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REPORTAGE

„Ein Gruß aus meinem Fenster“: Diese Facebook-Gruppe kämpfte gegen Depression während des Lockdowns

Amra Prašović (38), Architektin aus Sarajevo

Amra Prašović (FOTO. zVg.)

Ich bin der FB-Gruppe Anfang Juli beigetreten, als ich nach der Grenzöffnung einige Tage am Meer verbrachte und von dort ein Foto für die Rubrik „Moj izlet u srcu“ („Mein Ausflug im Herzen“) schickte. Dieser kurze Urlaub bedeutete mir viel, denn wir hatten wegen der Pandemie unter vielen Beschränkungen gelitten. Wir hatten eine Polizeistunde, die Polizei patrouillierte durch die Viertel, unser aller Leben war auf den Kopf gestellt. Ich arbeitete zu Hause, mein Freund, der im Ausland arbeitet, kam nach Sarajevo und aufgrund der besonderen Bedingungen verbrachten wir viel Zeit zusammen. Dennoch fehlten mir die Treffen mit meinen Freunden, so wie wir das gewohnt waren. Mir fehlten die Umarmungen meiner Lieben sehr, die Spontaneität, die wir gewohnt waren, wenn wir uns zufällig sahen. Wenn wir uns treffen, schauen wir uns zuerst an, schütteln die Hände und umarmen uns dann lachend, denn es ist wirklich schwer zu akzeptieren, dass Corona uns jetzt alles vorschreiben soll. Es war hart für mich, dass meine Eltern in ihrer Wohnung eingeschlossen waren und dass ich nicht bei ihnen war, denn ich wollte sie schützen, da sie ja zur Risikogruppe gehörten. Auch jetzt, wo die Maßnahmen gelockert sind, gehe ich nur mit Maske und unter großer Vorsicht zu ihnen, denn ich komme viel umeinander und muss wirklich auf sie achtgeben. Für viele Menschen war die Isolation sehr schwer, denn sie erinnerte sie an den Krieg, während andere optimistisch waren und fanden, sie hätten schon Schlimmeres durchgemacht.

Amra Prašović: „Mir fehlten die Umarmungen meiner Liebsten.”

Ich liebe es zu reisen und zu fotografieren und jedes Jahr fahren mein Freund und ich mit unserem alten Wohnmobil in denselben Ort ans Meer. Leider konnten wir Bosnien und Herzegowina in diesem Jahr nicht ohne Tests verlassen. So haben wir die Zeit genutzt, um interessante Orte in unserem eigenen Land zu besuchen. Wir waren froh, dass wir zusammen waren und dass wir so viel Schönes in ganz B-H besichtigen konnten. Wenn man uns im Herbst und Winter wieder einsperrt, werde ich Fotos aus meinem Fenster in die Gruppe schicken, und die Fotos, die andere Leute hochladen, bieten mir einen Blick in die Welt und vielleicht entdecke ich da gleichzeitig auch Ziele, die ich in der Zukunft besuchen könnte.

Miljan Brašanac (41), Tourismusmanager aus Wien

Miljan Brašanac (FOTO: zVg.)

Ich habe mich der Gruppe im Mai angeschlossen, denn mich begeisterte die positive Energie, die die Fotos und Kommentare in dieser Situation ausstrahlten, die wegen der Pandemie für uns alle sehr schwer war. Ich spürte die Sehnsucht und das Heimweh der Menschen in der Diaspora, aber auch den Wunsch, die Welt derjenigen zu besuchen, die in unserer Region leben. Diese Nähe, die sich in den Kommentaren äußerte, hat zu persönlichen Kontakten und Treffen von Mitgliedern geführt, als die Pandemiemaßnahmen gelockert wurden. Das heißt, die Gruppe hat ihre ursprüngliche Idee verwirklicht und verwirklicht sie noch immer: mit Gemeinsamkeit, Solidarität und Verständnis überwinden wir Grenzen und machen jede schwere Situation erträglicher.

Im Februar wird das Buch „Ein Gruß aus meinem Fenster” mit einer Auflage von 1.000 Stück erscheinen. (FOTO: Facebook-Screenshot)

Ich bin Vater zweier Mädchen von sechs und elf Jahren. Während des strengsten Lockdown waren die Schulen und Kindergärten geschlossen, meine Frau, die Lehrerin am Gymnasium ist, hielt ihren Unterricht online und meine Arbeit war auf Eis gelegt. Wir waren meistens in der Wohnung, obwohl wir am Nachmittag in die Natur gingen. So aufeinander bezogen besannen wir uns auf unsere grundlegenden Werte zurück und sind aus dem allen mit noch mehr Liebe hervorgegangen, sofern das überhaupt möglich ist.

Miljan Brašanac: „Aus allem gingen wir mit noch mehr Liebe heraus.”

Die Pandemie hat uns alle beeinflusst, denn alles, was wir für normal gehalten hatten, war plötzlich nicht mehr normal, nichts war mehr selbstverständlich, die Welt war anders geworden. Am schwersten waren für mich während der Pandemie die Ungewissheit und Unsicherheit sowie die Erkenntnis, dass wir nicht mehr wussten, was gefährlich war bzw. wo die Risiken lauerten. Man musste bei den fast täglichen Veränderungen der Lebensroutine, auf die wir keinen Einfluss hatten, normal bleiben. Schwer war für mich auch der Verzicht auf meine breiteren sozialen Kontakte, und vor allem die Familie und die Freunde in Montenegro fehlten mir in dieser Zeit sehr. Zum Glück konnten wir uns dank der modernen Technologie sehen. Die Gruppe „Pozdrav s mog prozora“ hat mir die schweren Tage der Pandemie erleichtert. Ich habe mich mit einigen Leuten angefreundet, denn wir haben mehr oder weniger dieselbe Geschichte. Wenn wir begreifen, dass wir in all dem, was uns passiert ist, nicht alleine sind, können wir die Probleme leichter bewältigen.

Auf der nächsten Seite findet ihr die Meinung einer Psychologin zu psychischen den Folgen des Lockdowns…