretbarste Lebensform, und selbst wenn der Mangel an einzelnen Substanzen ihre Gesundheit gefährdet, verzichten einige Veganer auf sie, wenn sie tierischer Herkunft sind. Auf der anderen Seite behaupten Fachleute, dass auch in der Herstellungskette pflanzlicher Lebensmittel nicht vermieden werden kann, dass einzelne Bestandteile Beziehung zu Tieren haben, etwa durch die Verwendung von Stalldünger auf den Feldern.

Die Zahl der Veganer ist in letzter Zeit stark im Steigen begriffen und sie äußern ihre Überzeugungen auf verschiedene Weise. Während die einen kein Bedürfnis haben, sich in der Öffentlichkeit zu exponieren, verpacken andere ihre Überzeugungen in politische Botschaften und zeigen nicht selten sogar Aggressivität gegenüber Andersdenkenden. Immer stärker verschaffen sich auch die Veganer Gehör, die den Standpunkt vertreten, dass ihre Bewegung unter die offiziell anerkannten religiösen Gemeinschaften aufgenommen werden sollte.

Aber wie wird man Veganer, welches sind die Momente, die einen Menschen dazu bewegen, seine Gewohnheiten und seine Einstellung zum eigenen Leben und zur Tierwelt von Grund auf zu ändern?

KOSMO hat darüber mit Jelena, Igor und Bor gesprochen, einer jungen Familie aus Wien, die vor fünf Jahren aufgrund von Gesundheitsproblemen ihres Kindes vom Vegetarismus zum Veganismus übergegangen ist.

Jelena Cvetković Šarkanović (41),
Grafikdesignerin

KOSMO: Warum sind Sie Veganerin geworden?
Jelena Cvetković Šarkanović:
Ich war 20 Jahre lang Vegetarierin, auch in der Zeit, als ich mein Kind bekommen habe. Ich habe meinen Sohn bekommen und alles war in Ordnung bis zu dem Moment, als er vier Monate alt wurde. Er bekam eine Allergie im Gesicht und an den Beinen, die uns Eltern sehr beunruhigte. Die Ärzte konnten uns nicht helfen, denn Allergietests sind im ersten Lebensjahr irrelevant und werden daher auch nicht durchgeführt. Die Verantwortung, in der Ernährung herauszufinden, worauf das Kind so negativ reagierte, lag bei mir. Das bedeutete, dass ich alle Zutaten aus meinem Speiseplan strich, die normalerweise allergische Reaktionen hervorrufen, und sie dann langsam wieder einführte und beobachtete, worauf das Baby reagierte. Aber egal, wie gut ich auf meine eigene Ernährung und damit auch auf die des Kindes, das ich stillte, achtete, zeigten sich keine großen Resultate. Zeitweilig gingen die Hautreaktionen zurück, dann kehrten sie intensiv wieder, und all das brachte eine ganze Reihe von Problemen mit sich. Zum Beispiel schützte ich ihn, als er ganz klein war, mit Handschuhen davor, sich aufzukratzen, aber später zog er die Handschuhe aus und verletzte sich an den juckenden Hautstellen.

Wie haben Sie eine Lösung gefunden?
Tief in mir wusste ich, dass die Ursache der Probleme bei meinem Kind die Milch war, daher beschloss ich, auf Käse und Joghurt zu verzichten, obwohl ich das besonders gerne aß, und die Allergie ging zurück. In dieser Zeit las ich sehr viel über Milch und stieß auf Informationen über Tiere in der Industrie. Es geschieht viel Inhumanes mit den Kühen, damit wir Milch zum Trinken haben. Ich verstand, dass ich nicht Teil dieser schrecklichen industriellen Kette sein wollte, dass ich an den Verbrechen, die an den Tieren begangen werden, nicht beteiligt sein wollte. Diese Erkenntnisse führten dazu, dass ich aus ganzem Herzen Veganerin wurde, auch wenn ich den ersten Schritt für die Gesundheit meines Kindes getan habe.

ETHIK. VenganerInnen lehnen absolut alles ab, was tierischer Herkunft ist.

Wie ernährt sich Ihr inzwischen siebenjähriger Sohn heute?
Bor ist ebenfalls Veganer. Vielleicht wird er eines Tages Lebensmittel tierischer Herkunft essen, aber solange er bei uns im Haus lebt, wird er damit nicht in Berührung kommen. Wir haben ihm unsere Überzeugung weitergegeben und er hat sie angenommen, denn das ist wie eine Religion. Was später sein wird, wenn er groß ist, das können wir nicht wissen und dann können wir seine Entscheidungen auch nicht mehr beeinflussen.

Die Eltern haben Bor ihre Überzeugung weitergegeben und er akzeptiert sie. Was sein wird, wenn er erwachsen ist, können Jelena und Igor nicht wissen und sie können seine Entscheidungen auch nicht beeinflussen. (FOTO: KOSMO)

Wie haben Sie dem Kind erklärt, dass er einige Lebensmittel nicht essen soll, wenn er unter seinen Freunden ist?
Das war einfach, als er noch ganz klein war, denn er akzeptierte es, wenn ich ihm sagte, dass wir das nicht essen. Allerdings wurden die Kindergeburtstage später schwer für ihn, denn nur wenige Leute bereiteten für Bor etwas Spezielles zu. Darum nehme ich immer, wenn wir irgendwo hingehen, alles für ihn mit, einschließlich eines Stücks Torte, die er bei einer fremden Feier essen kann. Wir hatten auch eine Zeit, als er manchmal, obwohl er seine eigene Torte hatte, sagte: Aber ich will die andere. Damals war er noch sehr klein und ich konnte ihm die Allergiegefahr nicht erklären. Damals sind wir immer erst zu den Geburtstagsfeiern gegangen, nachdem die Torte bereits gegessen war. Bei seinen Geburtstagspartys servieren wir veganes Essen und alle Kinder essen das ohne Probleme.

„Ich will nicht Teil dieser schrecklichen industriellen Kette sein und an den Verbrechen teilhaben, die an den Tieren begangen werden.“
Jelena

Wie ersetzen Sie die Nahrungsbestandteile tierischer Herkunft?
Alles, was wir brauchen, gibt es auch im Gemüse, aber man muss es richtig einsetzen. Wir essen viel Linsen und Bohnen, die reich an Proteinen sind, Kalzium gibt es in grünem Gemüse (Wirsingkohl, Spinat, Avocado). Wir kaufen alles frisch und garen vieles im Dampf. Wir sind keine Fans von schnellem und konserviertem Essen, daher verwenden wir sehr wenige vegane Produkte, die man in den Geschäften findet. Die Rezepte zur Zubereitung der Gerichte finden wir manchmal im Internet, aber ich kreiere sie auch selber. Ich arbeite gerade an einem Buch über vegane Speisen, die auf der balkanischen Küche basieren. Wir verwenden keine Nahrungsergänzungsmittel und wir sind gesund. Wir lassen unser Blutbild kontrollieren und alles ist in bester Ordnung.

Wie ist Ihre Einstellung zu Haustieren?

Bor hätte gerne ein Haustier, aber ein Tier außerhalb seiner natürlichen Umgebung zu halten, ist nicht human und ich sehe darin keinen Sinn. Wenn ein Tier Hilfe braucht, muss man sie ihm geben, und wenn es passiert, dass wir auf einen Hund oder eine Katze stoßen, denen wir ein Heim bieten können, dann hätte ich nichts dagegen. In den Zoo gehen wir aber nicht. Das ist unsere Art von Protest gegen diese Art der Tierhaltung.

UNGERECHTIGKEIT. In der Schule wird kein veganes Essen angeboten.

Wie reagiert das Umfeld auf Veganer?
Leider werden wir in der Schule ungerecht behandelt. Kinder, die gewissen Religionen angehören, erhalten in der Ganztagsbetreuung das Essen, das ihnen ihr Glaube vorschreibt. Aber vegane Speisen werden nicht angeboten. Darum nimmt Bor jeden Tag sein eigenes Essen mit in die Schule, aber trotzdem wird von uns verlangt, dass wir die Mahlzeiten bezahlen, die er dort nicht isst. Wir haben uns beschwert, aber die Antwort war, dass wir nur dann von der Zahlung befreit werden, wenn wir eine ärztliche Bestätigung haben, dass eine medizinische Indikation für die vegane Ernährung unseres Sohnes besteht. Diese Bestätigung könnten wir vielleicht sogar bekommen, aber wir wollen nicht auf diese Weise zu unserem Recht kommen. Aus diesem und anderen Gründen haben wir die Idee, dass der Veganismus offiziell wie eine Religion behandelt werden sollte, denn so würde man Diskriminierung vermeiden.

Igor Šarkanović (40), Informatiker
KOSMO: Wann haben Sie angefangen, auf Fleisch zu verzichten?
Igor Šarkanović:
Ich gebe zu, dass ich früher gerne Fleisch gegessen habe, aber als ich 2004 an Krebs erkrankt bin, habe ich mich nach den Erfahrungen anderer Menschen im Kampf gegen diese Krankheit erkundigt. Ich erfuhr, dass eine Frau, die jetzt unsere gute Freundin ist, es geschafft hat, ihr Karzinom zu besiegen, indem sie kein Fleisch und keine Fleischprodukte mehr gegessen hat. Als ich im Krankenhaus war, empfand ich plötzlich einen Ekel gegenüber Fleisch und bat meine Mutter, mir keines mehr zu bringen. Ich habe alle Therapien der klassischen Krebsbehandlung durchlaufen, von Operationen bis zur Chemotherapie, aber dann habe ich mein Leben als Veganer und als gesunder Mensch weitergeführt. Ich habe begriffen, dass mir Essen ohne Fleisch besser schmeckt, dass andere Geschmäcke dann mehr zur Geltung kommen, und ich bin auch offener für Informationen geworden. Viele Menschen wollen leider nichts wissen, was über ihren Tellerrand hinausgeht. Aber wenn man seiner Empathie Raum gibt, dann kann man nur sagen: Wie gut, dass ich kein Fleisch esse!

Igor: „Viele Menschen wollen leider nichts wissen, was über ihren Tellerrand hinausgeht.“ (FOTO: KOSMO)

Vom Vegetarier zum Veganer ist es ein kurzer Weg…
Mich hat die Information schockiert, dass 70 % aller Antibiotika weltweit an Tiere verfüttert werden. Einen Teil davon essen die Menschen im Fleisch mit, ein Teil geht ins Wasser und verschmutzt die Umwelt, und Opfer sind wir alle, gemeinsam mit der Natur. Nachdem ich einen Film über die Lebensmittelindustrie und über die Tiere in der Nahrungskette gesehen habe, habe ich mich entschlossen, daran nicht länger als Konsument teilzunehmen. Durch weitere Recherche bin ich dann zu der Erkenntnis gekommen, dass wir es gar nicht nötig haben, Tiere zu essen. Aus all diesen Gründen bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass auch ich gemeinsam mit meiner Frau und meinem Sohn Veganer werde.

Wie geht es Ihnen mit Ihrem Umfeld?
Jelenas Mama ist ebenfalls Veganerin, aber in meiner Familie in B-H essen alle Fleisch. Wenn wir jedoch zu Besuch kommen, passen sie sich uns an und es kommt kein Fleisch auf den Tisch. Wir haben nicht den Wunsch, andere Menschen zu bekehren, aber ich würde mich freuen, wenn sie sich gut überlegen würden, was sie essen. Leider gibt es Menschen, die uns nicht akzeptieren, die sich das Recht nehmen, Kommentare über uns abzugeben und uns sogar aufgrund unserer Wahl anzugreifen. Mich irritieren Menschen, die fragen, woher wir das Recht nehmen, diese Entscheidung auch für die Ernährung unseres Kindes zu treffen. Es würde uns nicht einfallen, andere Eltern zu fragen, woher sie das Recht nehmen, ihre Kinder mit Fleisch zu ernähren. In meinem Haus wird kein Fleisch gegessen, und das wird auch so bleiben, und dasselbe gilt auch für meinen Sohn. Sollte er entscheiden, das zu ändern, wenn er erwachsen ist, dann weiß ich natürlich, dass ich darauf keinen Einfluss habe, aber es würde mich verletzen.

Bor (7): „Fleisch sind tote Tiere, und ich liebe Tiere sehr. Ich zeichne sie gerne, aber ich verstehe nicht, warum manche Leute sagen, dass sie Tiere lieben, und sie dann essen.“ (FOTO: KOSMO)

Bor Cvetković Šarkanović (7)
„Ich esse vieles gerne, vor allem alles, was meine Oma zubereitet. Einmal hat mir im Kindergarten ein Freund ein Stück Schokolade angeboten und ich wusste nicht, dass die mit Milch gemacht ist, darum habe ich sie probiert. Aber wenn ich weiß, dass irgendetwas Milch enthält, sage ich, dass ich das nicht essen kann. Wenn sie mich fragen, warum, antworte ich, dass ich gegen Milch allergisch bin. Wenn mir jemand ein Sandwich mit Schinken oder ein Schnitzel anböte, würde ich sagen, dass ich kein Fleisch mag. Meine Freunde in der Schule wissen, dass ich Veganer bin, und für sie ist das kein Problem. Ich mag gerne Tiere zeichnen und das gefällt allen. Aber ich verstehe überhaupt nicht, warum manche Leute sagen, sie lieben Tiere, aber dann essen sie sie.“

„Uns würde es nicht einfallen, andere Eltern zu fragen, woher sie das Recht nehmen, ihre Kinder mit Fleisch zu ernähren.“

Auf der nächsten Seite geht es weiter mit der Meinung einer Ärztin und einigen Beispielen für Sportler, die inzwischen vegan leben.