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REPORTAGE

„Als ich an Kriegsverbrechen in Jugoslawien arbeite, bekam ich eine neue Identität“

Der Rorschachtest, auch Tintenkleckstest genannt, wird von Psychoanalytikern und Psychiatern angewendet mit dem Ziel, die gesamte Persönlichkeit des Probanden zu erfassen. (FOTO: iStockphoto=

Ich habe in ihre Welt Einlass gefunden, weil ich auf der anderen Seite des Gesetzes an vielen ihrer Fälle mitgearbeitet habe. Über Einbrüche in 270 Häuser, aus denen unter anderem 80 kg Gold gestohlen wurden, haben alle französischen Medien berichtet. Als sich der Knoten zu entwirren begann, habe ich gesehen, dass unter den Beschuldigten auch Leute waren, die ich von früheren Übersetzungen her kannte. In dem Moment kannte ich als einzige ihre Identität, denn ich hatte Einsicht in ihre echten Dokumente gehabt. Damals hatten sie gefälschte Pässe, daher waren meine Informationen für die Polizei besonders wertvoll. Weil ich gleichzeitig auch an Telefonüberwachungen beteiligt war, habe ich in diesem Fall tagelang ihre Kommunikation abgehört und die interessanten Teile ins Französische übersetzt. Durch diesen und ähnliche Fälle habe ich noch mehr Einsicht gewonnen, wie sie funktionieren. Bei diesen Verbrechen ging es auch um minderjährige Delinquenten, Menschenhandel und Gewalt und daher schalteten sich auch andere Institutionen ein, die meine Hilfe benötigten.

Aber glauben Sie nicht, dass nur unsere Roma Verbrechen begehen. Ich erinnere nur daran, dass ich vor etwa zehn Jahren an einem berühmten Fall um bulgarische Babys mitgearbeitet habe. Da hatten Roma arme Mädchen aus Bulgarien, die schwanger waren und keine Existenzgrundlage hatten, nach Frankreich gebracht. Nach der Geburt wurden die Kinder an französische Roma verkauft, die Buben für 50.000 und die Mädchen für 25.000 Euro. In den acht Monaten, in denen dieses Geschäft lief, wurden ca. 90 Babys verkauft. Zum Glück hat ihnen die französische Polizei das Handwerk gelegt. Die meisten Kinder kamen in Heime, aus denen sie adoptiert wurden, und es haben sogar einige der Familien, die Kinder gekauft hatten, es geschafft, diese dann zu adoptieren.

Finanzbetrug – Rip Deal
Vor etwa fünfzehn Jahren habe ich vor der Gendarmerie und anderen Institutionen Vorträge über die Lebens- und Arbeitsweise der Roma-Gemeinschaft gehalten, aber auch über die kriminellen Methoden, die sie in Frankreich anwendeten. Einige Polizisten haben gelacht und wollten nicht glauben, dass Menschen, die nicht lesen können und mit einem Kreuz unterschreiben, millionenschweren Betrug begehen können. Aber später konnten sie sich davon überzeugen, dass unsere Roma Experten für Finanzbetrug, das sogenannte „truffe“, geworden waren, das vor etwas mehr als 20 Jahren in Italien aufgekommen war. Meistens handelte es sich um Summen von mehreren Millionen. Bei der Suche nach Investoren zur Förderung ihres Geschäfts suchen die Inhaber großer Firmen Hilfe über das Internet und über Empfehlungen. Da treten die Roma in superteuren Anzügen, mit gefälschten Luxusuhren und äußerst gepflegt auf den Plan. Aufgrund ihrer Hautfarbe stellen sie sich als reiche Araber vor, die durch die Investition ihren Reichtum mehren wollen. Ich betone, dass das ungebildete Leute sind, die die Terminologie und die Thematik gut beherrschen und damit Europa unsicher machen. Die Roma spielen diese Rolle perfekt, und da sie als Volk mit einem gut entwickelten Gehör bekannt sind, sprechen sie auch Fremdsprachen.

TRUFFE
Große Betrugsgeschäfte, in denen sich Roma als Araber ausgeben.

Nach den Vorgesprächen, die in teuren Hotels und luxuriösen Restaurants stattfinden, entscheidet sich der angebliche Investor dafür, Geld zu investieren. Wenn vereinbart ist, wie viele Millionen Euro er beisteuern wird, stellt er nur eine einzige Bedingung: dass ihm der Inhaber der Firma im Voraus die gesamten Zinsen auszahlt. Wenn er darein einwilligt, wird das Kapital in den vereinbarten Raten zurückgezahlt. Da dieser Betrug sehr gut vorbereitet wird und auch kriminelle Banker und Rechtsanwälte dabei mitspielen, sieht der unglückliche Geschäftsmann, dass die vereinbarten Millionen tatsächlich von irgendeiner exotischen Insel aus auf seinem Konto eintreffen. Darum hegt er keinen Verdacht, sondern zahlt seinem „arabischen“ Geschäftspartner die vereinbarten Zinsen bar auf die Hand. Wenn er dann das nächste Mal sein Bankkonto kontrolliert, stehen ihm die Haare zu Berge, denn von den Millionen ist keine Spur mehr zu finden: Der Betrüger hat sie zurückgezogen.

Das Problem des betrogenen Geschäftsmannes ist, dass er jemandem ein paar tausend Euro bar auf die Hand gezahlt hat, was er den Steuerbehörden erklären muss, denn das gilt normalerweise als Geldwäsche. Ich habe an einem Fall gearbeitet, in dem ein Mann bei der Polizei angezeigt hat, dass er 20.000 Euro gezahlt habe, aber bei der Vernehmung haben wir herausgefunden, dass sie ihn um 600.000 Euro erleichtert hatten. Ich wurde hinzugezogen, weil jemand aus der Roma-Gemeinschaft die Täter angezeigt hatte. Daher wurden alle Akteure unter Beobachtung gestellt und der Fall wurde gelöst. Einmal hat mich die Polizei gerufen, weil bekannt geworden war, dass in einem großen Hotel ein Betrug begangen worden war. Es gab Kameraaufzeichnungen, aber man wusste nicht, wer von den Menschen, die das Haus in der Zeit verlassen hatten, das Geld hinausgeschmuggelt hatte. Als ich mir die Aufnahmen ansah, bemerkte ich einen Scheich in charakteristischer Tracht. Mir sind fast die Augen ausgefallen, als ich ihn erkannte und auf Serbisch ausrief: Hey, was macht denn Slobodan der Zigeuner hier, der Sohn von Dragiša?! Natürlich war das sein Ende, denn die Verkleidung hatte mich nicht getäuscht. Wie versiert sie im Betrügen sind, davon zeugt auch ein Fall, in dem es unseren Roma gelungen ist, sich dem wichtigsten Assistenten des Königs eines außereuropäischen Staates zu nähern. Da dieser Mann nicht anonym war, wurde er von der Polizei bewacht. Hätte die nicht rechtzeitig reagiert und die Betrüger verhaftet, wäre der erwähnte Herr um ca. zwei Millionen Euro erleichtert worden.

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Popov: „In der Zeit, als ich an Fällen von Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien gearbeitet habe, habe ich eine neue Identität erhalten.“ (FOTO: Diva Shukoor)

Unsere Beziehung ist gut
Ich reise oft, denn ich arbeite auch mit Polizeibehörden anderer Staaten zusammen, immer auf Vermittlung der Franzosen. Ich bin Expertin für Verbrechen in der Roma-Gemeinschaft geworden. Ich weiß, wie sie funktionieren, wie sie sich von Land zu Land bewegen, und meine Dienste werden in verschiedenen Ländern Europas angefordert. Ich kenne viele Menschen aus diesem Milieu und sie wissen, dass ich für die Polizei arbeite. Aber es ist mir nie passiert, dass ich bedroht wurde. Vielleicht glauben sie, dass es besser ist, sich mit mir gutzustellen, falls sie einmal der Arm des Gesetzes erwischt. In ihrer Gemeinschaft ist es eine Prestigefrage, mich zu kennen.“

Vera Marjnaovic
Meine Berufung zur Journalistin entdeckte ich bereits als Sechzehnjährige während meiner Gymnasialzeit in Montenegro. Diesem Berufszweig bin ich seither treu geblieben. Nach meiner Ankunft in Wien widmete ich mich der Arbeit mit Mitgliedern der BKS-Gemeinschaft, wodurch ich tiefgreifende Einblicke in die Lebensgeschichten und sowohl die Triumphe als auch die Herausforderungen verschiedener Generationen gewann. Diese vielfältige Palette an Persönlichkeiten prägte meinen journalistischen Weg und festigte mein Engagement für soziale Themen.