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HUMANITÄR

Vučjak: Bosnische Flüchtlingsmütter, die helfen wo sie nur können! (GALERIE)

FOTO: Ben Owen-Brown, Petar Rosandic

KRISE. Das Flüchtlingscamp Vučjak im Nordwesten Bosniens ist zum Synonym für die humanitäre Katastrophe vor den Toren der EU geworden. Aber es ist nur Spiegel einer riesigen Krise, die den ganzen Nordwesten Bosnien-Herzegowinas erschüttert…

Es ist in den frühen Nachtstunden, als unser Hilfskonvoi aus Österreich, bestehend aus fünf Transportern voller Winterkleidung, in Velika Kladuša eintrifft. Es ist unsere erste vereinbarte Übergabe von Spenden der Aktion „SOS Balkanroute“ an Flüchtlinge im Nordwesten Bosnien-Herzegowinas und sie findet in einer kleinen Nebenstraße in dem Wohnhaus statt, in dem Senida lebt (der wahre Name ist der Redaktion bekannt).

Dort haben wir ein Treffen mit der Grundschullehrerin vereinbart, die sich schon seit zwei Jahren ehrenamtlich um die Flüchtlinge kümmert, die in immer größerer Zahl im Nordwesten Bosnien-Herzegowinas eintrafen. Sofort zu Beginn meldete sie sich im Flüchtlingslager Trnovo. Damals lud sie die Flüchtlinge sogar in ihre Wohnung ein, wo sie für die dringend nötige Körperhygiene sorgen konnten.

„Die Sanitäranlagen in den Lagern sind schrecklich. Privatsphäre gibt es vor allem für Frauen fast gar nicht“, erzählt uns Senida, deren Hilfe nicht überall willkommen ist. Schon beim Betreten des Gebäudes zeigt uns ein Nachbar durch lautes Türenknallen seinen Protest gegen die Flüchtlingshilfe und zwei Stunden später erwarten uns zum Abschied noch Strafzettel an den Windschutzscheiben unserer Fahrzeuge. Jemand hat in der Zwischenzeit die Polizei gerufen…

Medienhetze
„Anfangs haben viele den Flüchtlingen geholfen, wir waren über 30 Helfer. Heute kümmern uns allerdings nur noch meine Freundin und ich um sie“, erzählt Senida in ihrer Wohnung. Für den Wandel in der Wahrnehmung der Flüchtlinge durch die Öffentlichkeit, der ihr die Hilfeleistung heute sehr erschwert, macht Senida hauptsächlich die Medien verantwortlich. „Es begann mit der Hetze. Jede zweite Meldung war negativ und es verbreitete sich ihnen gegenüber immer stärker eine negative Atmosphäre. Heute beschimpfen uns die Leute auf der Straße, wenn wir helfen, und aufgrund eines Beschlusses des Stadtrats dürfen wir ihnen zum Beispiel in der Öffentlichkeit kein Essen mehr verteilen und sind generell in unseren Hilfsleistungen eingeschränkt. Alles muss ganz leise vor sich gehen“, erklärt uns Senida.

Zemira: „Ein Syrer hat 36-mal versucht, die Grenze zu überqueren. Beim siebenunddreißigsten Mal hat er es geschafft.“

Auf dem Weg von Velika Kladuša nach Bihać wird auch uns das Ausmaß der Krise bewusst, die diesen Teil Bosnien-Herzegowinas derzeit erschüttert. An der Straße kommt uns um 2.30 in der Nacht eine Gruppe Flüchtlinge entgegen. Gehen sie zum „Game“, wie man die Versuche nennt, die kroatische Grenze zu überqueren, oder doch eher in das nächste leerstehende, verlassene Gebäude, in dem sie einige Stunden schlafen können? Das werden wir in dieser Nacht nicht erfahren, aber am folgenden Morgen lernen wir einige Burschen kennen, die sich wieder auf das „Game“ vorbereiten…

Galerie (4 Fotos)

37-mal über die Grenze
„Achtmal habe ich versucht, die Grenze zu überqueren, und morgen gehe ich wieder hin“, erzählt uns der Pakistani Abdul (25), der gut weiß, was es heißt, an der Grenze von der kroatischen Grenzpolizei aufgegriffen zu werden. Über deren Brutalität beklagen sich nämlich die meisten Flüchtlinge, und bei unserem ersten Besuch vor einem Monat haben uns viele ihre gebrochenen Arme, Hämatome, schwerere und leichtere körperliche Verletzungen gezeigt.

Auch wenn man denken würde, dass Abdul wahrscheinlich nervös ist, wenn er daran denkt, dass er am folgenden Morgen zu seinem neunten Versuch aufbricht, den Boden der Europäischen Union zu erreichen, strahlt er an diesem Morgen Ruhe und positive Energie aus, während er den Tee trinkt, den ihm Zemira Gorinjac, die Vorsitzende der Vereinigung „Solidarnost“ zubereitet hat, eine Frau, die in Bihać als „Mutter der Flüchtlinge“ bekannt ist.

Etwa 6.000 Flüchtlinge befinden sich in der Cazinska Krajina.

„Bei mir war ein Flüchtling, der ganze 36-mal erfolglos versucht hat, die Grenze zu überqueren. Beim 37. Mal hat er es dann geschafft, jetzt ist er in Italien und wir sind noch immer im Kontakt“, erzählt uns Zemira, eine Frau, die nicht nur jeden Tag durch die Stadt geht und Flüchtlingen hilft, sondern auch eine Person, die zum wichtigsten Beschützer ihres, wie sie sagt, „Rechts auf eine menschliche Behandlung“ geworden ist.

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