Der Sarajevoer Filmemacher Srđan Rodić hat mir dieser Tage einen fast nostalgischen Moment beschert. Srđan hat mir sein Video der ersten Sarajevo Pride geschickt, das er vor fünf Jahren gemacht hat. Ich komm dort auch vor.

„Wie geht’s dir so?“ schickt mir Srđan Rodić dieser Tage eine WhatsApp-Nachricht. Und hängt gleich ein Video an, das ich nicht kannte.
Und das beschert mir einen beinahe nostalgischen Moment. Ist es doch seine Doku von Sarajevos erster Pride Parade im September 2019.
Ich war auch dort. Das erzähl ich euch nach dem Video. Ich bin in Srđans Video übrigens auch mehrfach kurz zu sehen.
Auch fünf Jahre nach dieser Demonstration lässt die Doku die Gefühle wiedererleben, die ich damals sowohl beobachtete wie teils selbst hatte.
Man wird selbst zum Teilnehmer
Srđan verzichtet hier, so weit es geht, bewusst auf Schnitte. Er gibt ungefiltert wieder, wie so eine Demonstration für einen Teilnehmer aussieht. Diese Unmittelbarkeit lässt einen selbst an den Ereignissen teilnehmen.
Man kann nachvollziehen, wie man in dieser Menge nach bekannten Gesichtern sucht, nach Freunden, nach Bekannten.
Wie, gerade bei der Sarajevo Pride 2019, der Blick nach oben wandert, in die Fenster der Wohnhäuser entlang der Route, manchmal auch auf die Dächer.
Irgendjemand unten hat irgendjemand oben winken gesehen. Ein Kleinkind. Eine ältere Frau. Ein älteres Paar. Junge Leute. Er oder sie schaut rauf, winkt zurück. Viele andere werden auf die Winker oben aufmerksam, schauen rauf, winken, rufen.
Der normale Teilnehmer kann so etwas in all dem Trubel kaum gleichzeitig verarbeiten. Das sickert erst später ein.
Das Video zeigt auch das Konzert von Damir Imamović vor dem bosnischen Parlament als Ende und Höhepunkt der Sarajevo Pride 2019.
Damir war damals schon Bosniens bekanntester Sevdah-Sänger und international anerkannt.
Wie ich die Pride erlebte
Vom Konzert hab ich leider nur mehr mitbekommen, dass Damir „Bella Ciao“ angestimmt hat.
Ich war auf dem Weg in mein nahegelegenes Stammlokal, die Galerija Boris Smoje, um so schnell wie möglich eine Reportage über die Sarajevo Pride zu veröffentlichen. Durchaus verbunden mit dem Anspruch, zumindest den ersten deutschsprachigen Bericht zu liefern.
Soweit mir bekannt ist mir das auch gelungen. Journalistischer Ehrgeiz und so.
Die Reportage könnt ihr hier nachlesen.
Ich bin bis heute stolz darauf.
Wie ich auf die Sarajevo Pride kam
Ich bin auch aus privaten Gründen stolz, dass ich auf der ersten Sarajevo Pride war.
Ich hab einige lesbische, schwule oder bisexuelle Freundinnen und Freunde in Sarajevo. Ich weiß, wie schwer sie es bis heute haben.
Eine dieser Freundinnen bat mich einige Wochen vor der Pride, ob ich nicht auch teilnehmen könnte.
Nicht nur aus persönlicher Solidarität. Das Kalkül dahinter war auch, dass ein internationaler Teilnehmer – oder realistisch gesehen jeder einzelne Teilnehmer mehr – ein Schutzschild für die sein würde, die für ihre Rechte auf die Straße gingen.
Homophobie wird im Großteil des ehemaligen Jugoslawien weitaus mehr akzeptiert als das bei uns der Fall ist. Gewalt gegen Homosexuelle kommt leider häufiger vor.
Eine Bekannte schilderte mir etwa, wie ein Security-Mitarbeiter an den Haaren aus einem Lokal gezogen hat, nachdem sie eine Frau geküsst hatte.
Vor der Pride hatten die Veranstalter zahlreiche Morddrohungen erhalten.
Rechte und religiöse Gruppen organisierten für den Vortag der geplanten Pride eine Gegendemo. In ihren sozialen Netzwerken mobilisierten manche dieser Gruppen Leute, die die Pride stören und möglicherweise Teilnehmer bedrohen oder körperlich angreifen sollten.
Außerdem fürchteten die, die sicher teilnehmen wollten, dass die Pride sehr klein ausfallen würde – und als Kleinveranstaltung umso mehr Ziel von Angriffen jeglicher Art.
Je mehr Teilnehmer, desto mehr würde das die potentiellen Angreifer abschrecken, so die berechtigte Überlegung.
Die Freundin, die mich bat, teilzunehmen, musste das nicht erklären. Jedem Beobachter war die Situation klar. Nach ihrer Nachricht überlegte ich keine Sekunde. Ich sagte zu.
Ich änderte damals sogar kurzfristig meine Urlaubspläne. Eigentlich hatte ich vorgehabt, die erste Septemberwoche an der kroatischen Küste zu verbringen.
Es gibt wichtigere Dinge im Leben als einen Strandurlaub. Freunden beistehen etwa.
Für mich war das etwas anderes als in Wien.
In Wien war ich nie auf einer Pride. Ich würde auch nicht hingehen. Die hatte damals schon ihren eigentlichen Sinn verloren. Umso mehr heute.
Eine Pride in Wien wie in den meisten westlichen Gesellschaften ist kommerzialisierter Lifestyle. Firmen wollen mit der sexuellen Orientierung von Menschen Geld verdienen oder ihr Image billig aufpolieren. Um etwas anderes geht es nicht mehr.
Am Balkan ist das bis heute anders. Da kämpfen Schwule und Lesben bis heute um ihre Grundrechte.
Siehe etwa dieses Interview von mir. Die Interviewte, Künstlerin Zoe Gudović, hab ich übrigens über eine gemeinsame Freundin auf der Sarajevo Pride 2019 kennengelernt.
Auch Zoe war angereist, um ihre Solidarität zu zeigen und mit ihrer Anwesenheit als eine Teilnehmerin für mehr Sicherheit zu sorgen.
Wie sich glücklicherweise zeigte, wäre das nicht notwendig gewesen.
Statt der im allerbesten Fall erhofften 700 Teilnehmer marschierten an dem Tag 2- bis 3.000 Menschen die Titova entlang, bis sie vor dem Parlament Zmaj od Bosne heißt.
Gut war’s trotzdem, dass wir da waren.
Daran hat mich Srđans Video auch erinnert.
Auf Srđans Youtube-Kanal könnt ihr übrigens etliche seiner Projekte über die vergangenen Jahre nachverfolgen, vor allem seine Projekte in Schulen und mit Schülern und Kurzfilme. Wer sich für zeitgenössische Kultur in Bosnien und für Kulturvermittlung interessiert, wird dort fündig.
Balkan Stories, Christoph Baumgarten

Christoph Baumgarten ist Journalist und Balkanreisender aus Leidenschaft. Seit 2015 verbindet er beide Leidenschaften auf seinem Blog Balkan Stories. Dort versucht er, Geschichten zu erzählen, für die es in größeren Medien meist keinen Platz gibt und stellt die Menschen in den Mittelpunkt.
Mehr von Christoph könnt ihr unter balkanstories.net nachlesen.
Folge uns auf Social Media!