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INTERVIEW

„Dodik und Izetbegović profitieren voneinander.“

Politik der Augenauswischerei?
Auf die Frage, ob das Revisionsvorhaben nicht ebenso das Land spalten würde, wie dies auch die separatistischen Bestrebungen von RS-Präsidenten Dodik tun, antwortete Džihić, dass Bosnien-Herzegowina de facto politisch gespalten sei und die Republika Srpska und Sarajevo eine in keinster Weise reibungslose Beziehung führen, sich die entgegengesetzten Seiten jedoch für ihre politisch bedingen würden. „Je stärker Dodik in Richtung Referendum drängt und Izetbegović sich auf die Beine stellt, desto mehr profitieren beide davon – eine Dichotomie, das Gute ist das Böse für die Anderen und umgekehrt.“

Indem sie das Thema der Vergangenheit auf die Tagesordnung setzten würden diese beiden Politiker es schaffen, davon abzulenken, dass sie nichts bewirken. „Die Lebenssituationen sowohl in der Republika Srpska als auch in der Föderation seien schlecht und Reformen gibt es gar keine oder verlaufen nur schleppend. Mit diesen Ablenkungen und ihrer Ethnopolitik schaffen sie es jedoch auch weiterhin auf Zuspruch innerhalb der eigenen ethnischen Gruppe zu stoßen.“

„Jede Seite hat ihre eigenen Wahrheit gepachtet!“

Die Schuldfrage an den zahlreichen Verbrechen, während des Jugoslawienkrieges ist etwas, was die Menschen und die Politik auch mehr als 20 Jahre später immer noch stark beschäftigt. „Insgesamt ist es nach jedem Krieg essentiell wichtig, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen“, so Dr. Vedran Džihić und fügte hinzu, dass es hierbei vor allem darum ginge, von der Kollektivschuld auf die Individualschuld zu kommen.

Seit den 90er Jahren hätte es jedoch keine großen Schritte im Bereich der Vergangenheitsbewältigung gegeben. Es würden immer noch Vorurteile und Mythen herrschen und die Schuldfrage ungeklärt sein. „Es scheint, als hätte jede Seite ihre eigene Wahrheit gepachtet und diese schreiben sich gegenseitig die Aggressorenrolle zu.“ Dieses Bild und diese Narrative würden durch die Politik, Bildung, das Elternhaus usw. weitergetragen werden.

„Konkret auf die Geschehnisse in Srebrenica von 1992 bis 1995 bezogen, gab es bereits zahlreiche Schuldsprüche im Kriegsverbrechertribunal von Den Haag, wo die Geschehnisse in Srebrenica offiziell als Völkermord bezeichnet wurden und zahlreiche Urteile fielen“, so der Universitätsprofessor. Jedoch gebe es nicht nur in Den Haag sondern auch in der Region Prozesse wegen Srebrenica, wie zum Beispiel in Belgrad.

Aus diesen individuellen Schuldsprüchen, welche klarerweise den ethnischen Gruppen zugeschrieben werden, gebe es jedoch keine Möglichkeit zu finanzieller Entschädigung für die Opfer. Genau diese Wiedergutmachungszahlungen seien allerdings der Grund für die Klage im Jahr 2007 gewesen, da sich Bosnien-Herzegowina im Falle einer Verurteilung Serbiens zur Mittäterschaft am Genozid in Srebrenica finanzielle Entschädigung erhoffte.

Wird Srebrenica zum kollektiven Trauma und identitätsstiftenden Mythos?
Kriegsverbrechen und insbesondere Völkermord sind traumatische Ereignisse, welche sich in die Gedächtnisse der Hinterbliebenen und der Mitglieder der betroffenen ethnischen Gruppe einprägen. „Auf der serbischen Seite gibt es teilweise eine Leugnung des Kriegsverbrechens in Srebrenica, bzw. Weigerung das komplette Ausmaß des Verbrechens trotz der Rechtssprüche anzunehmen. Gleichzeitig gibt es auf der bosniakischen Seite eine starke Tendenz zur Selbstviktimisierung, welche aus Srebrenica ein Narrativ bildet, wodurch aus der Völkermordfrage ein Instrument zur Stiftung der eigenen Identität gebildet wird“, erklärt Džihić.

Es handle sich hierbei um eine sehr schwierige Grandwanderung, da es den Völkermord ohne Zweifel gab, und diesem gedacht werden muss. Gleichzeitig tauchen immer wieder unterschiedliche Formen von Instrumentalisierung auf, was unter anderem daran liege, dass die Vergangenheit in der gesamten Region stark umstritten sei.