Richtungsweisendes Urteil in Leipzig: Junge, gesunde Asylbewerber dürfen nach Griechenland zurückgeführt werden – trotz früherer Gerichtsentscheidungen, die das Land als unzumutbar einstuften.
Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass junge, gesunde, männliche Asylbewerber nach Griechenland zurückgeführt werden dürfen. Die Leipziger Richter begründeten ihr Urteil damit, dass den Betroffenen dort keine „erniedrigenden oder unmenschlichen Lebensbedingungen“ drohen. Der Fall betraf einen 34-jährigen staatenlosen Mann aus Gaza sowie einen 32-jährigen Somalier, die nach ihrer Anerkennung als Flüchtlinge in Griechenland nach Deutschland weitergereist waren und hier erneut Asylanträge gestellt hatten. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte die inhaltliche Prüfung dieser Anträge ab und ordnete ihre Rückführung an.
Grundlage dieser Entscheidung sind die Dublin-Bestimmungen der EU (Regelwerk zur Zuständigkeit für Asylverfahren), nach denen ausschließlich jener Mitgliedsstaat für ein Asylverfahren zuständig ist, in den der Antragsteller zuerst eingereist war. Dieses „Erststaats-Prinzip“ soll verhindern, dass Asylsuchende selbst über ihr Zielland entscheiden oder zwischen verschiedenen EU-Staaten hin- und hergeschoben werden. Deutschland könnte demnach Asylbewerber, die bereits in einem anderen EU-Land Schutzstatus erhalten haben, dorthin zurückschicken. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn den Betroffenen im Zielland eine menschenunwürdige Behandlung droht.
Rechtliche Neubewertung
In früheren Entscheidungen hatten deutsche Gerichte die Situation in Griechenland deutlich kritischer bewertet. So hatte das Oberverwaltungsgericht Münster im Jänner 2021 geurteilt, dass Flüchtlinge dort möglicherweise nicht einmal ihre elementarsten Bedürfnisse befriedigen könnten – etwa Unterkunft, Nahrung oder Hygieneartikel. Dies würde gegen die EU-Grundrechtecharta und die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen. Ähnlich argumentierte das OVG des Saarlandes im November 2022 in mehreren Fällen und betonte, dass Flüchtlinge in Griechenland kaum Möglichkeiten hätten, ihren Lebensunterhalt selbständig zu sichern.
Diese Rechtsauffassung wird nun korrigiert. Bereits im August 2024 hatte der Hessische Verwaltungsgerichtshof festgestellt, dass gesunden und arbeitsfähigen Flüchtlingen in Griechenland „nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit“ unmenschliche Behandlung drohe. Die Betroffenen versuchten, gegen diese Entscheidung vor dem Bundesverwaltungsgericht vorzugehen – erfolglos. Das höchste deutsche Verwaltungsgericht bestätigte am vergangenen Mittwoch, dass zumindest junge, gesunde und arbeitsfähige Männer mit anerkanntem Flüchtlingsstatus nach Griechenland zurückgeführt werden können. Trotz bestehender Schwächen im griechischen Asylsystem seien die Betroffenen durchaus in der Lage, für sich selbst zu sorgen.
Politische Dimension
Die Entscheidung dürfte auch politische Konsequenzen haben. Sie berührt das Problem der „Sekundärmigration“ (Weiterwanderung von Asylsuchenden nach Anerkennung in einem EU-Land), das bereits in der Vergangenheit zu Spannungen zwischen Deutschland und Griechenland geführt hat. Es geht um Zehntausende Menschen, die in Griechenland Asyl erhalten haben, dann aber nach Deutschland weitergereist sind und hier erneut Asylanträge gestellt haben. Aufgrund der bisherigen Rechtsprechung durften sie vorerst in Deutschland bleiben. Der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte dieses Problem wiederholt thematisiert und sogar Kontrollen für Flüge aus Griechenland in Erwägung gezogen.
Nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sind insgesamt rund 47.000 Personen von dem Urteil betroffen, die in Griechenland bereits internationalen Schutz erhalten haben und anschließend nach Deutschland weitergereist sind. Aus griechischer Perspektive gibt es jedoch kaum Möglichkeiten, diese Weiterwanderung zu verhindern, da anerkannte Flüchtlinge meist mit gültigen Dokumenten nach Deutschland einreisen können. Bei seinem Besuch in Athen 2023 sprach sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für „bilaterale“ und „europäische“ Lösungsansätze aus. Die aktuellen Dublin-Regelungen stoßen in allen EU-Mitgliedsstaaten auf Kritik.
Obwohl die griechische Regierung bisher keine offizielle Stellungnahme zum Bundesverwaltungsgerichtsurteil vom 11. April 2025 veröffentlicht hat, bereitet sie laut Medienberichten ein umfassendes Hilfspaket vor, das die Reintegration zurückkehrender Schutzberechtigter unterstützen soll. Für Rückkehrer stehen bereits verschiedene Unterstützungsangebote zur Verfügung, darunter das Integrationsprogramm Helios 2, das neben Beratung auch finanzielle Starthilfen in Höhe von 440 Euro und monatliche Mietzuschüsse von 162 Euro bietet.
Besonders das „Erststaats-Prinzip“ wird von den südeuropäischen Ländern bemängelt, da es in der Praxis dazu führt, dass Griechenland und Italien allein aus geografischen Gründen für einen Großteil der europäischen Asylverfahren zuständig sein sollen.
Eine grundlegende Reform der europäischen Asylgesetzgebung wird daher von allen Seiten gefordert.
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