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Balkan Stories: Der tiefe Fall der Diva

FOTO: EPA-EFE/ANDREJ CUKIC/Instagram/karleusastar
FOTO: EPA-EFE/ANDREJ CUKIC/Instagram/karleusastar

Der serbische Turbofolk-Star Jelena Karleuša ist offenbar an einem Tiefpunkt angelangt. In der Auseinandersetzung um die Massenproteste in Serbien ist sie zum wohl brutalsten Sprachrohr von Serbiens Präsidenten Aleksandar Vučić geworden.

Jahrzehntelang galt sie als Aushängeschild des liberalen Serbien.

Heute beschimpft sie die Studenten, die seit mehr als zwei Monaten die Massenproteste im Land anführen, als Marionetten von Faschisten, fordert, dass alle Professoren und Lehrer entlassen werden, die sich hinter ihre Schüler und Studenten gestellt haben, sieht Landesverräter und scheut sich nicht, Jasenovac in ihren Tiraden gegen die Massenproteste zu instrumentalisieren.

Jelena Karleušas Fall in den vergangenen Wochen kommt vielleicht nicht überraschend. Verhaltensoriginell ist die jahrzehntelange Nummer zwei der Turbofolk-Charts seit einigen Jahren. Was überrascht, ist die Geschwindigkeit, in der sie die Situation eskaliert und den eigenen Fall beschleunigt.

Von Beginn an verurteilte sie die Studentproteste, die seit mehr als zwei Monaten die serbische Innenpolitik dominieren.

Die Studenten fordern, dass der Vordacheinsturz am Novi Sader Bahnhof vom 1. November aufgeklärt wird, bei dem 15 Menschen ums Leben kamen, dass Ermittler und Justizbehörden frei und rechtstaatlich arbeiten, dass die offene Korruption im Land bekämpft wird.

Ihnen haben sich mittlerweile breite Teile der Bevölkerung im Land angeschlossen.

Nole, Madonna, Studenten – alles Feinde, alles Faschismus

Als sich Tennis-Star Novak Đoković vor zwei Wochen erstmals freundlich über die Studenten äußerte und Verständnis für ihre Anliegen signalisierte, explodierte Karleuša. Sie schätze Nole als Sportler, aber er solle sich aus der Politik heraushalten.

Nole müsse die „faschistischen Manöver“ verurteilen, solle sie unterstützen. „Ich schaffe es nicht alleine, andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens haben Angst, von bezahlten Agenten gelyncht zu werden, und das nennt man Faschismus! Hilf mir, hilf Serbien, das derzeit von allen Seiten angegriffen wird – von Kurti bis zu einheimischen Verrätern!“, schrieb sie auf ihrem Instagram-Kanal.

Nicht der erste Ausfall gegen die Studenten, aber der bisher schlimmste.

Als Beograder Studenten nach Novi Sad marschierten, um ihre dortigen Kollegen bei der Blockade von drei Brücken zu unterstützen, eskalierte es völlig.

„Sollen wir ihnen unterwegs Essen geben, damit sie etwas essen können?! Sie sollten doch nicht mit leerem Magen Brücken blockieren, oder?! Ich kann mich nicht erinnern, dass Sie Ihren eigenen Leuten Essen gaben, die während der „Operation Oluja“ aus Kroatien flüchteten!!!! 350.000 waren es!!! Ihr habt euch keine Gedanken darüber gemacht, wo sie nachts schlafen würden, und sie haben alles verloren!!!! Serbische Brüder – seid keine Verräter und macht mich nicht wütend! Oder wird Severina euch vorsingen, dass ihr Völkermörder seid und dass Jasenovac auf euch wartet?“, warf sie mit stark aufgeladenen Buzzwords um sich.

Der Völkermord an den Serben im Zweiten Weltkrieg und die Massenflucht von Serben bei der Eroberung Slawoniens durch die kroatische Armee 1995 werden von serbischen Nationalisten seit jeher instrumentalisiert.

Wie sich Karleuša wohl gefühlt haben mag, als die Bewohner der Vojvodina die Studenten auf ihrem Marsch wie Helden begrüßten, großzügig bewirteten, Feuerwerke für sie abbrannten?

Auch Madonna zog den Zorn der Sängerin auf sich, als sie öffentlich die Studenten in Serbien unterstützte.

Nur einen Tag später traf es die Professoren und Lehrer, die gemeinsam mit ihren Schülern und Studenten in den Ausstand getreten werden.

„Jeder Pädagoge, Lehrer, Professor, der seine Position missbraucht und den Kindern in der Schule seine politische Position aufgezwungen hat, muss entlassen werden. Alle Eltern, die von Lehrern und Professoren wissen, die Kinder zu Schulblockaden angestiftet haben, sollten Strafanzeige gegen sie erstatten“, schrieb sie auf ihrem Instagram-Account.

Und weil sie gerade in Fahrt war, ging es wieder gegen Nole. Der hatte öffentlich einen Sweater mit der Aufschrift „Students are champions“ getragen. Das macht man besser nicht, wenn man mit Jelena Karleuša noch reden will.

„Viele Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, angeführt von Novak Đoković, haben Öl ins Feuer gegossen, anstatt ihre Popularität und ihren Einfluss zu nutzen, um eine Rückkehr zu den Schulen, für Ruhe, für Einheit zu fordern.“

Und überhaupt, nur 0,2 Prozent der Serben hätten bisher an Protesten teilgenommen. Das wären 13.000 Menschen. Vermutlich waren am Samstag alleine in Novi Sad mindestens 87.000 weitere Menschen nur zufällig spazieren. Und die Zehntausenden andernorts gingen grillen.

Hunderttausende wollen Karleušas Instagram-Account löschen lassen

Wer der Meinung ist, Social Media-Accounts täten der Sängerin nicht gut, und man solle ihr das Internet wegnehmen, steht nicht alleine da. Nach den zahlreichen und immer wirreren Tiraden unterschrieben mehr als 300.000 Menschen innerhalb von zwei Tagen eine Petition, Karleušas Instagram-Account abzudrehen, wegen Hassreden, Rassismus etc.

Meta entsprach dem Begehren bis Mittwochabend nicht.

Was Karleuša nicht davon abhielt, in Medienauftritten ihr Dasein als Opfer zu zelebrieren. Und originelle juristische Theorien zu entwerfen: „Als serbische Staatsbürgerin habe ich das verfassungsmäßige Recht, meine Meinung auf meinem Instagram-Profil zu äußern.“

Sie war lange das Gesicht des „guten“, des „anderen“ Serbien

Das aus dem Mund einer Sängerin, die selbst Turbofolk-Verweigerer dafür schätzten, dass sie viele ihrer Texte selbst schrieb. Die jahrzehntelang gegen die gesellschaftlich allgemein akzeptierte Homophobie nicht nur in Serbien aufgestanden war

Die lange als „der gute Turbofolk-Star“ gegolten hatte, die nie mit nationalistischen Parolen oder Codes auffiel?

Karleuša hatte praktisch ihre gesamte Karriere lang weitaus mehr Fans als Menschen, die ihre Musik hörten – und das waren schon viele.

Wie die serbisch-österreichische Kabarettistin Malarina vor eineinhalb Jahren beschrieb, war sie einer der Identifikationspunkte all jener jungen Menschen in Serbien, die nichts mit dem nationalistischen Mief zu tun haben wollten, und die zutiefst ablehnten, wie gerade Turbofolk Hand in Hand einherging mit zweifelhaften politischen Botschaften.

In den 2000-ern gab es für viele junge Serben die Wahl: Ceca oder Jeca.

Ceca, die Nummer 1 der Turbofolk-Charts. Vor dem Krieg schon ein junger Star, hatte sie einen guten Teil ihrer Karriere dem Umstand zu verdanken, dass sie die Witwe des Mafioso und Kriegsverbrechers Arkan ist.

Sie umgab sich lange mit den Schergen ihres ermordeten Mannes, hielt gute Kontakte zu nationalistischen Politikern, flocht und flicht häufig nationalistische Codes in ihre Auftritte ein. Genug, um die einschlägigen Fans bei Laune zu halten, zurückhaltend genug, um auch unter muslimischen Bosniern eine breite Fanbasis zu haben.

Jeca, das ist einer der Spitznamen, den Fans Karleuša geben. Bekannt ist sie auch als JK oder Diva.

Karleušas liberales Image war immer so eine Sache.

Man musste nicht einmal sonderlich genau hinsehen, um zu merken, dass ihr etwa Frauenrechte kein sonderliches Anliegen für sie sind.

Wahrscheinlich ist kein einzelner Mensch so verantwortlich für die Pornographisierung der serbischen Musikszene wie Karleuša.

Spärlich und aufreizend gekleidet – spärlicher noch und aufreizender als Ceca – räkelt sie sich seit Jahrzehnten lasziv auf der Bühne, mittlerweile mit aufgepumpten Lippen und neuen Brüsten.

Man muss es deutlich sagen: Karleuša präsentiert sich wie ein alternder Pornostar.

Und vertritt nicht erst seit gestern öffentlich zweifelhafte Ansichten.

Eine Exkursion zu den Impfgegnern. Und eine Rückkehr in die Arme der SNS

Mitte der 2010-er husste sie ihre Fans gegen Masernimpfungen aus. Sie brachte sie mit Autismus in Verbindung – basierend auf der Studie des mittlerweile zwangsemeritierten schottischen Arztes Andrew Wakefield.

Wakefield fälschte die Daten und behauptete öffentlich, Masernimpfungen würden Autismus auslösen. Dass die Studie Unfug war, war zum Zeitpunkt von Karleušas Äußerungen lange bekannt. In Impfgegnerkreisen wird das schlicht geleugnet.

Ihren Standpunkt verteidigte die Diva wiederholt öffentlich, auch in TV-Interviews. 2018 brachte ihre das ein Verhör bei der Polizei ein.

Umso größer das Erstaunen der Öffentlichkeit, als sie sich 2021 gegen Corona impfen ließ.

Bei der Gelegenheit stellte sie auch klar, dass sie keine Impfgegnerin sein. Sie sei seinerzeit lediglich falsch interpretiert worden.

Wie Karleuša ihre Corona-Impfung öffentlich inszenierte, machte das zu einer PR-Aktion für sich selbst – und zu einer ersten Propagandaaktion für Serbiens Präsident Aleksandar Vučić und seine SNS.

Nach einer Reihe umstrittener Corona-Maßnahmen hatte Vučić das Impfprogramm zur obersten Strategie erklärt, und sichergestellt, dass Serbien in Corona-Impfungen praktisch unterging, während andere Staaten noch gröbere Probleme hatten, ausreichend Vakzine zu besorgen.

Ganz uneigennützig war diese zweifellos sinnvolle Maßnahme nicht. Vučić nützte sie, um sich selbst und seine Partei SNS in Szene zu setzen.

Karleuša wird bei ihrer Impfung etwa vom damaligen stellvertretenden Beograder Bürgermeister Goran Vesić von der SNS begleitet. Vesić wurde kurz darauf Verkehrsminister und war unter anderem politisch letztverantwortlich für die Renovierung des Bahnhofs von Novi Sad.

Jene Renovierung, bei der beim Vordach gepfuscht wurde. Jenem Vordach, das am 1. November 2024 einstürzte und 15 Menschen erschlug.

Die Katastrophe löste bekanntlich die Massenproteste in Serbien aus.

Vielleicht war die propagandistisch ausgeschlachtete Impfung 2021 ein erster Schritt bei der Annäherung Karleušas an Vučić, mit dem sie lange gefremdelt hatte.

Seit eineinhalb Jahren das brutalste Sprachrohr von Aleksandar Vučić

Endgültig wandte sie sich ihm Mitte 2023 zu.

Auch damals erschütterten Massenproteste das Land – wenn auch bei weitem nicht in dem Ausmaß wie heute.

Nach dem Amoklauf auf der Ribnikar-Schule in Beograd und einem Amoklauf in den Dörfern um Mladenovac unmittelbar darauf mit insgesamt beinahe 30 Toten gingen über Wochen insgesamt hunderttausende Serben auf die Straße. Sie forderten besseren Schutz vor Gewalt.

(Mehr lest ihr unter anderem in dieser Reportage.)

Fast sah es so aus, als könnte das System Vučić stürzen.

Mit einer Gegendemonstration konnte die SNS die eigene Anhängerschaft so weit mobilisieren, dass sich Vučić und Partei genügend Zeit erkaufen konnten, um Neuwahlen zum für sie günstigsten Zeitpunkt und unter für sie günstigsten Bedingungen abzuhalten.

Nach Vučić die wahrscheinlich prominenteste Teilnehmerin bei der Regierungsdemo: Jelena Karleuša.

Größer konnte die Sensation kaum sein. Das hatte niemand erwartet. Die regierungsnahen Medien wie Pink schlachteten das genüßlich aus.

Dass die Sängerin schon ein halbes Jahr davor auf einem Konzert aufgetreten war, das eine Stiftung der SNS für Kinder veranstaltete, ging unter.

Seitdem ist die Diva zum obersten Vučić-Fangirl geworden. Nie sei es den Serben besser gegangen als unter ihm, wie sie nicht müde zu betonen.

Schon in der Vergangenheit führte das zu mitunter pikanten Situationen.

Und erst im August wurde sie gegen Menschen ausfällig, die gegen das umstrittene Rio Tinto-Projekt auf die Straße gehen. Die geplanten Lithium-Minen an der Drina werden voraussichtlich das Ökosystem der Region zerstören.

Für Karleuša – wie für die SNS – ein Preis, den man eben zu bezahlen hat. Der Feind sind die, die dagegen sind. Karleuša ließ das die Gegner des Projekts spüren wie sonst niemand. Und gefiel sich offenbar in der Rolle als Vučić‘ brutalstes Sprachrohr.

Dass sie leugnet, dass Srebrenica Völkermord war, dürfte da nicht großartig überraschen. Fairerweise: Sie leugnet nicht, dass die Armee der Republika Srpska dort im Juli 1995 8.372 muslimische Buben und Männer ermordete.

Mit ihren immer häufiger und brutaler werdenden Ausfällen macht die Diva mittlerweile mehr Schlagzeilen als mit ihre Auftritten. Viele Fans von früher haben sich von ihr abgewandt. Selbst viele, die Vučić und der SNS die Treue halten, lehnen die Brutalität ab, mit der Karleuša auf die gemeinsamen politischen Gegner einprügelt.

Noch ist sie ein populärer Musikstar. Fraglich ist, wie lange das so bleibt. Vor allem, sollte ihr Meta den Instagram-Kanal zudrehen. Mit 2,3 Millionen Followern ist er ihr wichtigstes Marketinginstrument.

Tut Meta das nicht, wird die Diva noch tiefer fallen als bisher. Und bald sehr hart aufschlagen.

Anmerkung der Redaktion:
Dieser Beitrag spiegelt ausschließlich die Meinung des Autors wider. Nicht die Meinung der KOSMO Redaktion.

Balkan Stories, Christoph Baumgarten

Christoph Baumgarten ist Journalist und Balkanreisender aus Leidenschaft. Seit 2015 verbindet er beide Leidenschaften auf seinem Blog Balkan Stories. Dort versucht er, Geschichten zu erzählen, für die es in größeren Medien meist keinen Platz gibt und stellt die Menschen in den Mittelpunkt.

Mehr von Christoph könnt ihr unter balkanstories.net nachlesen.