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KOMMENTAR

Hintergründe eines Skandals: Nicht Neuer ist das Problem, sondern der Balkan-Nationalismus

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Weiß Neuer, wessen Lied er da gesungen hat? Sein Management hat eine klare Antwort: "Nein, Manuel Neuer kann gar kein Kroatisch". FOTO: Youtube Screenshots

Das Video, wie der vielleicht beste Keeper der Welt das Lied eines kroatischen Ultranationalisten singt, beherrscht derzeit die Schlagzeilen. Es erhitzt – ja, und das auch zurecht – die Gemüter. Nicht nur in Deutschland, Kroatien und auch nicht nur die Fußballwelt. Das geht weit über diese hinaus.

Aber zuerst vorweg: Ich glaube nicht, dass Manuel Neuer das Weltbild desjenigen widerspiegelt oder repräsentiert, dessen Lied er im Video, aufgenommen im feuchtfröhlichen Ambiente einer kroatischen Strand-Bar, scheinbar ohne große Bedenken singt. Manuel Neuer hat sich bis dato nicht sonderlich politisch geäußert und auch keine Rückschlüsse darauf schließen lassen, er sei auch nur ansatzweise rechtsextrem, großartig patriotisch oder auf irgendeine Art und Weise extremistisch einzustufen. Wenn dann, eher im Gegenteil: Einmal machte er sich für homosexuelle Fußballspieler stark, als er meinte, „es wäre gut für den Fußball, wenn sich umso mehr Leute outen“.


Konzentrationslager besungen
Marko Perković Thompson, dessen Lied der beste Keeper der Welt singt, ist im Gegenteil zu Neuer alles nur kein politisch unbeschriebenes Blatt. Aus dem letzten Krieg als Heimatsänger von der Front bekannt geworden, wurde der Name seiner Waffe zu seinem Künstlernamen und dabei sang er immer wieder davon, wie er Serben in die Weite treibt, indem er auf die „Bande Bomben schmeißt“. Das sang er nicht nur in Zeiten des Krieges, sondern das singt er mit tiefster Überzeugung auch noch heute – und zwar trotz seinem Image als großer Katholik und Christ, dem ja eigentlich laut Bibel Nächstenliebe wichtiger als die Nationalität von jemanden sein sollte. Falsch gedacht: Ebenso sang er Lieder aus dem Zweiten Weltkrieg und der Ustaša-Zeit, die das Abschlachten von Serben glorifizieren und sogar das Konzentrationslager Jasenovac besingen.

So sehr diejenigen Recht haben, die jetzt sagen, dass Lied „Lijepa li si“ (So schön bist du) sei in ganz Kroatien – auch abseits der jungen Schwarzhemden mit Glatzen – verbreitet und populär, so sehr ist auch den meisten klar und man braucht es – vor allem jetzt – nicht relativieren oder beschönigen: Marko Perković Thompson ist ein neofaschistischer Musiker, der mit dem kroatischen Pendant zu „Sieg Heil“, dem Gruß „Za dom spremni“, die Bühne betritt. Alleine das sagt schon alles.

Wer noch immer darüber diskutieren mag, ob Thompson „denn wirklich so ein Faschist und nicht Opfer von westlichen Verschwörungsclans ist“ und ob das nicht eigentlich ein friedliebender, christlicher, „doch nur seine Heimat liebender“ Hippie mit Kriegstrauma ist, der sollte besser die nächsten Zeilen nicht weiterlesen oder Xavier Naidoos Youtube-Kanal abonnieren. So lange wir über nicht nur offensichtlichen, sondern tatsächlichen Faschismus und Toleranz gegenüber Menschenhass diskutieren müssen, so lange ist diese Diskussion auch in ihrem Grundsatz falsch. Egal ob es um den kroatischen Nationalistensänger Thompson oder sein serbisches Pendant Baja Mali Knindža geht.

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Links posiert Rakitić mit seinem „König“ Thompson und rechts feiert die Nationalmannschaft ihre Rückkehr nach Kroatien – sind diese beiden Bilder überhaupt vereinbar? (FOTO: Instagram-Screenshot, Željko Grgić/Pixsell)

Zwischen Schlacht-Orgasmen und Mainstream-Hits
Thompson ist und bleibt inakzeptabel. Und er hat auch, weder nach dem Krieg noch nach den vielen Vorfällen bei seinen Konzerten, nie Reue gezeigt oder sich jemals glaubwürdig entschuldigt für die Zeilen, die gegen eine ganze Volksgruppe gerichtet sind. Er singt diese Lieder auch weiterhin, noch immer, 25 Jahre nach dem Krieg.

Klar, das ändert leider nichts an der Tatsache, dass Thompson der erfolgreichste Musiker der kroatischen jüngeren Geschichte und Gegenwart ist. Und auch nichts daran, dass Thompson mit dem vom Neuer gesungenen Lied „Lijepa li si“ einen kroatischen Mainstream-Heimat-Evergeen gelandet hat, der – im Vergleich zu seinen völlig zu verurteilenden, nationalistischen Schlacht-Orgasmen in einigen anderen Nummern – ja noch sogar halbwegs okay ist. Wäre da nicht die Stelle, die unmissverständlich klar einen Territorialanspruch auf das Nachbarland Bosnien-Herzegowina erkennen lässt – nämlich durch die Erwähnung der „Herceg-Bosna“, einem während dem Krieg gegründeten kroatischen Parastaat im Nachbarland. Dieser wurde durch Kriegsverbrechen wie das Massaker von Ahmići, brutale Gefangenlager oder auch das Sprengen der „Alten Brücke“ (Stari Most) von Mostar bekannt.

Und genau bei solchen Sachen fängt es an und endet es auch: Thompson muss als genau das betrachtet werden, was er eigentlich ist – egal welches Lied von ihm gerade läuft. Thompson ist nämlich kein unwissender Friedenssänger der christlichen Nächstenliebe, wie er sich gerne präsentiert, sondern überzeugter Neofaschist und musikalischer Wiederholungstäter. Und unser schöner Balkan, in diesem Fall der kroatische Teil, ist dermaßen mit Nationalismus in den neunziger Jahren vergiftet worden, dass Überreste dieser Zeit – und Thompson steht vor allem für die Zeit – leider noch immer massiv präsent sind. Ja, auch im Mainstream und Thompsons Popularität zeigt auch, wie salonfähig Rassismus am Balkan leider auch im Jahr 2020 noch immer ist.

Wer und was steckt hinter Neuers Gesang?
Manuel Neuer ist nicht die Ursache dieses Problems, sehr wahrscheinlich auch kein AFD-Wähler und sicherlich kein überzeugter Thompson-Fan: Sein aktuell diskutiertes Video aus der kroatischen Urlaubsidylle macht aber ein anderes Problem viel sichtbarer. Wir sprechen von der Salonfähigkeit des Rassismus, indem man bekennend rassistische Musiker akzeptiert und deren Song spielt und dazu auch abfeiert. Marko Perkovićs Weltbild kann man auch dadurch nicht entschuldigen, dass die kroatische Nationalmannschaft ihn sogar 2018 zur WM-Party eingeladen hat. Eher das Gegenteil: Das alles hat ein schlechtes Licht auf einen sensationellen, überragenden sportlichen Erfolg geworfen. Damit haben die Spieler ihrem eigenen Image und auch ihrem Land geschadet, so verdient sie auch bei der WM den zweiten Platz gewonnen haben und sich mit Weltklasse-Fußball in die Herzen vieler Fans weltweit gespielt haben.

Neuers Management reagierte mit der Antwort, dass Neuer kein Kroatisch kann und nicht  gewusst habe, wessen Lied er da eigentlich singt. Demnach zu urteilen, dass Neuers Urlaube in Kroatien sehr auf seiner jahrelangen Freundschaft und Partnerschaft mit seinem Torwarttrainer Toni Tapalović in Verbindung zu setzen sind, stellt sich die Frage, ob nicht eher Tapalović als Neuer zur Verantwortung gezogen werden sollte. Auch Neuers Trainer, angestellt beim Weltklub FC Bayern, selber geboren und aufgewachsen im deutschen Gelsenkirchen, sollte sich bewusst sein, wer Thompson ist und wofür dieser Mann steht. Sollte Tapalović hier seine Finger im Spiel haben, ist ebenso klar, dass wir es mit einem Fall von Diaspora-Nationalismus zu tun haben.

KROATIEN-URLAUB: Der beste Keeper der Welt kann jedes Wort aus dem Lied von Marko Perković Thompson (VIDEO).

Gepostet von KOSMO am Sonntag, 12. Juli 2020

Egal ob Sympathisanten der Grauen Wölfe in Österreich, in Deutschland aufgewachsene kroatische Thompson-Fans oder die Liederbücher von manchem österreichischen Burschenschafter: Faschismus bleibt Faschismus. Erst wenn wir aufhören, Rechtfertigungen für Menschenhasser, ihre Texte und ihre Lieder zu suchen, erst dann wenn wir uns aktiv, reflektiert und an die Zukunft unserer Kinder denkend mit Phänomen wie Thompson auseinandersetzen, erst dann können wir endlich Sachen sehen, wie sie sind. Und hier ist die Lage nicht nur relativ, sondern mehr als nur klar…