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INTERVIEW

„Die EU ist nicht vollständig ohne die Staaten des Westbalkans“

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(FOTO: BKA/Hofer)

Während des „Europäischen Jahres der Jugend 2022“ fanden in ganz Europa zahlreiche Initiativen und Veranstaltungen statt, so auch in Österreich. Junge Menschen hatten die Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen und sich an politischen Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Da das Jahr der Jugend nun bald zu Ende geht, ist es nun an den Politikerinnen und Politikern, die Ideen der Jugend zu diskutieren und ihre Empfehlungen umzusetzen. In einem exklusiven Interview erzählen Europaministerin Karoline Edtstadler und Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm (beide ÖVP) mehr über die Westbalkan-Jugendkonferenz.

Dieses Jahr war aber nicht nur für die Jugend ein außergewöhnliches. Europa steht vor einer der schwierigsten Zeiten seit Jahrzehnten. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine und die COVID-Pandemie haben den Kontinent und das Leben der europäischen Bürger erschüttert. Die politische Arbeit konzentriert sich nun ganz auf die Bewältigung der Herausforderungen, die durch die jüngsten Ereignisse entstanden sind.

Zusammenhalt

Der russische Angriffskrieg in der Ukraine markierte einen Wendepunkt mit weitreichenden Folgen für unsere Gesellschaften, Volkswirtschaften und die EU. Er hat mehr denn je gezeigt, dass Europa nur stark ist, wenn es fest zusammenhält. Das gilt auch für die Partner auf dem Westbalkan.

Gerade angesichts der aktuellen Entwicklungen und der neuen Sicherheitslage ist es von größter Bedeutung, die westlichen Balkanpartner noch enger an die EU zu binden und den Integrationsprozess entschlossener voranzutreiben.

Angesichts der herausfordernden Situation ist es notwendig, über den Tellerrand zu schauen, den Erweiterungsprozess zu überdenken und neue Ansätze zu diskutieren. Wien wird mit dem Western Balkans Youth Summit die Gelegenheit dazu bieten – allerdings in einem besonderen Format: Die für EU-Angelegenheiten und die für die Jugend zuständigen politischen Vertreter der Westbalkan-Länder werden zusammenkommen und die Ideen und Wünsche der Jugend diskutieren.

Bei der österreichischen Abschlussveranstaltung des „Europäischen Jahres der Jugend“ werden die Teilnehmer des Westbalkan-Summits die Gelegenheit haben, sich mit hunderten österreichischen Jugendlichen auszutauschen.

Edtstadler und Plakolm im Interview

KOSMO: Was waren die Anliegen der Jugendlichen? Was sind die nächsten Schritte?

Edtstadler: Gerade vor dem Hintergrund des brutalen russischen Angriffskriegs in der Ukraine müssen wir die EU-Erweiterung als geostrategisches Instrument verstehen. Die EU ist nicht vollständig ohne die Staaten des Westbalkans. Mein Arbeitsbesuch am Westbalkan hat mir verdeutlicht, dass es die Innovationskraft der Jugend braucht, um notwendige Reformen in den Ländern für den Erweiterungsprozess voranzutreiben. Die Jugend hat große Hoffnungen, und strebt nach guten Ausbildungen und beruflichen Perspektiven. Und das ist im Moment auch einer der Hauptgrund, warum viele junge Menschen ihre Herkunftsländer verlassen.

Plakolm: Ich habe das Europäische Jahr der Jugend mit einem Besuch in der Europäischen Jugendhauptstadt 2022, Tirana, begonnen. Und so war es für mich irgendwie nur logisch, dass ich das Jahr der Jugend auch mit der Zukunft, nämlich dem Westbalkan, beenden möchte. Mit Karoline Edtstadler musste ich darüber natürlich nicht lange verhandeln, sie tickt da genauso wie ich. Es ist aus meiner Sicht einfach extrem wichtig, dass wir in allem die jungen Menschen am Westbalkan gleichberechtigt mitdenken. Deshalb setzen wir uns die kommenden Tage zusammen, um an einer gemeinsamen Zukunft zu feilen. Wir und der Westbalkan: Das ist eine Mannschaft – nur manchen fehlt halt noch die Spielerlizenz.

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„Die EU ist nicht vollständig ohne die Staaten des Westbalkans“, betont Europaministerin Karoline Edtstadler (FOTO: BKA/Hofer)

KOSMO: Welche Sorgen hat die Jugend?

Edtstadler: Generell in ganz Europa , beschäftigt uns natürlich das Thema Teuerung als oberstes Thema. Jugendliche sollen in der Europäischen Union, aber auch darüber hinaus, für die Idee „Europa“ offen sein. Es gibt viele Versprechungen die gemacht wurden, und jetzt eingehalten werden müssen. Demokratie, Menschenrechte und, Rechtsstaatlichkeit sind nichts, was auf jedem Baum wächst, sondern das sind die Pflanzen, die man auch jeden Tag pflegen muss. Wir müssen sicherstellen, dass die EU ihre Glaubwürdigkeit nicht verliert.

Plakolm: Der Krieg in der Ukraine ist neben der Teuerung eine der größten Sorgen der Jugend. Ganz einfach weil wir Jungen mit dem Versprechen aufgewachsen sind, dass es nie wieder Krieg in Europa geben wird. In der Situation müssen wir als Europa umso mehr zusammenrücken und da gehören die Staaten des Westbalkan ganz klar dazu. Ich habe das Gefühl, dass der Angriff auf die Ukraine zum Umdenken geführt hat. Bis dorthin wurde Österreich für sein hartnäckiges Eintreten für die Aufnahme des Westbalkans in die EU immer ein bisschen belächelt. Jetzt ist allen klar: Entweder wir kämpfen gemeinsam für unser gemeinsames, westliches Werteverständnis und System der Weltordnung oder wir überlassen es dem Faustrecht.

Was kann man unter „Working Group“ verstehen?

Edtstadler & Plakolm: Bei der Working Group selbst werden wir uns mit den Vertreterinnen und Vertretern der Regierungen in den Westbalkan Ländern austauschen, um vor allem mehr Perspektiven für junge Menschen in der Region zu schaffen. Studieren im Ausland ist, coronabedingt, von heute auf morgen nicht mehr in dieser Art und Weise möglich gewesen. Wichtig ist, dass es im Jugendprogramm Erasmus Plus auch die Möglichkeit für Mazedonien und Serbien, gibt bereits jetzt an diesem Programm teilzunehmen. Aber auch andere Jugendprogramme wie etwa, Discover EU, das jungen Menschen die Möglichkeit bietet, Europa zu bereisen, sollten für den Westbalkan möglich gemacht werden. In Albanien beispielsweise ist das noch nicht möglich.

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„Es ist aus extrem wichtig, dass wir in allem die jungen Menschen am Westbalkan gleichberechtigt mitdenken.“, so Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm (FOTO: BKA/Hofer)

Was macht die europäische Union für die serbische, bosnische, kosovarische, montenegrinische und nordmazedonische Jugend? Was ist das Ziel?

Plakolm: Ich bin enorm froh, dass wir es ausgerechnet in diesem Europäischen Jahr der Jugend geschafft haben, Beitrittsgespräche mit Albanien und Nordmazedonien zu starten. Es ist mehr als verdient. Denn gerade für die Jugend am Westbalkan ist es enorm wichtig, in ihren Heimatländern eine starke Zukunftsperspektive zu haben. Man muss sich das vorstellen: mehr als ein Drittel der jungen Menschen haben „einen sehr starken Wunsch“ auszuwandern – das ist verheerend! Wir müssen hier als Europäische Union aus meiner Sicht noch viel sorgfältiger damit sein, unsere gemachten Versprechen auch einzulösen! Wer die Bedingungen erfüllt, muss umgehend die nächsten Schritte im Beitrittsprozess machen und darf nicht im Vorzimmer auf das nächste gute Wetter warten müssen. Hier dürfen bilaterale Fragen absolut keine Rolle spielen, sonst verspielen wir als Wertegemeinschaft unsere Glaubwürdigkeit.

Edtstadler: Das Ziel ist es glaubwürdige Perspektiven zu geben, indem wir ihnen auch Partizipationsmöglichkeiten bieten. Selbst wenn wir beispielsweise sagen, es wird vielleicht noch einige Jahre dauern, dass die Westbalkan-Staaten die EU-Vollmitgliedschaft erreicht haben. Wir reden über deren Zukunft, und wir müssen sie mitreden lassen. Ich glaube, es ist wichtig, auch politisch ein Zeichen zu setzen und eine klare Botschaft zu vermitteln:’Wir wollen, dass ihr mitredet, weil es geht um euch, um eure Zukunft.‘ Und das ist genau das, was wir mit diesem Gipfel erreichen wollen.