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GESETZESENTWURF

Kroatien will Opfern des Bürgerkriegs endlich finanzielle Entschädigung zusprechen

(FOTO: Wikimedia Commons/Damir Čolja)

Kroatien möchte ein Gesetz verabschieden, das den zivilen Opfern des Krieges von 1991 bis 1995 finanzielle Entschädigungen gewährt. Experten warnen jedoch, dass der Gesetzentwurf einige Betroffene ausschließt.

25 Jahre nach Kriegsende in Kroatien wurde schließlich ein Gesetz ausgearbeitet, das die Rechte von zivilen Opfern des Konflikts, Hinterbliebenen von getöteten Eltern bzw. Kindern und Familien vermisster Personen festlegt. Die kroatische Regierung geht davon aus, dass der Entwurf bis Ende des Jahres vom Parlament verabschiedet wird. Viele Experten warnen jedoch davor, dass der Gesetzentwurf in seiner jetzigen Form einige Betroffene, darunter auch einige kroatische Serben, ausschließen würde.

Das Gesetz sieht eine finanzielle Entschädigung, sowie die Finanzierung bestimmter Gegenstände, wie Prothesen, für Menschen vor, die infolge des Krieges schwer verletzt wurden oder Familienangehörige verloren haben.

Branka Vierda von der Jugendinitiative für Menschenrechte ist zufrieden mit dem Gesetzesentwurf, auch wenn er erst 25 Jahre nach dem Krieg verabschiedet wird: „Eine vollständige rechtliche Lösung, die die Rechte und die Erlangung des Status „Zivile Kriegsopfer“ für eine bestimmte Gruppe regelt, wurde lange erwartet und ist es wert auch noch 25 Jahre nach Kriegsende verabschiedet zu werden“, sagte Vierda gegenüber BIRN. Die öffentliche Online-Debatte über den Gesetzesentwurf endete am vergangenen Samstag.

Zivilisten genauso viel wert wie Kriegsveteranen
Julijana Rosandić von der Union der Vereinigungen ziviler Opfer des kroatischen Heimatlandes erklärte gegenüber der kroatischen Zeitung Vecernji im Oktober, dass sie sehr zufrieden mit dem Gesetzesentwurf sei und stelle fest, dass es „entscheidend sei, dass der Verlust eines Familienmitglieds entschädigt wird“. Nach dem neuen Gesetz können nämlich Angehörige von Zivilisten, die in Kriegszeiten verschwunden sind, aber noch nicht offiziell für tot erklärt wurden, Leistungen beantragen, noch bevor eine Sterbeurkunde für die vermisste Person ausgestellt wird.

„Es gibt auch bessere Bedingungen für Menschen mit Behinderungen. Wir haben uns nämlich darauf geeinigt, dass Bein und Arm eines Kriegsveteranen den gleichen Wert haben wie Bein und Arm eines Zivilisten “, sagte Rosandić. Sie selbst wurde während des Krieges der 1990er Jahre zusammen mit Verwandten in der kroatischen Stadt Slavonski Brod verletzt, als sie serbische Truppen aus dem benachbarten Bosnien beschossen.

Nach dem neuen Gesetz können Menschen mit Behinderungen, die im Krieg verletzt wurden, monatliche Leistungen zwischen 114 und 3.824 Kuna (19 bis 506 Euro) erhalten, je nachdem, wie schwer sie geschädigt wurden. Rosandić war eine von vielen, die die kroatischen Behörden seit Jahren aufgefordert hatten, ein solches Gesetz einzuführen.

Status „Kriegsopfer“ ist schwer nachzuweisen
Doch der neue Gesetzesentwurf bekam nicht nur positive Reaktionen. Einige zeigten sich auch skeptisch, etwa, weil es in einigen Fällen schwierig sein dürfte, auf dem Papier nachzuweisen, dass die Opfer die Bedingungen erfüllen, um Leistungen nach dem neuen Gesetz zu erhalten, denn:

Wenn ein Opfer eine Entschädigung beantragt, muss es mit medizinischen Unterlagen nachweisen, dass es zum Beispiel eine durch den Krieg verursachte Krankheit erlitt, oder Verletzungen durch eine Explosion oder eine Schießerei, oder in Folge einer Inhaftierung in einem Internierungslager Anspruch darauf hat. Diese Unterlagen müssen vom Zeitpunkt der Verletzung stammen, oder von ihrer vorliegenden Entlassung aus der Gefangenschaft oder von den 30 Tagen danach. Laut dem in Zagreb ansässigen NGO-Zentrum für Friedensstudien sei es jedoch nicht realistisch, „dass alle zivilen Kriegsopfer die Möglichkeit gehabt haben, innerhalb von 30 Tagen nach dem Missbrauch medizinische Unterlagen zu erhalten.“

Ein weiteres Problem des Gesetzesentwurfs sehen Kritiker darin, dass nicht alle zivilen Kriegsopfer damit erfasst werden. Menschenrechtlerin Vierda merkte etwa an, dass Kriegsflüchtlinge, Vertriebene und Rückkehrer aus der Nachkriegszeit nicht im aktuellen Vorschlagsentwurf enthalten sind. Sie glaubt jedoch, dass die endgültige Fassung des Gesetzes „einer größeren Anzahl von Opfern zugutekommen wird, als der jetzige Entwurf“.

Ivica Akmadza, die Generalsekretärin des Kriegsveteranenministeriums, erklärte allerdings gegenüber der „Vecernji“, dass das Gesetz „allen Opfern“ Rechte einräumen werde. Es gelte für kroatische Staatsbürger und für Ausländer, die „zum Zeitpunkt des Unfalls einen ständigen oder vorübergehenden Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Republik Kroatien hatten“ und in einem anderen Staat keine ähnlichen Rechte haben.

Keine Hilfe für feindliche Helfer oder Kollaborateure
Das Gesetz berücksichtige jedoch ausschließlich Opfer auf Seiten Kroatiens, betonte Akmadza:„Das Gesetz achtet jedoch sehr streng darauf, dass diese Rechte nicht von Mitgliedern, Helfern oder Mitarbeitern feindlicher militärischer und paramilitärischer Einheiten, die an der bewaffneten Aggression gegen die Republik Kroatien teilgenommen haben, in Anspruch genommen werden kann. Gleiches gilt für deren Familienmitglieder, die möglicherweise eine Entschädigung beantragen könnten, basierend auf der Tatsache, dass sie durch den Krieg Opfer wurden“, sagte Akmadza.

Einige Beobachter haben jedoch gewarnt, dass serbische Zivilisten Schwierigkeiten haben könnten, wenn sie nachweisen, dass sie dem „Feind“ nicht geholfen oder mit ihm zusammengearbeitet haben. Man forderte daher die Offenlegung von Parametern anhand derer  entschieden werden soll, dass eine Person mit feindlichen Militärs und paramilitärische Einheiten zusammengearbeitet hat.

„Zivile Opfer sind immer die größten Opfer“
Predrag ‚Fred‘ Matić, ein kroatisches Mitglied des Europäischen Parlaments und ehemaliger Kriegsveteranenminister, begrüßte das Gesetz, weil „in jedem Krieg zivile Opfer tatsächlich die größten Opfer sind“: „Wenn ein Soldat ein Gewehr in die Hand nimmt, weiß er schon, was ihn erwartet … aber Zivilisten sind wirklich unschuldige Opfer, Kollateralopfer“, so sagte Matić.

Der Parlamentsabgeordnete erzählte gegenüber BIRN, dass er selbst 2014 ein ähnliches Gesetz ausgearbeitet hatte, das jedoch nie das Licht der Welt erblickte, da es einen 18-monatigen Sitzprotest kroatischer Kriegsveteranen mit Unterstützung rechter Politiker dagegen gab. Grund der Proteste sei die „zu liberale“ Auslegung von „Zivilen Kriegsopfern“ Matićs gewesen: Er hätte bei der Ausarbeitung des Gesetzes nicht klar erklärt, dass die Serben in den 1990er Jahren die bewaffnete Aggression gegen Kroatien begonnen hätten. Außerdem hatte Matić beabsichtigt alle Kriegsopfer, einschließlich der Serben, einzubeziehen: „Sie sagten: ‚Fred, du setzt das Opfer mit dem Angreifer gleich‘“, erinnert sich Matić.

In einer Umfrage, die der ehemalige Kriegsveteranenminister damals durchführen ließ, kam heraus, dass die Zahl der Opfer des Bürgerkriegs in Kroatien bei rund 10.000 liegt: „Hier kommen wir aber zum Haken: Denn ungefähr 9.000 Opfer sind Kroaten, aber leider gehören 1.000 zivile Opfer zur serbischen Bevölkerung – was den Verbänden dieser Kriegsveteranen ein Dorn im Auge war“, erzählt Matić.

Seiner Meinung nach sollten jedoch alle zivilen Opfer gleich behandelt werden: „Wenn Vater Jovo ein Chetnik [Mitglied einer serbischen paramilitärischen Einheit] war, erhält er keine Rechte von diesem Staat, aber wenn eine Granate seinem Sohn, dem kleinen Jovica, das Bein abriss, sollte der kroatische Staat ihm die Prothese geben, die er braucht “, sagte er beispielhaft. Und weiter: „Wenn Jovica unter seinem Vater leidet, sind wir überhaupt nicht weitergezogen.“

Quellen und Links: