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KRIEGSLEIDEN

Erinnerungen eines Burschen aus der „Kozara“ Kolonne

FOTO: KOSMO/zVg.

KRIEGSLEIDEN. Er war erst sieben Jahre alt, als sie ihn aus den Armen seiner Mutter rissen und mit Hunderten anderen Kindern ins Ungewisse brachten. Es war Krieg, überall um ihn herum gab es Tote, aber zum Glück hatte er einen starken Überlebensinstinkt. Seine schweren Erinnerungen hat er in einem Bericht für das Magazin KOSMO preisgegeben.

Mein Name ist Boro Puljarević. Ich wurde vor 82 Jahren in Podgradci unterhalb der Kozara geboren. Wir waren drei Brüder, von denen ich der mittlere war, und eine jüngere Schwester. Wir lebten ein ruhiges Leben, bis wir 1942 mehrmals vor den Kriegsgräueln in die Kozara flüchten mussten. Dann begannen Flugzeuge, Flugblätter abzuwerfen, auf denen stand, dass alle Einwohner, die gehen konnten, ihre Sachen packen und nach Gradiška kommen sollten. Wir mussten diesem Befehl folgen, denn die Deutschen und die Ustaša töteten alle, die nicht folgten, und setzten ihre Häuser in Brand.

Meine Mutter packte im Juni alles, was auf den Ochsenkarren passte, und wir marschierten los, aber die Banditen dirigierten uns nach Stara Gradiška. Dort gab es eine Strafanstalt, eigentlich ein Lager, wo sie die Frauen und Kinder wie Vieh hineinpferchten. Das waren nur Mauern mit einer improvisierten Überdachung, und rund herum waren Wächter. Die Männer wurden von uns getrennt und kamen in ein eigenes Gefängnis.

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Der letzte im ehemaligen Jugoslawien zum Tod Verurteilte, Šemso Šiljak, verstarb am Mittwoch im Kollektivzentrum „Balkan“ in Goražde.

 

 

Der Beginn des Leidens
Am zweiten oder dritten Tag, genau weiß ich es nicht mehr, brachten Sie die Männer heraus und ließen sie antreten. Vor ihnen stand ein Soldat und ordnete willkürlich an, wer aus der Reihe heraustreten sollte. Alle, die herausgerufen wurden, wurden zum Arbeiten nach Deutschland gebracht. Unter ihnen waren auch mein Vater und sein Bruder. Die anderen wurden erschossen. Wir blieben mit der Mutter allein im Lager, im Freien zurück. Den ungesalzenen Brei aus Maismehl, den sie uns zum Essen gaben, brachten sie in Fässern. Sie gaben uns Portionen und dann hieß es, iss, wenn du kannst. Wenn du nicht kannst, verrecke!

Aus dem Arbeitslager in Deutschland kehrten mein Vater und mein Onkel zu Fuß nach Jugoslawien zurück und schlossen sich den Partisanen an, bei denen auch unsere Mama den Krieg verbrachte. (FOTO: zVg.)

Eines Tages ordneten sie an, dass die Kinder von den Müttern getrennt werden sollten, und behaupteten, dass sie uns an einen besseren Ort bringen würden, denn wir brauchten Essen und bessere Lebensbedingungen. Meinen Brüdern und mir hängten sie Schilder mit unseren Vor- und Nachnamen um den Hals. Meine Schwester war erst zweieinhalb Jahre alt und meine Mutter wollte sie auf keinen Fall hergeben. Als sie sahen, dass sie mit Drohungen nichts erreichen konnten, schlug ein Ustaša sie mit dem Gewehrkolben so stark, dass sie hinfiel, und sie nahmen ihr das Kind aus dem Arm.

Ich erinnere mich, dass sie uns mit einem Bus nach Okučani brachten und dann mit einem Zug weiter nach Zagreb. Wir waren viele. In Zagreb zogen sie uns nackt aus und badeten uns in heißem Wasser. Unsere Kleidung kochten sie aus, um die Läuse auszurotten. Später warfen sie alles auf einen Haufen und jeder zog einfach das an, was er erwischen konnte. Anschließend erhielt jeder eine Scheibe Brot und eine Tasse Milch. Noch heute erinnere ich mich an diesen unbeschreiblichen Geruch und Geschmack, denn ich hatte lange keine Milch getrunken.

Unsere Reise ging in Viehwaggons weiter, in die sie uns geradezu übereinander warfen. Ich weiß nicht, nach wie langer Fahrt wir Jastrebarsko erreichten, einen Ort zwischen Zagreb und Karlovac, wo sie uns ausluden. Dort waren fünf – sechs lange Baracken für uns vorbereitet, in denen Stroh und darüber jeweils eine Decke lag. Das erste Wecken brachte mir die Begegnung mit Ordensschwestern, die ich seitdem nicht mehr sehen kann. Die ganze Zeit, so lange wir in Jastrebarsko blieben, kamen sie, wenn ihr Gebet beendet war, zu uns Kindern und verprügelten uns bestialisch. Unter ihnen gab es echte Furien! Wir waren hungrig, denn sie kochten uns Kürbis und überreife Gurken, dazu ein wenig Salz, und gaben es uns wie den Tieren. In Jastrebarsko waren auch meine Brüder, aber die Schwester brachten sie von dort fort und wir haben sie niemals wiedergesehen. Ich weiß nicht, wie lange ich dort blieb, einen Monat oder zwei. Ich habe nicht geweint, ich wusste damals nicht einmal, was Angst ist. Ich habe einfach überlebt.

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Vera Marjnaovic
Meine Berufung zur Journalistin entdeckte ich bereits als Sechzehnjährige während meiner Gymnasialzeit in Montenegro. Diesem Berufszweig bin ich seither treu geblieben. Nach meiner Ankunft in Wien widmete ich mich der Arbeit mit Mitgliedern der BKS-Gemeinschaft, wodurch ich tiefgreifende Einblicke in die Lebensgeschichten und sowohl die Triumphe als auch die Herausforderungen verschiedener Generationen gewann. Diese vielfältige Palette an Persönlichkeiten prägte meinen journalistischen Weg und festigte mein Engagement für soziale Themen.