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KRIEGSLEIDEN

Erinnerungen eines Burschen aus der „Kozara“ Kolonne

Endlich befreit!
Einige Frauen kamen in unser Haus, fotografierten uns und schickten diese Bilder ans Rote Kreuz. Ich nehme an, dass sie das taten, um die auseinandergerissenen Familien nach dem Krieg leichter wieder zusammenzuführen. Ich habe ein Buch über die guten Taten der Dijana Budisvaljević gelesen und glaube, dass sie dahinterstand. Inzwischen kam die Befreiung. Eltern begannen, nach ihren Kindern zu suchen. Probleme gab es mit den Kleinen, die schon in frühester Kindheit verschleppt worden waren und ihre Namen und ihr früheres Leben vergessen hatten. Ich erinnere mich an den Aufschrei einer Mutter, an die Worte: „Bist du das, mein Žarko?“ – und das Kind wusste es nicht. Diese Szenen verursachen bei mir noch heute Gänsehaut.

Eines Tages sah ich am Tor einen Partisanen in Uniform und bei ihm ein Kind. Als sie näherkamen erkannte ich meine Mutter. Das Haar hatte sie unter einer Tito-Kappe verborgen und sah so wie ein Mann aus. Bei ihr war mein älterer Bruder. Ich rannte zu ihr und rief: „Da ist meine Mama!“ Da ich von der Sonne gebräunt und nur noch Haut und Knochen war, betrachteten mich meine Mutter und mein Bruder ohne einen Funken des Erkennens in den Augen. Aber ich konnte ihnen sagen, wann ich geboren war und wer meine Eltern waren, und da wollte meine Mama mich sofort mitnehmen. Sie musste jedoch zuerst in Zagreb einige Dokumente besorgen. Sieben Tage später holte sie mich ab und am 25. September 1945 verließ ich dieses Haus.

LESEN SIE AUCH: Diesem bosnischen Jungen veränderte ein britischer Soldat das Leben!

  

Eine Geschichte, wie sie nur das Leben schreibt – Ein britischer Soldat verändert das Leben eines Jungen aus Bosnien schlagartig.

 

 

„Diese Frauen haben uns fotografiert und die Bilder an das Rote Kreuz geschickt. Möglicherweise war das von Dijana Budisavljević organisiert.“ (FOTO: zVg.)

Wir gingen nach Vinkovci, wo meine Mutter als Krankenschwester mit Partisanen gearbeitet hatte, die unter einem posttraumatischen Stresssyndrom litten. Mein älterer Bruder war in Bosnien bei Oma und Opa und den jüngeren fanden wir ein halbes Jahr später in Stara Pazova, und so kam auch er zu uns. Meine Mutter fand auch den Vater, nur von der Schwester hörten wir nie wieder etwas. Obwohl wir in Vinkovci ein Haus mit Weinland bekamen, wollte meine Mutter dort nicht bleiben und wir gingen zurück nach Bosnien, wo wir von unserem alten Haus nur noch die nackten Wände vorfanden. Der Wiederaufbau fiel uns nicht schwer, denn mit dem Ende des Krieges konnten wir endlich unsere unterbrochenen Leben fortsetzen.

Als wir uns alles erzählten, was wir während des Krieges erlebt hatten, begriff ich, dass ich am schlimmsten davongekommen war. Meine Brüder waren auf Höfen bei Bauern, die sie gut behandelten. Nach unserem Abtransport wurde meine Mutter zur Liquidierung nach Jasenovac geschickt. Drei – vier Tage gab es im Lager keinen Platz und sie blieb draußen, bis Deutsche aus Slawonien kamen, die kriegstaugliche Frauen auswählen wollten. So wurde sie nach Slavonska Požega gebracht, wo sie ein halbes Jahr blieb, bis sie mit Partisanen in Kontakt treten konnte und sich ihnen anschloss.

Mein Vater und mein Onkel waren aus dem Arbeitslager in Deutschland geflüchtet, zu Fuß nach Jugoslawien zurückgekehrt und dort ebenfalls zu den Partisanen gegangen. Den Verlust unserer Stevka haben wir niemals verschmerzt, obwohl wir 1946 noch eine Schwester bekamen. Ich kenne keine einzige Familie, die nach dem Krieg wieder komplett war. Aus meiner weiteren Familie sind 16 Mitglieder umgekommen.

ERINNERUNGEN. „Wenn ich alles vergessen könnte, könnte ich leichter leben.“

Bilder des Grauens im Kopf
Die vierte Klasse habe ich in meinem Heimatdorf abgeschlossen, dann bin ich nach Gradiška ins Internat gekommen, wo ich drei Jahre im Unterstufengymnasium war. Anschließend habe ich das Dreherhandwerk gelernt und das habe ich mein ganzes Leben lang ausgeübt. 1967 bin ich dann nach Wien gegangen. Hier sind meine Kinder aufgewachsen und ich habe eine Pension erworben. Meine Pensionistentage verbringe ich ganz ruhig, alle Unbilden des Lebens liegen hinter mir und heute geht es mir am besten, obwohl ich es nicht geschafft habe, die höllischen Bilder aus meiner Kindheit zu vergessen. Mit den Erinnerungen kommt auch der intensive Schmerz und die Furcht zurück, die ich jeden Morgen in Jastrebarsko empfunden habe, als sie gekommen sind und die toten Kinder in Decken gewickelt und fortgetragen haben.

Ich erinnere mich auch an den Kanal für die Fäkalien, der ca. 20 Meter lang und einen Meter tief war. Einmal sind zwei Kinder da hineingefallen. Man hat sie nur mit irgendwelchen Stöcken herausgeholt und weggebracht. Und wir anderen haben zugeschaut, starr vor Schreck. Ich habe mich davon niemals befreien können. Ebenso wenig wie von den brutalen Schlägen, die wir bekommen haben.

Ich würde das alles gerne vergessen können, dann könnte ich leichter leben. Aber dennoch hasse ich heute niemanden. Ich verurteile nur die schlechten Menschen, die in der Geschichte die Kriegsmaschinerie am Laufen gehalten haben. Allen, die meine Geschichte lesen, möchte ich sagen: Seid Menschen, keine Bestien!