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BLUTJUNG & BRANDGEFÄHRLICH

Warum verfallen gerade Balkan-Muslime aus Österreich der IS-Ideologie?

(FOTOS: KOSMO, zVg.)

Der Terroranschlag in der Wiener Innenstadt war kein unerwarteter Angriff, sondern nur eine weitere traurige Phase in der beunruhigenden Entwicklung einiger weniger junger Balkan-Muslime in der Diaspora. Warum sind sie leichte Beute für radikale Ideen des Islamischen Staats?

„Der Balkan beginnt am Rennweg.“ Diesen Satz soll bereits der österreichische Staatskanzler Metternich im 19. Jahrhundert gesagt haben. Und ja, es stimmt. In kaum einem mitteleuropäischen Land leben so viele Menschen mit Balkanwurzeln, jener Halbinsel Südosteuropas, die schon seit jeher als „schwarzes Schaf“ des alten Kontinents gilt. Immer wieder finden die Balkanländer ihren Weg in die Schlagzeilen internationaler Medien – selbstverständlich zu 90 Prozent im negativen Kontext: der Jugoslawienkrieg, die Kosovo-Problematik und nun auch der Dschihadismus.

Seitdem der Islamische Staat in der ganzen Welt für Angst und Schrecken sorgt, rückten auch Bosnien-Herzegowina, der Kosovo und die südserbische Region Sandžak, aber auch andere Länder des Balkans in den Fokus. Immer wieder wird von Terrorzellen und IS-Anhängern berichtet, die in diesen Ländern tätig sind. Rückwirkend betrachtet, ist die Anzahl an Anschlägen am Balkan im Vergleich zu jenen in Mittel- und Westeuropa verschwindend gering. Was jedoch auffällt ist, dass in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren immer mehr Verbindungen von Islamisten aus dem Westen zum Balkan öffentlich wurden.

„Die wahren Köpfe hinter der gefährlichen Salafisten-Szene in unserem Land leben in Wien“,

davor warnte bereits im Jahr 2007 der ehemalige Großmufti Bosnien-Herzegowinas Cerić

Nedžad B., Mirsad O. und Co. – die österreichische Liste ist lang
Traurig, aber wahr: Die Liste der IS-Sympathisanten, Hassprediger und Menschen radikaler islamistischer Gesinnung mit Balkanwurzeln, die in Österreich agierten, ist eine lange. Man möge sich an den Hassprediger Mirsad O. aus Tutin (Sandžak) erinnern, der als muslimischer Religionslehrer tätig war. Später jedoch als gefürchteter Salafisten-Prediger Menschen für den IS rekrutiert und die radikale islamistische Ideologie in Wien und anderen Ländern Westeuropas verbreitet haben soll. O. wurde im Juni 2016 wegen Bildung einer „terroristischen Organisation“ und einer „kriminellen Vereinigung“, sowie für „Mord und schwere Nötigung“ zu 20 Jahren Haft verurteilt.

Ein weiterer Hassprediger mit Namen Nedžad B. (ebenfalls aus Tutin), der laut dem Sicherheitsexperten Vlado Azinović „der radikalste aller bosnischen Salafisten in der Diaspora“ war, verbreitete ebenfalls in Wien und anderen Städten Österreichs radikal islamistisches Gedankengut über das Internet. Außerdem wurde im vorgeworfen, radikale Balkan-Islamisten auch finanziert zu haben. Seine Mutter erzählte in einem späteren Interview, dass ihr Sohn in einer Wiener Moschee radikalisiert wurde.

Einer der Schüler Nedžads war auch Mevlid J. (aus Novi Pazar – Sandžak), der im Alter von sieben Jahren mit seiner Mutter nach Wien kam. 2011 schoss er auf die US-Botschaft in Sarajevo mit einer Kalaschnikow und verletzte einen Polizisten und sich selbst. Wenige Jahre zuvor überfiel Mevlid J. eine Bank in Wien-Alsergrund. Nach seiner Verurteilung wurde er 2008 abgeschoben und ein zehnjähriges Aufenthaltsverbot gegen ihn ausgesprochen.

Aber nicht nur junge Männer sympathisieren mit der IS-Ideologie. Vor sechs Jahren reiste die Wienerin mit bosnischen Wurzeln, Sabina S. in den Krieg nach Syrien, wo sie sich dem IS angeschlossen haben soll. Am 10. April 2014 verschwand die damals 15-Jährige zusammen mit ihrer Freundin Samra K. Über die Türkei gelangen sie schließlich an ihr Ziel. Wie eine Augenzeugin im Februar 2019 berichtete, wurde Samra bei einem Fluchtversuch in Syrien zu Tode geprügelt. Ihre Freundin gilt seit einem Schussangriff als verschollen. Im Oktober vergangenen Jahres wurden die zwei Söhne von Sabina S., die sie einem IS-Kämpfer gebar, nach Österreich zurückgeholt.

Der Anschlag in Wien durch Kujtim F. ist also bei weitem keine Manifestation eines neuen islamistischen Phänomens, sondern vielmehr Teil einer langjährigen, beängstigenden Tradition des Islamismus unter Balkan-Muslimen in Österreich mit Verbindungen zu internationalen Netzwerken.

Blutjung, aus der Balkan-Diaspora und brandgefährlich
Der traditionell liberale Islam der Balkanhalbinsel scheint bei einer Minderheit an jungen, im Ausland geborenen bzw. aufgewachsenen, Männern salafistischer und wahhabitischer Ideologie zu weichen. Das wohl rezenteste Beispiel dieser Negativschlagzeilen ist jenes des Terrorattentäters Kujtim F. aus Wien, der vier Menschen das Leben nahm und zahlreiche Personen teilweise schwer verletzte. Seine Eltern stammen aus einem Dorf mit Namen Čelopek/Çellopek in Nordmazedonien, das mehrheitlich von der albanischen Minderheit des Landes bewohnt wird. Nur wenige Tage nach dem Anschlag distanzierten sich der Heimatort seiner Eltern von Kujtim F.: „Das gesamte Dorf schämt sich für ihn.“

Auch einige jener jungen Männer, die im Rahmen von Razzien nach dem Anschlag auf die Wiener Innenstadt verhaftet wurden, stammen vom Balkan. Einem Dokument des Innenministeriums, welches unserer Redaktion zugespielt wurde, war zu entnehmen, dass die zwölf dort angeführten Verhafteten alle extrem jung (viele Jahrgang 2000 oder später) und viele von ihnen bereits in Österreich geboren sind. Unter ihnen befinden sich auch vier Männer (K.K. Jahrgang 2004, F.A. Jahrgang 1999, F.A. Jahrgang 1998 und A.U. Jahrgang 2001) kosovo-albanischer Herkunft. Drei weitere stammen aus der Türkei, zwei aus Tschetschenien.

Auch die Kontakte zu IS-Sympathisanten im Ausland, die der Attentäter von Wien pflegte, zeigen, dass junge Männer mit Balkanwurzeln anscheinend leichte Beute für das radikale Gedankengut des Islamischen Staates sind. Zwei junge Männer aus Winterthur (Schweiz) soll Kutjim F. persönlich getroffen haben, den 18-jährigen Besar D., albanischer Herkunft, und den 24-jährigen Christian „Sandro“, einen Schweizer mit italienischen Wurzeln. In der umstrittenen Winterthurer An’Nur-Moschee, die 2017 geschlossen wurde, predigte auch der bereits angesprochene Mirsad O. Hass, Terror und Gewalt. Der radikale Kern der Islamisten aus dieser Schweizer Stadt scharrte sich kürzlich um Visar L. Der junge Mann albanischer Herkunft soll die Winterthurer Szene besonders autoritär geführt haben. Visar L. reiste 2014 zusammen mit seiner Schwester Edita nach Syrien, kehrte jedoch zurück.

„Die Salafisten-Szene in Österreich oder in der Schweiz, die zum Teil stark von Menschen aus Südosteuropa dominiert wird, ist ein deutlicher Hinweis auf dieses transnationale und somit auch jenseits der Region bedrohliche Phänomen“

warnt der Politologe Dr. Vedran Džihić.

Salafismus schon seit Jugoslawienkrieg
Radikales islamistisches Gedankengut ist am Balkan keine Neuheit. Salafismus und andere radikale Strömungen fassten bereits während des Krieges in Bosnien-Herzegowina Fuß. Damals kamen rund 2.000 Kämpfer aus dem Nahen Osten ins Land, die in der Einheit al-Mujahed zusammengefasst wurden, so Vedran Džihić vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Der Politiloge schreibt in einem Paper über Islamismus am Balkan weiter, dass viele im Land blieben und Familien gründeten. In weiterer Folge entstanden auch regelrechte Zentren salafistischer Gruppen in einigen Dörfern wie Gornja Moača, Ošve und Dubnica. Diese waren in der Vergangenheit auch immer wieder Schauplätze großangelegter Razzien durch die bosnischen Behörden im Kampf gegen den IS.

Allerdings ist der Krieg in Jugoslawien nicht nur Nährboden für islamistisches Gedankengut, sondern auch Waffen von damals sind auch noch heute im Umlauf. So soll die Kalaschnikow des Wiener Attentäters, eine „Zastava M-70“, aus dem Jugoslawienkrieg stammen. Immer wieder werden Gewehre der blutigen Auseinandersetzungen am Balkan in den 90er-Jahren von dschihadistischen Attentätern verwendet. Die „Zastava“ fand auch beim Attentat von Berlin Verwendung. Experten warnen, dass das auf einen organisierten Waffenhandel innerhalb von IS-Strukturen hinweisen könnte.

Entwurzelt, perspektivenlos und nicht integriert
Im gestrigen Weltjournal des ORF zu diesem Thema erklärte der nordmazedonische Politikwissenschaftler Albert Musliu, dass junge Balkan-Muslime in einer Identitätskrise stecken. Dies treffe vor allem auf jene zu, die in der Diaspora leben und aufwachsen. „In der Ferienzeit haben wir Probleme mit radikalen Personen. Diese sind in den Gastländern nicht ausreichend integriert und aufgrund ihrer fehlenden Zugehörigkeit eine leichte Beute für IS-Rekrutierer“, so Musliu weiter.

Ohne jetzt die Schuldfrage zu beantworten, oder Rechtfertigung für terroristische Taten zu finden, so muss man sich jedoch vor Augen führen, dass Menschen wie der Wiener Attentäter aus einem ganz speziellen Umfeld stammen. Als ethnischer Albaner, einer Minderheit in Nordmazedonien, in Österreich aufzuwachsen, birgt einige Problemquellen. Bei Reisen in das Heimatland ist er in den Augen der Einheimischen ein „Gastarbeiterkind“, im ethnonationalistischen nordmazedonischen Diskurs der Mehrheitsbevölkerung sind Albaner eben keine Mazedonier und in der österreichischen Gesellschaft konnte er ebenfalls nicht Fuß fassen.

Ein Meer an Kerzen in der Wiener City in Gedenken an die Opfer des Terroranschlags. (FOTO: Wikimedia Commons/Bwag)

„Die Entfremdung vieler vor allem junger Staatsbürger von ihren Staaten und Gesellschaft ist eine Dimension des Problems. Durch die Marginalisierung und soziale Benachteiligung wird Extremismus jedweder Art befördert“, schreibt Dr. Džihić. Das Beispiel von Kujtim F. ist hierbei auch nur stellvertretend für viele junge Muslime mit Balkan-Wurzeln zu sehen. Auch der Hassprediger Mirsad O. und Nedžad B. und der Terrorist Mevlid J. stammen aus einer Region mit einer ähnlichen demographischen Situation. Der südserbische Landstrich Sandžak wird mehrheitlich von Muslimen bewohnt. Innerhalb Serbiens stellen sie jedoch eine Minderheit dar. In einer vergleichbaren Krisen befinden sich auch die Kosovo-Albaner.

Genau jene Entwurzelung wurde in den letzten Tagen oftmals von Experten und Medien aufgegriffen. Kein Wunder, da sich Kinder aus Migrantenfamilien oft mit einer speziellen Art der „doppelten Heimatlosigkeit“ konfrontiert sehen. Wenn dann noch eine ethnonationalistische exkludierend Politik des Balkans, radikale religiöse Ideologie und eine misslungene Integration im Gastland dazukommt, entsteht ein fataler Cocktail, der es IS-Sympathisanten leicht macht, junge Menschen für sich zu gewinnen.