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REPORTAGE

Sterbehilfe: Ja oder Nein?

(Foto: iStock/Zerbor)

Das griechische Wort „Euthanasie“ bezeichnet den „guten Tod“ bzw. das leichte und selbstbestimmte Sterben, mit dem schwer kranken Menschen langes Leiden erspart werden soll. Obwohl das die meisten Religionsgemeinschaften als Selbstmord betrachten und ablehnen, ist es international in mehreren Ländern legal.

Die Meinungen zur Sterbehilfe sind geteilt. Die Befürworter führen an, dass es für Patienten, für die es keine Rettung gibt, um das Recht auf Würde bzw. um einen Tod aus Barmherzigkeit geht. Die Gegner behaupten, dass das Beihilfe zum Suizid ist, auch wenn die Qualen, denen die Patienten infolge unheilbarer Krankheiten ausgesetzt sind, kein würdevolles Leben erlauben.

Heute wird die Sterbehilfe in den Ländern, in denen sie legalisiert ist, als passive Sterbehilfe oder als Beihilfe zum Suizid ausgeführt. Unter streng kontrollierten Bedingungen sind Formen der Sterbehilfe in Belgien, Holland, Luxemburg, Deutschland, Spanien, Österreich, Finnland und Norwegen erlaubt, in Frankreich und Portugal wird das Thema noch diskutiert. Sterbehilfe ist auch in den amerikanischen Staaten Oregon und Vermont sowie in Kanada und einigen Teilen Australiens, in Neuseeland und in Kolumbien möglich. Der assistierte Suizid, bei dem der Patient selbst ein Mittel zur Beendigung seines Lebens nimmt, ist bereits seit 1942 in der Schweiz und seit letztem Jahr in Österreich legal, während die aktive Sterbehilfe nicht erlaubt ist.

Ein Film über Euthanasie

Zdravko Jovanovic, ein kanadischer Film- und Theaterregisseur und Drehbuchautor mit Wurzeln aus Sarajevo, hat die Sterbehilfe zum Thema seiner Magisterarbeit gewählt, über die er den Dokumentarfilm „To Die Forth“ („Der Schritt in den Tod“) gedreht hat. Er hat unter anderem in der Schweiz, in Belgien und in Holland gearbeitet. Über seine schmerzhaften Erfahrungen hat das Magazin KOSMO mit ihm gesprochen.

KOSMO: Was ist Ihnen beim Drehen dieses Films am schwersten gefallen?

Zdravko Jovanovic: „In der Schweiz habe ich mit meinem Team dem assistierten Suizid einer Person beigewohnt und ich bereue es bis heute, dass ich das getan habe. Ja, der Tod war sehr schnell… Die Person hat mich aufgefordert, dabei zu sein, denn sie wollte mir beweisen, dass die Prozedur schmerzlos und schnell ist, aber ich sollte auch „mein Bewusstsein erweitern“, damit möglichst viele Menschen erführen, dass es diese Option gibt. In den Benelux-Ländern wird das Verfahren streng kontrolliert, und als ich meine Studien dort betrieben habe, wurde es auch mehreren Menschen untersagt. Dort wartet man bisweilen fünf Jahre auf die Bewilligung. Mich hat eine alte Dame aus Brüssel, bzw. ihre Anwältin, eingeladen, sie am Tag vor dem Suizid aufzunehmen und zu interviewen. Sie hatte fünf Jahre gewartet und musste Anwälte einschalten, die sich für die Beschleunigung des Verfahrens einsetzten. Sie litt an Parkinson. Diese Frau hatte Söhne, Töchter und Enkelkinder, und als ich sie gefragt habe, warum sie so schnell wie möglich „gehen“ wollte, sagte sie resolut, sie sei immer sehr unabhängig gewesen. Damals kümmerte ich mich um meine gelähmte Großmutter und wunderte mich sehr, dass Unabhängigkeit für viele Menschen im Westen ein Kriterium ist, ob es sich zu leben lohnt oder nicht. Die Frau wurde von ihrer Familie bekniet, den Suizid aufzuschieben, und ich habe mich gefragt, warum sie ihnen nicht erlaubte, sich um sie zu kümmern, denn das hätte sie verdient. Damals habe ich auch den Chefarzt interviewt, der in Belgien in der Kommission für Sterbehilfe sitzt, und dann bin ich mit meinen Untersuchungen in einen schrecklichen Strudel geraten. Hätte ich damals keinen Mentor und die Unterstützung zweier weiterer Professoren aus der Kommission gehabt, dann hätte ich meine Magisterarbeit und den Film vielleicht nie fertiggestellt.

Zdravko Jovanovic (Foto: zVg.)

KOSMO: In der Schweiz haben Sie einen umstrittenen „Wohltäter“ namens Ludwig A. Minelli kennengelernt, den Gründer der Gesellschaft „Dignitas“, dessen Spezialisierung der assistierte Suizid ist…

Zdravko Jovanovic: „Assistierter Suizid“ bedeutet, dass die Person das Gefäß mit der letalen Dosis Pentobarbital SELBST nehmen und trinken muss. Zwei Personen des Dignitas-Zentrums sind nur dafür anwesend, zu bestätigen, dass der Suizid erfolgreich begangen wurde. Heute wird auch eine Suizid-Maschine eingesetzt, das ist eine „Kapsel“, in die man sich hineinsetzt und in die das tödliche Gift Nitrogen hineingepumpt wird. Für den assistierten Suizid braucht man in der Schweiz eine Bewilligung durch zwei Psychiater. Allerdings ist das sehr lax reguliert und es ist der Verdacht aufgekommen, dass sie mit der Gesellschaft ’Dignitas’ zusammenarbeiten. Daran ist auch der Gründer Ludwig A. Minelli, ein Anwalt, beteiligt. Er sagt, dass er jedem die Erlaubnis zur Selbsttötung geben würde, sogar Kindern, denn er meint, dass das das essentiellste und wichtigste Menschenrecht ist. Mit ihm habe ich viel Zeit verbracht. Als ich bei ihm zu Hause war, sagte er mir ganz leger und locker, dass er selber schon sechs Menschen assistiert habe, und zwar auf der Couch, auf der ich saß. Ganz unaufgeregt zeigte er mir während unseres Gesprächs Rizinussamen, aus denen das Gift Rizin gemacht wird. Und das alles geschah zu einer Zeit, in der die Schweizer Regierung der Dignitas-Klinik aufgrund von Zweifeln an der Legalität ihres Geschäftsgebarens untersagt hatte, assistierte Suizide durchzuführen.“

KOSMO: Welche Rolle spielte Soraya Wernli in den Geschäften des Gründers der Gesellschaft Dignitas?

Zdravko Jovanovic: „Auch mit ihr habe ich geredet. Sie ist Krankenschwester und hat für die Gesellschaft gearbeitet. Später wurden Ermittlungen gegen Ludwig A. Minelli aufgenommen, weil sie ihn angezeigt und behauptet hatte, dass die Durchführung von assistierten Suiziden für ihn nur ein erfolgreiches Geschäftsmodell sei. In ihrer Aussage vor den Ermittlungsbehörden führte Soraya Wernli damals an, dass Minelli nach dem Selbstmord die Häuser seiner Klienten aufsuchte und Möbel, Teppiche und andere Wertsachen mitnahm und daran zusätzlich verdiente. Sie behauptete auch, dass die Asche der Verstorbenen nach der Einäscherung in den Zürichsee gestreut würde, in dem Taucher sehr viele Urnen fanden. Für die assistierten Suizide beschäftigt Dignitas heute kein medizinisches Personal mehr, sondern einfache Leute, und schützt sich so vor den Konzepten des Hippokratischen Eides und der Ethik. Tragisch ist, dass die Klinik Dignitas, die den assistierten Suizid durchführt, heute auch Palliativpflege anbietet, angeblich um Selbsttötungen zu verhindern. Aber wissen Sie, dass ist so, als wenn ein Drogenkartell eine Klinik zur Suchtprävention und –therapie eröffnen würde.“

KOSMO: Sie haben Ihre Großmutter erwähnt. Mit ihr haben Sie Erfahrungen gesammelt, die Ihr Verhältnis zur Sterbehilfe entschieden geprägt haben, oder nicht?

Zdravko Jovanovic: „Meine Großmutter war für mich wie eine zweite Mutter. Sie wurde zehn Jahre lang palliativ behandelt und ich habe mich, gemeinsam mit meiner Familie, um sie gekümmert. Hier in Kanada war man bereit, ihren Tod zu beschleunigen, als sie innerhalb von 48 Stunden einen Herzinfarkt und einen Schlaganfall hatte. Ich habe nicht zugelassen, dass die Apparate abgeschaltet wurden. Und meine gute Großmutter hat nicht nur überlebt, sondern sie hatte bis zu ihrem natürlichen Tod noch zehn Jahre mit guter Lebensqualität, und zwar vor allem aufgrund der Palliativpflege, die in Kanada fantastisch ist, vor allem im Vergleich mit dem Rest der Welt. Und das ist eben diese Gratwanderung, die ich während meiner Studien entdeckt habe, bzw. die Tatsache, dass je dominanter die Sterbehilfe und der assistierte Suizid in einer Gesellschaft sind, desto mehr die Palliativpflege vernachlässigt wird und keine Investitionen mehr erhält.

Ich bin dafür, alle Optionen zuzulassen, obwohl ich festgestellt habe, dass das ein naiver Gedanke ist, da für Sterbehilfe, assistierten Suizid und Palliativpflege strenge Gesetze, Geldmittel, Logistik, Personal… nötig sind.

KOSMO: Wie denken Sie heute über die Sterbehilfe, nach all den Erkenntnissen, die Sie während Ihrer Studien und der Aufnahme des Films gewonnen haben?

Zdravko Jovanovic: „Ein enormes Problem sind die Fälle, in denen es das medizinische Team ablehnt, die bestmögliche Pflege und Hilfe zur Rettung eines Patienten anzubieten, und allein dadurch seinen Tod ’beschleunigt’. Leider ist das in unserer Region sehr häufig der Fall, wenn es um ältere Menschen geht, und ich bin bei ihnen besonders sensibel. Ich erinnere mich an Fälle, in denen demente Patienten in Altenheimen angebunden wurden. Hat sich dazu jemals irgendeine Kirche klar und deutlich geäußert? Ich sehe nicht, dass die Kirche jemals zugestimmt hätte, Sterbehilfe zu ermöglichen und sie denen zu erlauben, die unheilbar krank sind oder unter unerträglichen körperlichen oder seelischen Qualen leiden, denn für die Kirche ist das (Selbst-)Mord, d.h. eine Todsünde. Es ist leicht zu sagen, dass die Sterbehilfe gegen das göttliche Gesetz verstößt und damit unzulässig ist, aber wofür setzen wir uns aktiv ein und wofür kämpfen wir als Alternative? Die Sterbehilfe, über die wir heute reden und für deren Legalisierung sich viele einsetzen, ist eine aktive Sterbehilfe, was bedeutet, dass das medizinische Personal das Leben des Patienten durch Gabe einer letalen Arzneimitteldosis, meistens durch Barbiturate, beendet. Dr. Jose Pereira, ein Arzt aus Südafrika, der in der Schweiz in der Onkologie gearbeitet hat, sagte mir, dass die Palliativpflege und die Investitionen in diese Pflege in dem Moment, in dem der assistierte Suizid legal würde, drastisch zurückgehen würden. Ich glaube noch immer zutiefst an die Palliativpflege, die leider teuer und daher auch nicht für alle leistbar ist, zumindest nicht im vollen Umfang und nicht einmal in einem hochentwickelten Land wie Kanada.“

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