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Wien ist Beč: Forschung an der Uni Wien zu „Jugos“ in der Stadt

Südslawische Literatur- und Kulturwissenschaft
Südslawische Literatur- und Kulturwissenschaft

Zwei Forscherinnen der Uni Wien, selbst mit südslawischem Hintergrund, haben sich daran gemacht, der Wiener südslawischen Gegenwart auf den Grund zu gehen.

Laut Integrationsmonitor der Stadt Wien leben rund 180.000 Menschen aus Bosnien und Herzegowina, Kroatien und Serbien, aber auch aus Slowenien, Bulgarien und Nordmazedonien in Wien. Mindestens jeder zehnte Wiener ist damit Südslawe oder Südslawin! Hinzu kommen die Volksgruppen der Burgenländer Kroaten und der Kärntner Slowenen. Wien ist daher für viele vor allem „Beč“ und in manchen Stadtteilen und in vielen Vereinen, Cafés und Events kommt man gut ohne ein deutsches Wort aus.

„Jugo-Kultur“ in Wien

Miranda Jakiša ist Universitätsprofessorin an der Universität Wien und selbst aus der zweiten Generation jugoslawischer Einwanderer. Als sie vor vier Jahren aus Berlin nach Wien kam, hat sie die „Jugo-Kultur“ in der Stadt, wie sie sagt, schlicht umgehauen: „So etwas gibt es in Berlin nicht, aber auch nicht in Paris oder Chicago! Eine so vielfältige südslawische Zuwanderung macht Wien zu einem ganz besonderen Fall: historische Schichten aus der Habsburger Zeit kommen zusammen mit der Gastarbeiter-Zuwanderung, den ankommenden Geflüchteten aus den Jugoslawien-Kriegen bis hin zur fortlaufenden Arbeits- und Bildungsmigration von jungen Menschen aus Serbien, Kroatien und Bosnien nach Wien. Sie alle kommen in Beč zusammen, so dass die Stadt auch sprachlich südslawisch wird – und bleibt.

Jakišas Mitherausgeberin Katharina Tyran, Burgenländer Kroatin sowie gebürtige Wienerin, ist Sprachwissenschaftlerin und forscht ebenfalls an der Uni Wien. Sie hat sich über Jahre mit den sichtbaren Schriften und Sprachen – zum Beispiel in der Ottakringer Straße – beschäftigt. Viele Schaufenster, Graffitis, Konzertplakate oder Aufkleber sprechen vor allem naški. Die beiden Wissenschaftlerinnen haben für ihr Buch „Südslawisches Wien“ deshalb ein Titelbild ausgesucht, das zeigt, wie „Jugo-Wien“ ist. Bei dem Titelbild des Buches handelt sich daher um einen Sticker aus dem Merchandise des Wiener Rappers KidPex, der auf einem Mistkübel im 16. Bezirk klebt: „Wien, Oida! Beč, Oida!„. Der Sticker ist an vielen Orten der Stadt zu finden.

Jakisa und Tyran. Südslawische Literatur- und Kulturwissenschaft
Jakisa und Tyran. Südslawische Literatur- und Kulturwissenschaft

Buch: Südslawisches Wien

In dem druckfrisch erschienen Buch befassen sich Wissenschaftler und Experten mit Wiener südslawischen Orten und Aktivitäten: dem Café Lepa Brena, der Buchhandlung „Mi“ in der Burggasse, mit den bosnisch/kroatisch/serbisch sprachigen Theatern in der Stadt oder mit nord-mazedonischen Fußball- und Kultur-Vereinen.

Auch Musik nimmt eine wichtige Rolle ein. Untersucht werden der aktivistische Chor „Hor 29. novembar“, den Jana Dolečki leitet, aber auch der Wiener Kroatenball und Rap-Musik von Švaba Ortak, Manijak oder KidPex.

Rapper sind besonders wichtig – gerade für uns Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund. Sie sind die großen Dichter unserer Zeit, die konkrete Probleme von Südslawen in der Stadt ansprechen. Kid Pex, eigentlich Petar Rosandić, setzt sich nicht nur für andere Tschuschen in seinen Rap-Texten ein, sondern kümmert sich auch um die Geflüchteten auf der Balkanroute, die in Bosnien festsitzen. Er sammelt mit seiner Organisation SOS Balkanroute Spenden und hilft so gut er kann, damit weist er auch auf Österreichs Verantwortung hin. Es ist eigentlich eine Schande, dass ein Künstler hier übernehmen muss, was die Aufgabe der Politik ist.“, sagt Jakiša dazu.

Südslawische Literatur- und Kulturwissenschaft
Miranda Jakiša/Katharina Tyran (Hg.): Südslawisches Wien. Zur Sichtbarkeit und Präsenz südslawischer Sprachen und Kulturen im Wien der Gegenwart. Wien 2022.

Slawistik als Studium

Wer mehr über das Buch erfahren will, kann eine der Buchpräsentationen besuchen und selbst mit den Herausgeberinnen sprechen. Die Professorin Miranda Jakiša von der Uni Wien plant am Thema der Jugo-Kulturen intensiv weiter zu forschen und hofft, dass junge Wiener und Wienerinnen mit südslawischer Herkunft an die Slawistik zum Studium kommen, um bald selbst zu dieser Forschung beizutragen.

Beides gehört zu uns Wiener Südslawen: die Kenntnis der Herkunftskultur und die Zugehörigkeit zur Ankunftskultursagt sie und ergänzt: „Niemand hat das besser ausgedrückt als der Rapper Pavle Komadina aka Švaba Ortak mit seiner Line: Čoban in der Seele, doch geboren auf (Wiener) Beton.“

Informationen zu den Buchpräsentationen

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