Wir trafen Stadtrat Jürgen Czernohorszky zum Interview und sprachen über die Herausforderungen in der Integrationspolitik, den Kurs der Bundesregierung, die steigende Anzahl an rassistischen Vorfällen und die Diskussion über Ethikunterricht.
KOSMO: „Mehrsprachigkeit ist eine große Bereicherung und wer das nicht sieht, ist selber schuld,“ sagten Sie kürzlich bei „Sag’s Multi“. Wie kann man Sprachen mit weniger Prestige (z.B. Bosnisch/Kroatisch/Serbisch und Türkisch) so „salonfähig“ wie Englisch und Französisch machen?
Jürgen Czernohorszky: Zum einen, indem man überhaupt dieses Bekenntnis, Mehrsprachigkeit zu fördern, Sprache als Schatz, als Schlüssel zur Welt zu sehen, einmal lebt. Ich denke, dass es der erste Schritt ist, wenn eine Gesellschaft erkennt, dass Sprache immer eine Möglichkeit ist, sich die Welt zu erschließen. Jeder, der mehrere Sprachen kann, hat mehr von diesem Schatz. Wir arbeiten wirklich sehr viel mit unseren Pädagoginnen und Pädagogen daran, dass das in die Tat umgesetzt wird. Weiter muss man Sprache auch zum Wohle der Kinder fördern. Insgesamt 18.000 Schülerinnen und Schüler in Wien erhalten Förderung in ihrer Erstsprache und entwickeln sich in dieser auch weiter. Es ist mir wirklich wichtig, dass wir etwas begreifen, was Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schon ewig sagen, nämlich, dass auch die Weiterentwicklung der Deutschfähigkeiten oder anderer Sprachen, leichter ist, wenn man seine Muttersprache so gut wie möglich entwickeln und auch sprechen kann. Das eine hängt mit dem anderen zusammen.
In der Bevölkerung hört man oft das Vorurteil, dass Migrantenkinder „halbsprachig“, d.h. weder in der Erstsprache noch in Deutsch richtig sattelfest wären. Gibt es hierzu Studien, die dies bestätigten bzw. wiederlegen?
Studien für Wien gibt es meines Wissens nach keine. Es ist auch eine umstrittene These. Was sicher stimmt ist, dass man Sprachlichkeit, wie zum Beispiel die Schriftfähigkeit, die Ausdrucksstärke, den Wortschatz etc., fördern soll, weil man eben insgesamt, damit Mehrsprachigkeit fördert. Ob das im Umkehrschluss heißt, dass Menschen, die mehrsprachig aufwachsen, in einer dieser Sprachen, oder allen Sprachen schlechtere Fähigkeiten haben, lässt sich nicht nachweisen. Dies ist eigentlich nur ein gängiges Vorurteil. Wie gesagt, fit sein in einer zusätzlichen Sprache, sei es die Muttersprache oder nicht, ist kein Hindernis, sondern eher ein Schlüssel.
„So schnell wie möglich arbeiten zu gehen, die Sprache zu lernen etc. Das ist die Grundidee von Integrationspolitik in Wien – Integration ab dem ersten Tag an und Empowerment.“
Mit „Werkstadt Junges Wien“ wurde ein einzigartiges Teilhabeprojekt für die jüngsten Bewohner der Stadt initiiert. Warum ist es so wichtig, dass auch die jungen Wienerinnen und Wiener mitgestalten und in welcher Form können sie dies tun?
Zuerst einmal ist es für mich eine völlig logische Erkenntnis, denn Wien ist in den letzten Jahrzehnten eine unglaublich junge Stadt geworden. Über 360.000 Wienerinnen und Wiener sind unter 19 Jahre alt und damit ist Wien das Jugendzentrum Österreichs. Wenn jetzt also ein Fünftel der Wienerinnen und Wiener ein Kind oder Jugendlicher ist, dann liegt es doch nahe, dass man sie fragt, was sie brauchen und was sie sich von einer Stadt erwarten, damit diese zu einer noch besseren Stadt für Kinder und Jugendliche werden kann. Ich habe die tiefe Überzeugung, dass Mitsprache bzw. Demokratie kein bloßes Projekt, sondern das Recht der jungen Leute ist. Die Politik muss sich überlegen, wie junge Leute zu diesem Recht kommen. Die Werkstadt junges Wien versucht genau das. Es ist das größte Mitmachprojekt, welches diese Stadt jemals gesehen hat und das ist gut so. Mir ist wichtig, dass wir dabei nicht nur zeigen, dass wir Erwachsenen, wir Politikerinnen und Politiker, wir Stadtverantwortlichen von den jungen Leuten wissen wollen was sie brauchen, wie sie diese Stadt sehen und in welche Richtung es gehen soll, sondern wir wollen sie auch einbinden, wenn wir das dann umsetzen. Das was jetzt gemeinsam in den Werkstätten in ganz Wien passiert. 10.000 Jugendliche denken darüber nach, wie es besser gehen kann – das kann jedoch nur der erste Schritt sein. Der zweite Schritt wird es sein, dies dann in die Tat umzusetzen und sich dabei von den Jugendlichen auf die Finger schauen zu lassen.
Das Bildungsprogramm „InterSpace“ für neuzugewanderte Kinder und Jugendliche läuft nun seit mehr als einem Jahr. Wie sehen die Erfolge aus und in welchen Bereichen sehen Sie Verbesserungsbedarf?
Bei InterSpace ist es uns konkret darum gegangen, eine Lücke zu schließen, die wir gesehen haben, als wir das letzte Mal unseren Integrationsmonitor diskutiert haben. Wir haben erkannt, dass es ganz besonders für junge Leute, die über dem Pflichtschulalter sind, Bedarf an Unterstützung gibt. InterSpace ist eine Brücke hin in eine weiterführende Ausbildung, oder hin in den Arbeitsmarkt durch die Vermittlung von maßgeschneiderten Fähigkeiten, aber auch Grundkenntnissen. Jetzt, nach dem ersten Projektzeitraum, können wir sagen, dass es sehr erfolgreich ist. 80 Prozent aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind vermittelt worden – entweder in eine weiterführende Ausbildung, in eine Schule oder direkt am Arbeitsmarkt. Das ist für einen so kurzen Zeitraum eine beeindruckende Zahl und ein Erfolg. Zusammenfassend würde ich sagen, dass man in dieser Republik mehrere solche Maßnahmen setzen sollte, denn genau hier passieren Einsparungen durch die Bundesregierung und ich denke das ist für die gesamte Gesellschaft schlecht. Was wir mit Interspace erreichen möchten ist, dass Menschen, die ein Teil unserer Stadt sind, so schnell wie möglich auf eigenen Beinen stehen können.
Sie haben sich dafür eingesetzt, dass der Verein „Teenstar“ aus den Schulen verbannt wird. Wieso war Ihnen dieser ein Dorn im Auge?
Viele Berichte und auch die Einschätzung von allen Expertinnen und Experten zeigen, dass hier ein wirklich veraltetes, menschenfeindliches Bild von Sexualität vermittelt wird. Den Jugendlichen wurde vermittelt, dass Sex vor der Ehe böse ist, oder Homosexualität heilbar ist – Absurditäten eben. Und das entspricht auch nicht dem Grundsatzerlass für Sexualpädagogik. Schule muss ein Bereich sein, wo Kinder und Jugendliche Selbstbewusstsein bekommen und Wissen vermittelt wird und nicht Halbwissen oder Unwahrheiten, noch dazu mit dem Weg, den Kindern und Jugendlichen Angst zu machen. Das hat für mich keinen Platz in der Schule.
Oftmals wird dem Religionsunterricht, aller Glaubensrichtungen, vorgeworfen, nicht nur Glaubenswerte, sondern auch konservative Ideologien zu verbreiten. Wie stehen Sie zum Thema Ethikunterricht für alle Schülerinnen und Schüler?
Ich glaube das ist die einzige Option, die sicherstellt, dass ethische Fragestellungen gemeinsam diskutiert werden. Zum Beispiel Fragen was gut und was böse ist, was richtig oder falsch ist, was insgesamt eine Gesellschaft zusammenhält. Es ist überhaupt nicht schlecht sich diese Fragestellungen auch aus der Perspektive eine Religionsgemeinschaft beantworten zu lassen. Notwendig ist jedoch, dass sich alle Schülerinnen und Schüler gemeinsam diesen Themen stellen. Das braucht eben einen Ethikunterricht für alle und nicht nur für die, die sich von Religion abmelden. Leider ist es so, dass die Bundesregierung jetzt mit ihrem Vorstoß Ethikunterricht in Hinkunft genau wieder nur einen Teil der Schülerinnen und Schüler meint. Die Grundidee von Ethik ist, dass sich die Gesellschaft ausmacht, wie man miteinander leben will. Genau diese Grundidee wird aber eigentlich ignoriert, in dem man sagt, dass nicht alle gemeinsam teilnehmen, sondern nur ein paar.
Die LBGTQ-Community am Balkan hat es im Vergleich zu Österreich schwerer, was man unter anderem am Beispiel der Pride in Sarajevo sieht. Kürzlich lud Bürgermeister Ludwig seinen Kollegen aus Belgrad zur Europride nach Wien. Gibt es in diesem Bereich noch weitere aktive Zusammenarbeit mit den Balkanländern?
Ja, durch Erfahrungsaustausch und die Arbeit mit Organisationen aus der Community. Generell ist die Geschichte der Regenbogenparade in Wien auch eine Geschichte des Sichtbarmachens, des Unterstützens, des Raumbietens, gerade auch für den mittel- und osteuropäischen Raum und gerade auch für den Balkanraum. Viele Leute aus Ländern des Balkans erleben die Wiener Pride als ihre Pride. Das ist auch gut so. Diesem Gedanken ist auch unser Bürgermeister gefolgt und hat explizit die Einladung dafür ausgesprochen. Deswegen soll die Europride gerade für die LGBTQ-Communitys eine Unterstützung sein.
„Fit in einer zusätzlichen Sprache sein, sei es die Muttersprache oder nicht, ist kein Hindernis, sondern eher ein Schlüssel“
Auch unter Migranten in Österreich herrscht nicht selten eine homophobe Grundstimmung. Vor allem Menschen auf Balkan sind sehr negativ gegenüber Mitgliedern der LGBTQ-Community eingestellt. Wie möchten Sie bei diesen Menschen zu einem Umdenken anregen?
Es gibt eine Zusammenarbeit mit der Organisation MiGaY, eine Plattform für die migrantische LBGTQ-Community. Oder auch mit dem Verein ORQUOA, der Oriental Queer Organization, die sich für die Anerkennung der Rechte von MigrantInnen aus der LGBT-Community in Österreich einsetzt.Hier wird explizit mit MigrantInnen gearbeitet, um erstens einfach Unterstützung für die Personen in den Communitys zu bieten und zweitens aber auch um Toleranz, Verständnis und eine Normalität, wie wir sie uns in einer Gesellschaft vorstellen, zu vermitteln. Am Ende des Tages ist ja das Verständnis von Wien als Regenbogenhauptstadt nicht, dass alle in dieser Stadt schwul oder lesbisch sein sollen, sondern, dass in dieser Stadt ein gemeinsames Grundverständnis gelebt wird, das jeder hier in Wien seinen oder ihren Platz hat, egal wen er liebt und egal wie er oder sie lebt.
Im letzten Jahr meldete ZARA 1.920 rassistische Vorfälle. Welche Menschen sind davon am meisten betroffen und worin sehen Sie die Gründe für so eine hohe Anzahl an Vorfällen?
Das ist eine Entwicklung, die mich sehr beunruhigt und ganz sicher auch damit zu tun hat, dass generell die Grundstimmung in unserer Gesellschaft eine geworden ist, die es mehr als je zuvor „Normalität“ werden hat lassen, dass auf dem Rücken von ganzen Menschengruppen gehetzt wird und Sündenböcke gesucht werden. Das ist sicher auch ein Ergebnis der rechten Bundesregierung. Man muss aber auch sagen, dass die Tatsache, dass ZARA von mehr Fällen berichten kann, auch heißt, dass es mehr Zivilcourage gibt, also mehr Menschen rassistische Vorfälle aufzeigen. Die Wiener Bevölkerung, sowie die Österreicherinnen und Österreicher generell, egal wie sie leben oder woher sie kommen, wollen in Frieden zusammenleben. Das bedeutet natürlich, „Nein“ zu allen Strömungen, allen Handlungen, allen Aussagen zu sagen, die diesen Frieden in Frage stellen, wie Rassismus oder Antisemitismus.
Laut einem Bericht von SOS-Mitmenschen wurden 72 Prozent aller Maßnahmen der Regierung als überwiegend oder gänzlich desintegrativ eingestuft. Welche Maßnahmen stören Sie am meisten und wie würden Sie diese zugunsten einer besser funktionierenden Integration verändern?
Mein Grundverständnis ist, dass Integrationspolitik etwas sehr Pragmatisches und eigentlich sehr Logisches ist. Wenn wir als Gesellschaft möchten, dass in unserer Stadt, in unserem Dorf, oder in unserem Land die Menschen überall gut miteinander leben können, dann müssen wir daran arbeiten, dass ab dem ersten Tag Maßnahmen gesetzt werden, die den Leuten helfen so schnell wie möglich ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen. So schnell wie möglich arbeiten zu gehen, die Sprache zu lernen etc. Das ist die Grundidee von Integrationspolitik in Wien – Integration ab dem ersten Tag an und Empowerment. Alles was von der Bundesregierung an Neuem gemacht wurde ist genau da einsparen wo diese Maßnahmen gesetzt werden. Sehr interessant finde ich, dass überall in Österreich, wo man mit Leuten redet, die nahe dran sind an der Bevölkerung, die Beunruhigung über die Einsparungen gleich ist und das nicht nur bei Sozialdemokraten, wie ich es bin. Das sind Bürgermeister aller Couleurs. Dort wo auf Bundesebene etwas „Neues“ gemacht wird, wird explizit Desintegrationspolitik betrieben. Menschen an den Rand schieben, oder Menschen die Möglichkeit nehmen zu arbeiten, wie zum Beispiel bei den Lehrlingen, die ihre Ausbildung nicht fertig machen können. Das ist für mich eine unglaubliche Boshaftigkeit der Bundesregierung.
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