KOSMO bringt Ihnen eine Serie von Geschichten aus dem Archiv des Blogs Balkan Stories.
Geschichten, die man nur in einer Balkan-Kafana hört. Leute, die man nur dort trifft. Miki klärt mich über serbisches Heldentum auf und schreibt Militärgeschichte neu.

Miki lehnt sich zurück und krempelt den Ärmel seines T-Shirts auf. „Na“, sagt er zu meinem Nachbarn. „Wo war ich, glaubst du?“
Stolz zeigt er den oberarmgroßen Anker auf seinem rechten Arm.
„In der Marine?“
„Genau. Spezialeinheit. Wir hatten neun Monate Grundausbildung.“
„Warst du auf einem U-Boot?“
„Nein, auf einem normalen Schiff. Bei der Marine-Infanterie.“
Miki lächelt und nimmt zufrieden einen großen Schluck Bier.
„Ich bin 1971 nach Österreich gekommen. Und dann hab ich einen Brief gekriegt, vom Konsulat, dass ich gemeldet bin als Soldat. Da bin ich natürlich runter und hab meinen Dienst getan.“
Der Installateur erzählt uns Staunenden von den Überlebenstrainings und den Messern, die er im Auftrag der jugoslawischen Marine immer bei sich haben musste.
„Das große, das hatte oben so Zacken, wie eine Säge. Das war unpraktisch. Wenn du damit zustichst, kannst du es nicht mehr rausziehen. Du musst es drehen, dann kriegst du es erst raus.“
Die Haudegen von JNA und JRM
Das ist mehr als ich wissen will. Und ich frage mich, wieso unter Mikis Anker ein Datum eintätowiert ist, das mit der Zahl 98 endet.
Minenleger war er. „Wenn Titos Schiff wohin gefahren ist, haben wir die Minen auf dem Weg entfernt und hinter ihm wieder Minen gelegt, damit niemand zum Schiff kam“, sagt Miki.
Bei Übungen habe er als Teil eines Zehn-Mann-Teams Kasernen vermint und ähnliches. „Wenn das scharfer Sprengstoff gewesen wäre, wäre die Kaserne weg gewesen“.
Die Geschichte steigert sich immer mehr, irgendwann kommen scharfe Munition und scharfer Sprengstoff dazu. Ich verliere den Faden. Vielleicht hat ihn auch Miki verloren und die Verwirrung liegt nicht an mir.
Die Jungs der JNA und der JRM, der Marine, müssen den Schilderungen Mikis zufolge echte Haudegen gewesen sein. Todesverachtend bis ins letzte. Und die Mütter erst. „Bei einer Übung, wo 600 Leute teilgenommen haben, sind 100 dabei gestorben. Das war normal“.
Ich beschließe, den unterhaltsamen Charakter dieses Gesprächs eher zu sehen als seinen informativen. Höflich formuliert.
Das Jugo-Beisl als Biotop der modernen Barden
Die Unterhaltung könnte in einer Balkan-Kafana in jeder beliebigen Stadt stattfinden. Dass es Wien ist, und das Cafe gleich nebenan, bestimmt lediglich die Sprache, in der wir uns unterhalten.
Vielleicht ist es Zufall, vielleicht ein dummes Klischee. Nirgendwo bekomme ich eine solche Dichte an unglaublichen Geschichten erzählt wie in einem Jugo-Beisl, ob in Beograd, Zagreb, Sarajevo oder Wien, nirgendwo finde ich eine solche Dichte an Haudegen, Eingeweihten, Hobby-Historikern und Experten für eh alles, die mich auch unaufgefordert an der Ehre teilhaben lassen, ihren Geschichten zu lauschen, die zu erdenken eine ziemliche Aufgabe gewesen sein muss.
Interessanterweise haben zumindest in Wien nicht alle Erzähler und seltener Erzählerinnen Wurzeln am Balkan. Das Jugo-Beisl, die Balkan-Kafana, scheint ein Biotop auch für österreichisch-stämmige Liebhaber der Wuchtel zu sein, wie man bei durchaus mehrdeutig sagt.
Geschichten entstehen während der Erzählung, oft mit bemerkenswerter Anschlusssicherheit, um die einen jeder Regisseur beneiden würden. Schicht um Schicht wird in kunstvoller Weise aufeinander getürmt, die Wahrheit und das, was wahr sein sollte, ob aus ästhetischen Gründen oder solchen höherer Gerechtigkeit, verschmelzen zu einem undurchdringbaren und zugleich eleganten Konstrukt.
Das Jugo-Beisl ist mehr als bloße Bühne für Schwadroneure, arme Seelen, die G’schicht’ln drucken um die eigene Bedeutung zu erhöhen, um die es im Leben sonst nicht so gut bestellt sein mag.
In den besten Momenten ist es Auftrittsort für Menschen, die in früheren Zeiten vielleicht Märchenerzähler geworden wären, für moderne Barden, die ihre Geschichten in Prosa erzählen statt als exakt genormte Epen und Heldengesänge früherer Tage.
Es sind im Idealfall verhinderte Poeten, die man hier trifft. Das ist nicht abschätzig gemeint. Es gibt Menschen mit bewundernswertem Erzählertalent, die nie die Chance gehabt haben, daraus etwas zu machen.
Naturgemäß sind es balkanische Geschichten, die einem hier am öftesten serviert werden. Klassische Narrative, die in neuem Kontext präsentiert werden.
Die Serben zeigen es der NATO
So wie Mikis nächste Geschichte, etwa ein Bier später.
„Wir sind ein friedliches Volk, wir wollen mit anderen zusammenleben und haben uns nie irgendwo eingemischt“, sagt Miki, jetzt nicht mehr Wiener Installateur, der nur mangels Kriegs nie zum Heroen der jugoslawischen Marine wurde, sondern Miki der Vojvodiner, Miki der Vertreter des serbischen Volkes.
„Bei uns leben 48 Nationen. 48 Nationen. Serben, Rumänen, Ungarn, Zigeuner, Bosnier, Kroaten, Ukrainer, Polen und noch viele. Wir alle leben friedlich zusammen. Jeder hat seine Sprache. Aber es ist klar: Das ist Serbien.“
Miki kommt auf das zu sprechen, was man ohne Übertreibung als das große serbische Trauma nach 1945 beschreiben kann: „Stell dir vor, Italien will Kärnten und Amerika sagt, das können sie haben. So war das bei uns mit dem Kosovo.“
Am schmerzlichsten war das NATO-Bombardement. „Aber weißt du, wie viele NATO-Maschinen wir abgeschossen haben? 34. 34. Wir, das kleine Serbien“, zeigt er sich stolz.
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