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PROZESS

Versuchter Doppelmord an Wiener Kroaten: Stellen Ermittlungsfehler Freispruch in Frage?

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Vor den Veranstaltungssälen "Casablanca" kam es im November vergangenen Jahres zur Messerstecherei. (FOTO: Screenshot/ Google Maps)

Am Montagabend wurde ein 36-jähriger Angeklagter vom Wiener Landesgericht freigesprochen, dem vorgeworfen wurde, im November 2018 zwei junge Kroaten vor dem Veranstaltungssaal Casablanca niedergestochen zu haben. Einer der Verwundeten entging nur knapp dem Tod. „Nun ist die Staatsanwaltschaft gefordert“, appelliert der Anwalt der beiden Opfer. Die Polizei gibt vorerst keine Auskünfte. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Wie sich nun herausstellte, soll es im Zuge der polizeilichen Ermittlungen zu mehreren Fehlern gekommen sein. So soll die Polizei bei der ersten Einvernahme des Angeklagten einen nicht zertifizierten Dolmetscher hinzugezogen haben, der der Muttersprache des philippinischen Angeklagten nicht mächtig war. „Ein Skandal“, wie der Österreichische Verband der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Dolmetscher gegenüber „Der Standard“ erklärt. Außerdem sollen mögliche belastende Beweismittel von der Polizei abgelehnt worden sein.

Acht Monate befand sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft, bevor er Ende Juli von derselben Richterin auf freien Fuß gesetzt wurde, die auch beim Prozess am Montag den Vorsitz hatte. Eine Woche vor Prozessbeginn wurde der Fall aus Zeitgründen von der zuständigen Staatsanwältin an Staatsanwalt Bernd Ziska übertragen. „Ein üblicher Vorgang“, wie uns Dr. Gerald Albrecht, Anwalt der beiden Opfer im Telefoninterview erklärte.

Tauffeier endet in Tragödie

WIEN-LIESING. Am 17. November 2018 besuchten die zwei Wiener Kroaten eine Tauffeier im engsten Familienkreis in den Veranstaltungssälen „Casablanca“. Gegen 23 Uhr gingen die Cousins vor die Türe, um eine Zigarette zu rauchen, wo es wenige Minuten später zu einer verbalen Auseinandersetzung mit zwei philippinischen Gästen einer anderen Veranstaltung kam.

Im Zuge dessen wurde dem damals 21-jährigen Kroaten von einem der Philippiner mit einem Klappmesser vier Mal in den Bauch und den Unterarm gestochen, seinem damals 22-jährigen Cousin in die Milz, die Bauchspeicheldrüse und das Zwerchfell. „Er musste von Verwandten wiederbelebt werden, bis die Rettung eintraf. Seine Eltern mussten alles mit ansehen“, so eine Zeugin, die ebenfalls Gast der Tauffeier war. Dem lebensgefährlich Verletzten mussten daraufhin sowohl eine Niere als auch die Milz entfernt werden. Viereinhalb Wochen befand er sich im künstlichen Tiefschlaf und musste sieben Operationen über sich ergehen lassen, bis keine Lebensgefahr mehr bestand. Das Erlebte zog den jungen Mann derart schwer in Mitleidenschaft, dass er seither kaum noch das Haus verlässt und unter Depressionen und Schlafstörungen leidet. An den Vorfall hat er keinerlei Erinnerungen mehr.

Der Polizei gelang es kurze Zeit später, die mutmaßlichen und flüchtigen Täter – einen 36- und einen 32-jährigen Philippiner – zu verhaften. Einer der beiden Verdächtigen soll die Tat bei der Festnahme zugegeben haben. Das 21-jährige Opfer gab am Montag im Verhandlungssaal an, denselben Mann (36) mit der Tatwaffe in der Hand gesehen zu haben. Ob dieser auch beim zweiten Opfer (22) zugestochen hatte, das keinerlei Erinnerungen mehr an jene Nacht hat, wisse er nicht. Alles sei sehr schnell gegangen.

„Er musste von Verwandten wiederbelebt werden. Seine Eltern mussten alles mit ansehen“

Fehler im Zuge des Ermittlungsprozesses

Im Rahmen der Festnahme des philippinischsprachigen Verdächtigen durch die Polizei soll dann ein nicht zertifizierter somalischer Dolmetscher hinzugezogen worden sein, der sich mit dem mutmaßlichen Täter lediglich auf Englisch unterhalten konnte. So soll es laut Star-Verteidigerin, Astrid Wagner, die der Öffentlichkeit vor allem durch ihre Kurzzeit-Affäre mit Frauen-Serienmörder Jack Unterweger bekannt ist, zu einem falschen Geständnis gekommen sein.

Stiche trotz Fraktur möglich

Der 36-Jährige Angeklagte soll im Zuge der Auseinandersetzung außerdem eine Fraktur des linken Handgelenks aufgewiesen haben. Er gab zudem an, Linkshänder zu sein, weshalb in Frage gestellt wurde, ob er die Messerstiche ausgeübt haben konnte. Laut der zuständigen allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen, Dr. Elisabeth Friedrich seien derartige Angriffe auf die Weichteile eines Menschen grundsätzlich sowohl mit einer verstauchten als auch mit der nicht dominanten Hand möglich.

Erschwerte Umstände bei Untersuchung der Tatwaffe

Ein Gutachten, das von DNA-Expertin Christina Stein durchgeführt und vor Gericht präsentiert wurde, ergab, dass auf der Tatwaffe – einem Klappmesser – keine DNA des Angeklagten nachgewiesen werden konnte. Allerdings wurde jene seines 32-jährigen Landsmannes eindeutig auf dem Griff des Messers festgestellt.

Laut der Gutachterin habe sich auf der schwarzen Klinge des Messers sowohl Hautabrieb des einen Opfers als auch DNA von beiden Opfern befunden. Der Griff hingegen sei von Blut und der DNA des 32-Jährigen überlagert gewesen. Dadurch könne man nicht mit Sicherheit ausschließen, dass diese massiven DNA-Spuren des 32-Jährigen auf dem Griff nicht die DNA des 36-Jährigen überlagert haben könnten und der Angeklagte die Tatwaffe nicht doch in der Hand hatte.

Blutige Jacke als Beweismittel von Polizei abgelehnt und von Verdächtigem verbrannt

Ein Mann, der in Begleitung der beiden Philippiner beim Angriff dabei war, belastete den 32-Jährigen, dessen Blut und DNA eindeutig durch die Gutachterin auf dem Griff der Tatwaffe nachgewiesen wurde, vor Gericht. Er wollte nach eigenen Angaben nämlich die blutverschmierte Jacke des 32-Jährigen am nächsten Tag bei der Polizei einreichen. Diese habe er in seinem Auto gefunden, weil sich der Verdächtige nach dem Angriff dort versteckt haben soll, ehe er sich vom Tatort absetzen konnte. Das mögliche Beweismittel soll jedoch von der Polizei mit der Aussage, es sei „eh alles erledigt“ ignoriert und abgelehnt worden sein. Anschließend gab der Zeuge dem 32-Jährigen seine Jacke zurück, der sie daraufhin zusammen mit seiner restlichen Kleidung verbrannt haben soll.

Der 36-jährige Angeklagte habe am Ende des Prozesses zudem erklärt, dass er über den 32-jährigen Verdächtigen verärgert und nicht gut auf ihn zu sprechen sei, weil dieser nicht die Wahrheit sage. Der Verdächtige entschlug sich im Zeugenstand jeglicher Aussage und machte keinerlei Angaben zum Tathergang. „Die Aussageverweigerung ist in Hinblick auf die neuen Fakten zu hinterfragen“, so Dr. Albrecht gegenüber KOSMO.

„Der Prozess ergab neue Fakten, die man nicht ignorieren darf!“

– Dr. Gerald Albrecht, Anwalt der Opfer

Polizei gibt vorerst keine Auskünfte

Nachdem die Redaktion eine Stellungnahme der Polizei forderte, erreichte uns folgende Rückmeldung seitens der Pressestelle der Landespolizeidirektion Wien: „Die Polizei kann und wird nur im Laufe eines Ermittlungsverfahrens Auskünfte geben. Bei dem gegenständlichen Fall handelt es sich um ein (abgeschlossenes) Gerichtsverfahren, wo der Polizei keine Befugnis zur Auskunftserteilung mehr zukommt.“

Appell an die Staatsanwaltschaft

Wer tatsächlich der Täter war, ist vorerst ungeklärt. Im Zuge des Prozesses sei es aber zu einigen neuen Erkenntnissen gekommen, die man keinesfalls ignorieren dürfe. „Hier ist die Staatsanwaltschaft gefordert, gegen den 32-Jährigen aufgrund dieser neuen Fakten weitere Ermittlungen einzuleiten“, erklärt der Anwalt der beiden Wiener Kroaten im KOSMO-Telefoninterview.

„Man hat hier jemanden, von dem man weiß, dass er am Tatort war, dessen DNA durch eine Gutachterin auf dem Griff des Messers eindeutig nachgewiesen wurde und der ein Kleidungsstück, das als Beweismittel hätte dienen können, verbrannte. Es kann nicht sein, dass man denjenigen nun nicht weiter verfolgt. Aufgrund dieser neuen Erkenntnisse wird es erforderlich sein, eine ergänzende Sachverhaltsdarstellung zu verfassen, damit die Staatsanwaltschaft die Möglichkeit erhält, weiter zu handeln und im geschlossenen Verfahren um neue Fakten zu ermitteln“, so Dr. Albrecht, Anwalt der beiden Opfer, abschließend.