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Millionendefizit

Facharzt-Zugang: Gesundheitskasse will Rückkehr zur Überweisungspflicht

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FOTO: iStock/demaerre

Das Millionendefizit der Gesundheitskasse zwingt zum Handeln: Künftig könnten Patienten nur noch mit Überweisung zum Facharzt dürfen. Experten fordern Ausnahmen.

Die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) kämpft mit einem Defizit von 900 Millionen Euro und plant daher, den Zugang zu Fachärzten und Ambulanzen neu zu regeln. Gesundheitsexperten betonen, dass ein verantwortungsvollerer Umgang mit den vorhandenen Ressourcen notwendig sei, fordern jedoch gleichzeitig eine differenzierte Betrachtung unterschiedlicher Patientengruppen.

Das neue Steuerungsmodell könnte bereits heuer in der Steiermark, Oberösterreich und Salzburg getestet werden, wahrscheinlicher ist jedoch ein Start im Jahr 2026. Nach den Plänen der ÖGK sollen künftig nur noch Hausärzte, Kinderärzte und Gynäkologen ohne vorherige Überweisung aufgesucht werden dürfen. Diese würden dann entscheiden, welcher Facharzt oder welche Ambulanz für die weitere Behandlung zuständig ist.

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Michaela Wlattnig, Patientenanwältin in der Steiermark, sieht die Lenkung der Patientenströme grundsätzlich positiv, äußert jedoch Vorbehalte: „Habe ich genug Kapazitäten im Bereich der Allgemeinmedizin und im kassenärztlichen Bereich, dass diese Überweisungstätigkeit auch geleistet werden kann?“ Denn auch hier stelle ich fest, dass es starke Limitationen in den Ressourcen der Allgemeinmediziner gibt.“

Besonders bei Menschen mit chronischen Erkrankungen hofft Wlattnig auf Ausnahmeregelungen: „Es ist für Patientinnen und Patienten ein Mehraufwand zum Allgemeinmediziner zu gehen, wenn sie immer wieder ihre Untersuchungen machen müssen. Brauchen zum Beispiel Menschen mit einer Krebserkrankung jeweils eine Überweisung, oder ist das nicht mehr Verwaltungsaufwand, als es tatsächlich bringt?“

Aktuelle Patientenströme

Eine Datenerhebung der ÖGK, bei der knapp 50.000 Patientenfälle analysiert wurden, zeigt, dass rund 60 Prozent zunächst die Primärversorgung – also Haus-, Frauen- oder Kinderärzte – konsultierten. Lediglich ein Drittel dieser Gruppe musste anschließend an Fachärzte oder Spitalsambulanzen überwiesen werden. Demgegenüber stehen 40 Prozent der erfassten Personen, die direkt einen Spezialisten oder eine Ambulanz aufsuchten.

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Internationale Vergleiche

Martin Sprenger, Experte für Public Health, sieht die übermäßige Nutzung von Krankenhäusern kritisch. Um die Qualität der Gesundheitsversorgung langfristig zu sichern, sei ein bewussterer Umgang unerlässlich: „Wir haben sehr viele Krankenhausbetten und sehr viele Krankenhäuser. Wir sind da fast Europas Spitze.“ Deswegen ist es sehr wichtig, dass jeder für sich selbst, aber auch das System Regeln vorgibt, wie die Inanspruchnahme funktionieren soll.“

In anderen Ländern existieren laut Sprenger bereits klarere Regelungen, wonach Krankenhäuser nur in Akutfällen aufgesucht werden dürfen. „Da ist die erste Ansprechperson die Hausärztin, oder der Hausarzt. Wenn wir uns weiterhin den Standard und dieses gute Gesundheitssystem leisten wollen, dann müssen wir achtsamer damit umgehen, als wir es bisher getan haben.“

Erfolgreiche Modelle im Ausland

In Ländern wie Deutschland und den Niederlanden hat sich das verpflichtende Überweisungssystem bereits bewährt. Laut OECD-Daten konnte etwa in den Niederlanden die durchschnittliche Wartezeit auf einen Facharzttermin nach der Einführung um mehrere Tage verkürzt werden, während die Behandlungsqualität stabil blieb oder sich sogar verbesserte. Die medizinische Versorgung wurde effizienter gestaltet.

In Österreich verspricht sich die ÖGK durch diese Steuerungsmodelle nicht nur finanzielle Entlastung, sondern auch handfeste medizinische Vorteile: Eine schnellere, gezieltere Diagnostik und die Vermeidung gefährlicher Medikamenten-Überlappungen. Für heuer sind erste Pilotprojekte mit finanziellen Anreizen und Sanktionen in mehreren Bundesländern angekündigt.

Ein ausführliches Interview mit Martin Sprenger zum Thema „Wege durch das Gesundheitssystem“ können Sie in unserem Podcast „Gesund informiert“ hören.