Der Historiker am Institut für Osteuropäische Geschichte an der Uni Wien, Oliver Jens Schmitt sprach in einem Interview für die „Wiener Zeitung“ über die Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf den Balkan.
Seit der Invasion Russlands in der Ukraine rückt auch der Balkan in der europäischen Politik immer mehr in den Fokus. Immer wieder warnen hohe Diplomaten davor, dass die Konflikte auf den Westbalkan überschwappen könnten. So warnte deutsche Außenministern Annalena Baerbock davor, dass Russlands nächster Schritt eine Destabilisierung des Westbalkans sei. „Putins nächstes Ziel ist der Balkan“, sagte sie.
Gleichzeitig kritisiert der ukrainische Botschafter in Belgrad, Oleksandr Aleksandrowytsch, die Haltung der serbischen Regierung. Diese unterfertigte die UN-Resolution, die den Angriff Russlands auf die Ukraine verurteilte, schloss sich jedoch nicht den Sanktionen an. Zudem gingen in den letzten Wochen mehrfach Demonstranten auf die Straßen Belgrads, um ihre Unterstützung für Wladimir Putin auszudrücken. Die Bande zwischen Russland und einigen Balkanpolitikern, allen voran den serbischen und bosnisch-serbischen, sind eng. Sie fühlen sich in der „orthodoxen Brüderlichkeit“ und in ihrer Abneigung gegen die NATO verbunden.
Putins Verlust setzt Vučić und Dodik unter Druck
Im Interview für die „Wiener Zeitung“ erklärte Schmitt, dass ein Verlust Putins in der Ukraine großen Druck auf (bosnisch-)serbische Politiker auslösen könne. Betroffen wären vor allem der serbische Präsident Aleksandar Vučić und der bosnische Serbenführer Milorad Dodik. Der Westen unterschätze, so der Experte, die Beziehungen zwischen Vučić und Putin. Der serbische Präsident nehme sich derzeit „das Beste von beiden Seiten heraus“ – sowohl von der EU als auch von Russland. Putin finanziere derzeit eine destabilisierende nationalistische Politik in Serbien, während Brüssel wegschaue. „Die EU und die USA hätten die Möglichkeit, Serbien endlich vor die Wahl zu stellen, entweder isoliert zu bleiben oder tatsächlich den Weg Richtung Westen zu wählen“, so der Osteuropa-Historiker.
Parallelen zwischen Ukraine und Kosovo
Der Krieg um die Ukraine weist viele Gemeinsamkeiten mit dem Konflikt in Jugoslawien auf. Nach der Annexion der Krim durch Russland gründeten sich nur wenige Monate später auch die Volksrepubliken Donezk und Lugansk. Diese Art der Reaktion auf „die Unterdrückung des eigenen Volkes“ erinnert stark an die Republika Krajina (Kroatien) und die Republika Srpska (Bosnien-Herzegowina) während des Jugoslawienkrieges. Letztere ist seit dem Dayton-Vertrag eine offizielle Entität.
Auch Parallelen zur Unabhängigkeit des Kosovos lassen sich erkennen. Die ehemalige südserbische Provinz erklärte sich 2008 einseitig unabhängig. Im Juli 2010 ging aus einem Gutachten des Internationales Gerichtshofes hervor, dass dies keine Verletzung des Völkerrechts darstelle. Kurz danach wurde das Kosovo von zahlreichen Ländern weltweit als unabhängig anerkannt.
„Die EU kann mit Blick auf den Balkan deutlich unterscheiden, welche Staaten sich eindeutig im Sinne des demokratischen Lagers positionieren. Das ist Albanien, das ist der Kosovo, das ist Nordmazedonien und das ist sicher auch zumindest jener Teil Bosniens, der nicht unter serbischer Kontrolle steht“, so Schmitt. Seiner Meinung nach sollte die Europäische Union eine solche Position belohnen und jene Staaten – neben Serbien z.B. auch Bulgarien – für ihre prorussische und anti-europäische Ideologie unter Druck setzen.
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