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REPORTAGE

Wiens Betrugsszene: Was spielt sich in den dunkelsten Gassen der lebenswertesten Stadt der Welt ab?

Betrug
FOTO: iStockphoto

VORSICHT! Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um. So auch Menschen unserer Herkunft in Wien, die auf der Suche nach Hilfe betrügerischen Kriminellen in die Fänge geraten.

Wien ist wieder einmal die weltweit beste Stadt zum Leben, aber hinter der glänzenden Kulisse gibt es auch schwarze Löcher, in denen Kriminalität und Betrug blühen und deren Akteure vom Balkan stammen. In diese Welt haben wir mit Hilfe der Facebook-Gruppe „Prevaranti u Beču – u službi naroda“, die Nenad Jevtić (44), Privatunternehmer im Bereich Sport und Erholung, Mitte 2017 gegründet hat, einen Blick geworfen.

„Ich bin vor 27 Jahren aus meiner Heimatstadt Požarevac nach Wien gekommen. Mit meiner Arbeit und dem Leben in Österreich bin ich zufrieden, aber die FB-Gruppe, die derzeit über 2.500 Mitglieder hat, habe ich gegründet, weil ich Ungerechtigkeit und Unehrlichkeit nicht ertragen kann. Auch ich wurde betrogen, und als mir das das letzte Mal passierte, habe ich begriffen, dass die Betrüge sehr perfide vorgehen und dass man die Menschen vor einigen Dingen warnen muss. Mich hat mein Bekannter Aca betrogen, mit dem ich vereinbart hatte, dass er bei der Renovierung meines Geschäftsraums einige Arbeiten ausführt. Er hat von mir 400 Euro als Anzahlung für Material erhalten und ist einfach verschwunden. Ich habe mich schlecht gefühlt und habe aus Prinzip entschieden, dass ich dieses Geld zurückbekommen werde. Wir schreiben uns über das Internet und er behauptet immer, dass er mir das Geld zurückgibt, setzt Fristen und lügt. Ich habe ihm angeboten, dass er mir monatlich 20 Euro zahlen soll, das hat er angenommen, aber er hat mich wieder betrogen. Offensichtlich ist das seine Lebensweise“, sagt Nenad.

Nenad Jevtić: „Die Menschen sprechen nicht gerne über Betrugsfälle, denn sie haben Angst vor Vergeltung. Wer bewusst betrügt, ist auch zur Gewalt bereit. (FOTO: Amel Topcagic)

Der Gruppe können ausschließlich Leute beitreten, die auf Facebook ein Bild haben und Vornamen und Namen angeben. Ihre Probleme werden erst nach einem direkten Kontakt mit dem Gründer veröffentlicht.

„Weil in der Gruppe überwiegend betrogene Menschen sind, möchte ich mich überzeugen, dass ihre Geschichten echt sind. Es darf keinen Missbrauch geben. Manchmal scheuen sich Menschen, öffentlich auf einen Betrug hinzuweisen, denn sie haben Angst vor Vergeltung, was normal ist, denn jemand, der bewusst betrügt, ist auch zur Gewalt bereit. Jedes potentielle Mitglied der Gruppe schreibt sein Problem, aber vor der Veröffentlichung lese ich es durch und überlege mir genau, ob es glaubwürdig klingt. Um jemanden des Betrugs zu bezichtigen, muss man mir dafür einen Beweis vorlegen: eine Kopie oder irgendetwas anderes. Ich übernehme keinerlei Verantwortung für das, was geschrieben wird, außer dass ich darauf achte, dass die Regeln der sozialen Netzwerke nicht verletzt werden“, erzählt uns Jevtić und weist darauf hin, dass viele FB-Gruppen Drehscheiben für Betrüger sind.

FB-GRUPPEN sind für Betrüger oft Drehscheiben, um im Trüben zu fischen und Geschäfte zu machen.

Visa, Stempel, Ehen…
Die besten Chancen, um im Trüben zu fischen, finden die Betrüger bei Menschen, die Probleme mit dem Aufenthalt und der Zuwanderung nach Österreich haben. Einige sind geradezu unvernünftig mutig und bieten ihre Dienste öffentlich in FB-Gruppen an, wobei sie dafür je nach Fall manchmal mehrere tausend Euro fordern. Normalerweise prahlen sie mit guten Beziehungen in den Behörden, an den Grenzübergängen und unter potentiellen Bräuten und Bräutigamen, die gegen eine angemessene Vergütung zu einer Heirat bereit sind. Wer sich auf dieses Spiel einlässt und den Tango Criminale mittanzt, kommt nicht ohne schwere Folgen wieder heraus. Da gibt es gefälschte Visa und Stempel in den Pässen, die leicht als Fälschung entlarvt werden. Natürlich ist der Täter dann unauffindbar und die naiven Menschen werden belangt, denn sie gelten als Mittäter.

Überschreitung des Aufenthalts – S. K.
Dem Gesetz nach darf man sich drei Monate als Tourist in der EU aufhalten und jede Überschreitung kann Probleme bereiten. Natürlich ist es gefährlich, wenn man sich mit ungesetzlichen Methoden darüber hinwegsetzt.

„Ich habe in Wien einen Deutschkurs besucht, denn ich wollte bereit sein für später, wenn ich hier meine Ausbildung fortgesetzt hätte. Aber der Kurs dauerte länger als die erlaubten drei Monate. Dann habe ich mich ein bisschen entspannt, verschiedene Informationen eingeholt und bin gleich zwei Monate länger geblieben. Ich hatte gehört, dass es da an der ungarisch-serbischen Grenze große Probleme geben könnte, und ich bekam Panik. Wie das eben so ist, machen wir in solchen Situationen leicht Fehler, was auch mir passierte. Ich nahm ein Hilfsangebot von P. J. an, der mir sagte, an der Grenze arbeite sein guter Freund und ich könnte ohne Probleme ausreisen. Er nahm meinen Pass und brachte ihn mir nach kurzer Zeit mit zwei neuen Stempeln wieder. Dafür zahlte ich ihm 350 Euro. Leider stellte sich an der Grenze heraus, dass es sich um Fälschungen handelte und ich bekam ein Jahr Einreiseverbot in die EU. Eigentlich wäre es für dieses Vergehen sogar mehr gewesen, aber ich habe der Polizei alles erzählt und sie haben wahrscheinlich erkannt, dass ich die Wahrheit sagte. Alle meine Pläne für eine Ausbildung in Wien fielen ins Wasser und ich habe frustriert mein Leben in Serbien weitergeführt. Über FB habe ich erfahren, dass dieser Betrüger von anderen Leuten sogar 1.200 Euro gefordert hat, aber das tröstet mich nicht.“

Der teure Weg zum Standesamt – M. N.
Der Trauschein bietet Wege, sich in Österreich Aufenthaltsvisa zu erschleichen. Angeblich hat eine Frau mit zehn Männern gleichzeitig eine Hochzeit mit ihrer Tochter, einer österreichischen Staatsbürgerin, vereinbart. Von allen nahm sie eine Anzahlung und verschwand. Aber auch ungarische Staatsbürger sind in dieser Szene aktiv.

Wenn man sich auf Betrügereien einlässt und den Tango Criminale mittanzt, bleibt das nicht ohne Folgen.

„Das Leben in Serbien ist schwer und ich träume schon seit Jahren davon, nach Wien zu ziehen, wo viele meiner Verwandten und Freunde leben. Ich dachte, dass das Glück mir hold war, als ich vor einigen Monaten S. Š. kennenlernte, der behauptete, dass er mir helfen könnte. Dafür verlangte er 7.500 Euro. Ich hatte natürlich nicht so viel Geld. Darum haben wir verabredet, dass ich ihm 2.000 Euro sofort zahlte und den Rest in Raten von 500 Euro monatlich. Er fand einen Landsmann von uns mit einem ungarischen Pass und wir heirateten in Subotica. Der weitere Plan war, dass S. meinen ‚Bräutigam‘ für drei Monate in der Firma seines Freundes in Wien anmelden sollte und dass so auch ich eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis bekäme. Leider wurde daraus nichts, weil der Anstifter anfing, mir aus dem Weg zu gehen, und in der Zwischenzeit wurde der Mann, den ich geheiratet hatte, schwer krank. Ich befand mich in einem Vakuum, denn meine Dokumente waren bei S. geblieben. Mein angeblicher Ehemann, der nur 500 Euro bekommen hatte, kann mir aufgrund seiner Erkrankung nicht helfen, die Ehe annullieren zu lassen. Den Betrüger rufe ich ständig an, sende ihm Nachrichten, fordere mein Geld und meine Dokumente zurück, aber er meldet sich nicht. Vielleicht liest er diese Geschichte in der Zeitung und erschrickt, denn er betreibt dieses Geschäft im großen Stil. Sie sind meine letzte Hoffnung, aus dem schrecklichen Problem, in das ich hineingeraten bin, herauszukommen.“

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Vera Marjnaovic
Meine Berufung zur Journalistin entdeckte ich bereits als Sechzehnjährige während meiner Gymnasialzeit in Montenegro. Diesem Berufszweig bin ich seither treu geblieben. Nach meiner Ankunft in Wien widmete ich mich der Arbeit mit Mitgliedern der BKS-Gemeinschaft, wodurch ich tiefgreifende Einblicke in die Lebensgeschichten und sowohl die Triumphe als auch die Herausforderungen verschiedener Generationen gewann. Diese vielfältige Palette an Persönlichkeiten prägte meinen journalistischen Weg und festigte mein Engagement für soziale Themen.