Im exklusiven Interview mit KOSMO sprach der amtierende Vize-Bürgermeister sowie Stadtrat für Bildung, Jugend, Integration und Transparenz Christoph Wiederkehr über aktuelle Projekte, bestehende Krisen, Schulcontainer und selbstverständlich den vieldiskutierten Lehrermangel.
Sie haben Ihren politischen Kurs gewechselt. Sind Sie jetzt ein Hardliner? Gab es einen Anlass dafür?
Ich bin meinen politischen Idealen und Werten immer treu geblieben. Mir ging es immer darum, dass wir die Freiheit, die wir in unserer Gesellschaft haben, und unsere zu Demokratie zu schützen. Und das ist wichtig, vor allem auch in Zeiten von internationalen Kriegen und Krisen, wo die Demokratie immer mehr in Gefahr ist, dass man Probleme anspricht und immer Lösungen vorschlägt. Und da bin ich klar in meiner Sprache, weil es auch für den Erhalt unserer Demokratie notwendig ist, dass alle Menschen, die hier zusammenleben, gemeinsame Grundwerte teilen.
Sind diese Krisen- oder beziehungsweise Krisensituationen der Grund für Ihren Kurswechsel oder die zugenommene Strenge?
Ich sehe, dass durch verschiedene Krisen, auch internationale, und durch den Vormarsch von autoritären Regimen, wie zum Beispiel Putin oder Erdogan, auch in Wien die Spannungen zugenommen haben. Diese kulturellen Konflikte sind teilweise auch in den Schulen spürbar. Es ist mir wichtig, ein friedliches und gutes Zusammenleben sicherzustellen. Es stimmt allerdings, dass ich hier sehr klar bin in der Benennung von Problemen und das halte ich auch für notwendig, um unsere Gesellschaft zu schützen.
Kulturelle Konflikte sind teilweise auch in den Schulen spürbar.
Was sind die Hauptziele von „Prinzip Wien“ und wie wollen Sie damit die Integrationspolitik voranbringen, trotz der Kritik, dass es eine symbolische Aktion sei?
Mit dem „Prinzip Wien“ habe ich ein Projekt gestartet, um das Zusammenleben in Wien zu verbessern. Es geht dabei um Grundprinzipien, die alle Menschen teilen sollten, wie zum Beispiel die Gleichberechtigung von Mann und Frau oder den Respekt gegenüber unterschiedlichen Religionen, wobei keine Religion über dem Gesetz stehen darf.
Es ist auch ein gemeinsamer Prozess mit Expertinnen und Experten, die die Stadt dazu beraten und in diesem Bereich forschen. Im frühen Winter wird es einen eigenen Werte-Konvent geben, bei dem Religionsgemeinschaften, politische Vertreter, NGOs und auch Medienvertreter zusammenkommen, um über das Zusammenleben in Wien zu sprechen und gemeinsame Werte zu definieren. All das verfolgt das Ziel, auch in Zukunft ein gutes und friedliches Zusammenleben in Wien zu sichern.
Sie kritisieren die Bundesregierung und fordern mehr Unterstützung für Wiens Bildungssystem. Welche konkreten Maßnahmen fehlen auf Bundesebene?
Für mich bedeutet das erstens die Einführung eines eigenen Fachs „Demokratie“ ab der Volksschule, damit alle Kinder, unabhängig von ihrem Glauben, gemeinsam über Grundwerte und Religionen sprechen können. Zweitens: Eine bessere Unterstützung der Wiener Schulen durch einen Chancenindex. Das bedeutet, dass Schulen, die vor besonderen Herausforderungen stehen, auch mehr Mittel erhalten, damit sie zusätzliches Unterstützungspersonal wie Sozialarbeiter einstellen können.
Das derzeitige System in Österreich ist unfair, weil eine Schule am Wörthersee mehr Mittel bekommt als eine Schule in Ottakring. Das muss dringend geändert werden. Das sind zwei Punkte, die ich mir von einem Bildungsminister erwarte – auch um etwas für Wien beizutragen.
Das derzeitige System in Österreich ist unfair.
Ist das der Grund, warum es jetzt auch zu einem Lehrermangel an manchen Wiener Schulen gekommen ist? Es gab aktuell einen Artikel darüber, den haben Sie wahrscheinlich schon gesehen.
Ja, es gibt einen Lehrermangel an manchen Schulen, die eben zu wenig Ressourcen haben. Es gibt seit vielen Jahren in Österreich einen Fachkräftemangel und nicht ausreichend Lehrerinnen und Lehrer, weil zu wenig ausgebildet worden sind. Wir haben in Wien ein großes Unterstützungspaket für die Pflichtschulen bestimmt, in Höhe von 91 Millionen Euro, um den Schulen 400 zusätzliche Personen zur Seite zu stellen. Und wir haben eingeführt, dass es ein kostenloses Öffi-Ticket für Lehrpersonen gibt, um den Beruf weiter zu attraktiveren.
Damit ist es uns gelungen, dass in diesem Schuljahr alle Stunden besetzt sind, dass alle Klassen eine Lehrkraft haben. Es gibt aber immer wieder kurzfristige Ausfälle, weshalb wir auch laufend neues Lehrpersonal suchen und auch einstellen.
Im Prinzip sind die Klassen somit gedeckt, also ist das ein Einzelfall?
Mit dem Schulstart konnten alle Stunden abgedeckt werden, was einer intensiven Vorarbeit geschuldet ist. Wir haben sehr intensiv daran gearbeitet. Es gibt aber weiterhin Standorte, wo Überstunden geleistet werden müssen. Dementsprechend ist ein zusätzliches Lehrpersonal auch jetzt noch wichtig. Wir suchen auch noch weiterhin Lehrkräfte, weil auch immer wieder kurzfristig Leute ausfallen, zum Beispiel in Karenz gehen und dann braucht es kurzfristig Ersatz.
Wie wollen Sie sicherstellen, dass Kinder mit Migrationshintergrund bessere Bildungschancen und Deutschkenntnisse erhalten?
Das Wichtigste ist ein guter Start durch einen guten Kindergarten. Wir haben die Unterstützung der Kindergärten massiv erhöht, um auch die Sprachförderung im Kindergarten zu stärken. In der Schule ist die Ganztagsbetreuung ein sehr wichtiger Faktor – einerseits zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, andererseits auch zur Förderung der deutschen Sprache. Deshalb haben wir uns in Wien das Ziel gesetzt, pro Jahr zehn neue Ganztagsschulen zu errichten. Das ist uns in den letzten Jahren auch gelungen. Ganztagsschulen in Wien sind für Eltern kostenlos, inklusive eines kostenfreien Mittagessens. Das ist nicht nur gut für die Kinder und deren Bildung, sondern auch eine finanzielle Entlastung für die Eltern.
Sehen Sie strukturelle Probleme in der Wiener Verwaltung, die eine erfolgreiche Integration behindern?
Ich sehe hier Gesetze, die bundesweit erlassen werden, die integrationsbehindernd sind. Beispielsweise in der Staatsbürgerschaft gibt es ein unglaublich restriktives Gesetz, das es sowohl für die Antragstellenden als auch für die Verwaltung extrem schwer macht. Ich würde mir hier eine Erleichterung wünschen, damit die Integration auch durch das Erlangen der Staatsbürgerschaft besser funktioniert.
Haben Sie konkrete Vorschläge, um die Zusammenarbeit zwischen Wien und dem Bund zu verbessern?
Im letzten Schuljahr sind über 4.500 Kinder nach Wien gekommen. Hier ist eine gemeinsame Zusammenarbeit notwendig. In vielen Bereichen unterstützt die Bundesregierung Wien jedoch nicht, sondern zeigt gerne mit dem Finger auf die Hauptstadt. Mein Angebot ist stets, zu kooperieren und zusammenzuarbeiten. Manchmal funktioniert das auch, wie zum Beispiel bei der Einführung eines Sekretariats für jede Schule in Wien, was durch die Zusammenarbeit zwischen dem Bundesministerium und mir erreicht wurde. So reibungslos sollte es auch in anderen Bereichen funktionieren.
In vielen Bereichen zeigt die Bundesregierung gerne mit dem Finger auf die Hauptstadt.
Sie haben die Bundesregierung als „anstandslos“ bezeichnet. Sind solche Aussagen konstruktiv?
Ich muss präzisieren. Ich habe die Politik der ÖVP als „anstandslos“ bezeichnet, als es um die plumpe Diskussion zur Leitkultur ging. Das Thema war, ob man Blasmusik mag oder Trachten trägt. Meiner Meinung nach ist das eine anstandslose Diskussion über unsere Grundwerte, da diese viel, viel mehr umfassen als nur Blasmusik und Kirtag.
Sie fordern, dass Deutschkenntnisse Pflicht sein sollten. Wie wollen Sie das durchsetzen und wie reagieren Sie auf die Kritik, dass dies integrationsfeindlich sein könnte?
Wir haben in Wien kostenlose Deutschkurse für Kinder im Sommer geschaffen. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Angebote, um Deutsch zu lernen. Wir sehen, dass manche Kinder große Defizite in der deutschen Sprache haben. Ein verpflichtendes Angebot im Sommer für diese Kinder wäre ebenfalls sinnvoll, damit sie dem Schulunterricht besser folgen können. Das ist nämlich das Problem: Wer die deutsche Sprache nicht gut beherrscht, kann auch nicht adäquat benotet werden, was für die Kinder sehr schwierig ist.
Um gute Deutschkenntnisse zu ermöglichen, braucht es einerseits eine Reform und andererseits die Möglichkeit, im Sommer verpflichtende Kurse für Kinder anzubieten. Das Erlernen der deutschen Sprache ist in Österreich, insbesondere für Kinder, extrem wichtig. Gleichzeitig ist es mir auch wichtig, dass Mehrsprachigkeit gefördert wird. Für mich ist es kein entweder Deutsch oder die Erstsprache, sondern sowohl als auch und darum fördern wir auch die Erstsprache an den Wiener Schulen. Es gibt eigene Erstsprachlehrerinnen und Lehrer in über 20 unterschiedlichen Sprachen.
Für mich ist es kein entweder Deutsch oder die Erstsprache!
Inwiefern sehen Sie sich in der Pflicht, eine deeskalierende Sprache zu fördern, insbesondere in Zeiten gesellschaftlicher Spannungen?
Ich halte es für wichtig, eine klare Sprache zu haben, weil es bringt niemanden etwas polemisch zu werden. Gleichzeitig muss es aber immer konstruktive Politik geben, nämlich Lösungen vorzuschlagen. Und dort, wo ich verantwortlich bin, diese Vorschläge einzuführen, um das Zusammenleben der Menschen zu verbessern.
Also Sie meinen, Euphemismen bringen uns nicht weiter?
Probleme zu leugnen, bringt uns nicht weiter. In der Integrationsdebatte der Vergangenheit gab es zwei Pole: die Linke, die alle Probleme geleugnet hat, und die Rechte, deren Geschäftsmodell auf den Problemen selbst basierte. Mein Ansatz liegt in der Mitte: Probleme anzuerkennen, aber stets Lösungen vorzuschlagen und eine optimistische Politik mit Reformen zu gestalten, damit sich das Leben der Menschen verbessert.
Wie wollen Sie das Problem der Schulcontainer in Wien langfristig lösen und fühlen Sie sich vom Bund diesbezüglich im Stich gelassen?
Wir investieren in Wien massiv in den Schulbau. Jedes Jahr errichten wir mehrere neue Schulgebäude und erweitern bestehende durch Zubauten. Kurzfristig war es notwendig, mobile Klassen zu errichten. Diese sind vollwertige Klassen mit guter Belüftung und modernster Ausstattung. Mittelfristig werden sie in dauerhafte Schulzubauten umgewandelt. Das war in den letzten Jahren aufgrund der Familienzusammenführungen erforderlich, weshalb kurzfristig auf mobile Klassen ausgewichen wurde. Viele Schulen nutzen diese mobilen Klassen gerne, und für die Kinder macht es keinen Unterschied, denn das Wichtigste ist, dass der Unterricht Spaß macht und die Kinder gerne zur Schule gehen. Mit der modernen Ausstattung dieser mobilen Schulklassen ist das auf jeden Fall gewährleistet.
Das Wichtigste ist, dass der Unterricht Spaß macht und die Kinder gerne zur Schule gehen.
Wie reagieren Sie auf die Skandale in den Wiener Kindergärten und welche Maßnahmen ergreifen Sie, um die Qualität und Sicherheit zu gewährleisten und was können Sie besorgten Eltern sagen?
In Wien haben wir ein ausgezeichnetes Kindergartensystem mit vielen engagierten privaten Kindergärten sowie hervorragenden städtischen Kindergärten, die von unglaublich engagierten Pädagoginnen und Pädagogen geführt werden. Aus den Problemen der Vergangenheit haben wir gelernt. Wir haben in Wien den strengsten Kinderschutz in ganz Österreich gesetzlich verankert und die Förderkontrollen verschärft, sodass das Fördergeld der Stadt ausschließlich dem Wohlergehen der Kinder zugutekommt.
Gibt es ein konkretes Prozedere, um Missbräuche zu verhindern?
Wir haben hier ein eigenes Gesetz dazu gemacht, um den Kinderschutz zu stärken, damit sich alle Eltern sicher sein können, dass der Kindergarten ein geschützter Ort ist. Dafür gibt es Auflagen für alle Kindergärten. Ein Kinderschutzbeauftragter etwa, um Personen zu schulen, die sich insbesondere um den Kinderschutz kümmern, vor allem um die Prävention. Auch wenn ein Vorfall eintritt, ist es wesentlich, transparent mit den Eltern und der Öffentlichkeit zu kommunizieren. Das ist mir in meiner politischen Verantwortung sehr wichtig. Wir haben das System so verändert, dass wir österreichweit zum Vorbild geworden sind und ein sehr hohes Schutzlevel erreicht haben.
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