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REPORTAGE

30 gerettete Leben: Renato Grbić – Belgrads Superman

FOTO: Nemanja Milatovic

HELDENTUM. Oft wurde in den internationalen Medien über ihn berichtet und sein Name taucht in vielen Internettexten auf. Der Grund: sein Heldentum. Renato Grbić rettet bereits seit 20 Jahren Menschen, die von der Brücke gesprungen sind, aus der Donau.

Die Donau, der zweitlängste Fluss Europas, fließt durch zehn europäische Länder und vier Hauptstädte und verbindet Völker und Kulturen. Seine Schönheit und Einzigartigkeit haben viele Schriftsteller, Maler und Musiker inspiriert. Aber an der schönen blauen Donau spielen sich auch Tragödien ab. Diese selbstlose Quelle des Lebens hat auch vielen ihr Leben genommen. Eine massive Stahlkonstruktion in Belgrad, die Pančevo-Brücke, dient einigen als Sprungbrett für den geplanten Selbstmord, den Sprung in die Donau. Viele jedoch hatten bei ihrem Sprung vom „Pančevac“ Glück im Unglück, denn sie wurden von Renato gerettet.

„Ich könnte diese Menschen nicht retten, wenn mein Restaurant nicht unterhalb der Pančevo-Brücke läge und wenn ich nicht ständig dorthin schauen würde. In 20 Jahren habe ich 30 Menschen da herausgezogen. Leider gab es zwei, die ich nicht retten konnte. Sie sind aus 18 Metern Höhe falsch auf das Wasser aufgeschlagen, auf den Bauch oder auf den Rücken. Dann platzen die Blutgefäße, als wenn man auf Beton fiele. Da ist der Tod unausweichlich.“, erklärt uns Renato, während er uns in den wunderschönen Garten seines Restaurants führt.

TRADITION. Die Fischerei wird in der Familie schon lange von Generation zu Generation weitergegeben.

Dank der Lage des Restaurants, aber auch, weil er gemeinsam mit seinem Bruder und seinem Sohn unter der Brücke fischt, konnten viele Leben gerettet werden. Bereits zur Zeit von Renatos Großvater ist diese Arbeit in der Familie Tradition geworden, die über seinen Vater und Onkel bis hin zu seinen Söhnen und dem ältesten Enkel, der jetzt neun Jahre alt ist und bereits mit dem Opa hinausfährt und Fischer werden möchte, in der Familie weitergegeben wird. „Wenn Sie an dem Fluss leben und mit Flussfischern großwerden, ist es ganz logisch, das Sie das auch werden, denn man entwickelt diese Liebe dazu.

Der Fluss inspiriert, er zieht die Menschen an, auch uns Flussfischer, die wir am Fluss und vom Fluss leben. Das sind einfach die Gene, die Familientradition“, erzählt unser Gesprächspartner inspiriert und verrät uns, dass das Restaurant vor zwanzig Jahren ganz zufällig entstanden ist. Aus einer Fischerhütte mit drei Sesseln, einem Tisch und einem Bett auf 12 Quadratmetern ist heute ein Restaurant geworden, das 500 Gästen Platz bietet.

„Wenn ich einen Menschen rette, ist mir überhaupt nicht wichtig, wer er ist, was er ist und warum er gesprungen ist. Wichtig ist mir nur, ihm die Hand zu reichen und ihn ins Boot zu ziehen.“ (FOTO: Nemanja Milatovic)

Vom Flussfischer zum Lebensretter
Wegen des „Pančevac“ ist Renato heute nicht nur Fischer und Restaurantbetreiber, sondern geht noch einer viel anspruchsvolleren Tätigkeit nach. „Manchmal kommt es mir vor, als sei ich bei einem freiwilligen Rettungsdienst beschäftigt. Es ist mir einfach zur Gewohnheit geworden, hinzuschauen und zu lauschen. Einige Male hatte ich das Gefühl, dass an diesem Tag jemand springen würde, und es ist wirklich eingetreten. Es ist nicht mein Job, aber mir kommt es so vor, als sei er es doch“, fügt er kurz hinzu und erklärt, dass es aufgrund der Nähe zur Brücke sogar vorkommt, dass ihn die Polizei zu Hilfe ruft. „Ich brauche ein bis zwei Minuten, um zu der Person zu gelangen, die zu ertrinken droht, und sie brauchen zehn Minuten, denn sie sind an der Sava.“

Wir wollten wissen, wann seine „Mission“ begonnen hat und ob er sich an seine erste Lebensrettung erinnern kann. „Ich erinnere mich an diesen Burschen, er war so alt wie ich. Mein Bruder und ich waren fischen und kehrten zur Brücke zurück, um das Netz noch einmal auszuwerfen, als wir etwas von der Brücke fallen sahen und den Aufschlag hörten. Wir fuhren näher heran und sahen die Konturen eines Menschen, der schwamm und untertauchte. Er hatte eine Daunenjacke an, die im Wasser wie ein Fallschirm wirkte, deswegen konnte er nicht untergehen. Nur sein Kopf war unter Wasser. Als ich herankam, fragte ich ihn, was er da tat, und er antwortete mir, dass er sich umbringen wollte. Dann steckte er den Kopf wieder ins Wasser. Aber am Ende reichte er mir doch die Hand.

Wir schafften es, ihn ins Boot zu ziehen und brachten ihn ans Ufer. Damals hatten wir das Restaurant noch nicht, sondern nur eine kleine Fischerhütte, die aus Bretten zusammengezimmert war. Wir haben ihm Kleider zum Umziehen gegeben und er redete die ganze Zeit unzusammenhängendes Zeug. Es war deutlich, dass er psychische Probleme hatte. Er zog sieben oder acht Entlassungsbriefe aus der Psychiatrie aus der Tasche. Später hat ihn die Rettung in ein Krankenhaus gebracht“, erinnert sich Renato an das erste Leben, das er gerettet hat.

Wenn er jemanden rettet, fühlt sich Renato gesegnet. Er erwartet keine Dankbarkeit. Wichtig ist ihm nur, dass die Menschen ins Leben zurückkehren. (FOTO: Nemanja Milatovic)

Nach diesem ersten Fall hatte Renato noch keine Ahnung, mit welchen Schicksalen er konfrontiert sein würde. „Einmal habe ich den ganzen Tag gewartet, um meine Netze auszuwerfen, und konnte erst am Abend beginnen, als der starke Wind nachließ. Ich kam zur Belgrader Seite, als ich einen Schrei hörte. Ich schaute zum Ufer. Ich konnte niemanden sehen, aber ich hörte etwas ins Wasser fallen. Dann schaute ich zur Brücke und sah, dass der Verkehr stehengeblieben war und dass Menschen aus einem Bus ausstiegen. Schnell erkannte ich, wo die Person ins Wasser gefallen war, erreichte sie und zog ein Mädchen heraus. Als ich sie fragte, warum sie gesprungen sei, sagte sie, wegen ihres Freundes. Auf die Frage, ob er das auch für sie tun würde, sagte sie, nein, das würde er nicht. Ich glaube, dass sie in diesem Moment begriffen hat, wie verrückt es ist, wegen einer unerwiderten Liebe von der Brücke zu springen, denn schon im nächsten Moment bat sie mich um ein Telefon, um ihre Mutter anzurufen.“

Aber der eindrucksvollste Fall in den 20 Jahren seiner Rettungstätigkeit war der Selbstmordversuch einer Doppelmörderin. „Niemals werde ich die Rettung von Ljiljana Matić vergessen, die vor dem Restaurant ‚Mader‘ ihren Exmann und seine Tochter aus erster Ehe umgebracht hatte, weil sie den Tod ihres Sohnes nicht verkraften konnte, der an einer Überdosis Drogen gestorben war. Sie schoss je eine Kugel auf beide ab, dann ging sie zu beiden hin und schoss ihnen noch einmal in den Kopf. Damals machte ich mich gerade zum Fischen fertig, aber ich blieb stehen, als ich im Fernsehen die Nachricht von diesem Doppelmord sah. Sie sagten, dass die Mörderin auf ihrer Flucht von der Branko-Brücke gesprungen sei. Die Polizei suchte sie im Wasser, aber aufgrund der ungeheuren Menge an Ästen und Gestrüpp, das auf der Sava trieb, konnten sie sie nicht finden und stellten fest, sie sei ertrunken. Später an diesem Abend rief mich ein Freund an und sagte, dass im Fluss jemand schrie. Ich suchte die Person flussabwärts von der Brücke, aber als ich bemerkte, dass sie doch flussaufwärts war, zählte ich zwei und zwei zusammen: Das war die Frau, die von der Branko-Brücke gesprungen war, 5 km oberhalb der Pančevo-Brücke. Das alles kam für mich ganz unerwartet: Zuerst, dass ich im Fernsehen die Nachrichten von einem Doppelmord sehe, und dann, dass ich gerade diese Frau aus dem Wasser ziehe. Als wir zum Ufer kamen, waren ihre Beine an den Knien ganz steif und sie konnte überhaupt nicht gehen. Wir haben sie unter den Achseln festgehalten und gezogen und ihr etwas zum Anziehen gegeben. Ihre Augen waren hervorgetreten und sie murmelte leise vor sich hin. Später habe ich viele Kommentare erhalten, ich hätte sie selber ertränken sollen oder hätte sie ertrinken lassen sollen, aber ich sage, dass ich kein Richter bin, sondern Lebensretter. Und ich habe das niemals bereut. Wenn ich einen Menschen rette, ist mir überhaupt nicht wichtig, wer er ist, was er ist und warum er gesprungen ist. Wichtig ist nur, dass ich ihm die Hand reiche und ihn ins Boot ziehe.“

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