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Rechtslücke

Fall “Waltraud”: Kommt jetzt eine Flut an Geschlechtsumwandlungen und was sagt die Gesetzeslage dazu?

Mann mit Glatze
FOTO: iStock/Ranta Images

Ein Mann ändert seinen Geschlechtseintrag auf “weiblich” – und entfacht damit eine Debatte über Identitätsrechte, Systemgrenzen und mögliche Fehlanreize im österreichischen Recht.

Der Fall eines Mannes, der seinen Geschlechtseintrag in „weiblich” ändern ließ, wirft grundlegende Fragen zur Funktionsweise des österreichischen Rechtssystems auf. Die in Boulevardmedien kursierende Geschichte – teilweise unter dem Spitznamen „Waltraut” bekannt – deutet auf mögliche Motivationen wie früheren Pensionsanspruch oder Unterbringung in einem Frauengefängnis hin. Dieser Vorgang verdient eine differenzierte Betrachtung jenseits reiner Empörungsrhetorik – er berührt vielmehr die Grundfesten rechtlicher Logik, systemischer Schwachstellen und potenzieller Fehlanreize.

⇢ Waltraud” wurde zur Frau um Männerknast zu umgehen – und darf früher in Pension

Rechtliche Grundlagen

Die österreichische Rechtslage sieht vor, dass für eine Änderung des Geschlechtseintrags keine operative Geschlechtsangleichung zwingend erforderlich ist. Dennoch verlangt die gängige Rechtspraxis mehr als nur ein subjektives „Zugehörigkeitsempfinden” zum anderen Geschlecht. Gefordert werden eine erkennbare Angleichung des äußeren Erscheinungsbilds sowie ein Gutachten zur Bestätigung der Ernsthaftigkeit.

Der Verfassungsgerichtshof bekräftigte 2018 in seiner Entscheidung G 77/2018-9, dass das Recht auf individuelle Geschlechtsidentität – verankert im Artikel 8 der EMRK zum Schutz des Privatlebens – auch für staatliche Geschlechtszuordnungen bindend ist. Mittlerweile existieren in Österreich neben „männlich” und „weiblich” weitere Optionen wie „divers”, „inter” oder „offen”.

Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch klargestellt, dass eine vollständige Streichung des Geschlechtseintrags unzulässig ist – eine Eintragung im Personenstandsregister bleibt verpflichtend. Entgegen mancher Darstellungen gibt es in Wien keine offiziell anerkannten „72 Geschlechter” – diese Behauptung entspringt eher der Internetkultur als der Rechtsrealität. Aktuelle Gesetzesentwürfe streben eine Erweiterung auf sechs Optionen an: männlich, weiblich, divers, inter, offen und keine Angabe.

Systemische Herausforderungen

Unterstellt man dem Fall „Waltraut” – wie in manchen Medienberichten angedeutet – nicht ein authentisches Identitätsempfinden, sondern vielmehr eine systemkritische oder opportunistische Motivation, ergeben sich daraus weitreichende Herausforderungen: Zum einen entsteht ein Legitimationsdruck, wenn der Verdacht aufkommt, dass jemand das System austrickst. Sollte der Staat jeden Änderungswunsch ohne angemessene Prüfung akzeptieren, könnte dies zu verschärften Kontrollen führen – mit negativen Konsequenzen für tatsächlich trans- und nichtbinäre Personen.

Zum anderen stellt sich die Frage nach Fehlanreizen: Was geschähe, wenn zahlreiche Menschen aus strategischen statt identitätsbezogenen Gründen ihren Geschlechtseintrag ändern ließen? Dies berührt die Grenze zwischen legitimer Selbständigkeit und missbräuchlicher Nutzung rechtlicher Konstrukte.

Für trans- und nichtbinäre Menschen, die bereits mit komplexen Begutachtungsverfahren konfrontiert sind, könnte der Eindruck einer Systemausnutzung durch andere den gesellschaftlichen Rückhalt schwächen und Forderungen nach restriktiveren Maßnahmen verstärken. Der Fall könnte zudem als symbolpolitische Protestaktion interpretiert werden – als bewusste Konfrontation des öffentlich-rechtlichen Systems.

Denkfehler vermeiden

In der öffentlichen Debatte lassen sich zwei wesentliche Denkfehler identifizieren: Erstens der Fehlschluss, dass ein einzelner Fall – oder dessen Vermutung – bereits ein vollständiges Systemversagen bedeutet. Die bestehenden rechtlichen Hürden zeigen allenfalls punktuelle Schwachstellen auf, nicht jedoch eine fundamentale Dysfunktion.

Zweitens die Vermischung von authentischer Identität und kalkuliertem Vorgehen. Es existieren sowohl Menschen mit ernsthaften trans- oder nichtbinären Identitäten als auch solche, die das System provokatorisch herausfordern möchten. Eine pauschale Gleichsetzung wäre unfair und gefährlich für legitime Fälle.

Die zentrale Frage bleibt: Wie reagiert das österreichische System auf mögliche strategisch motivierte Geschlechtseintragsänderungen? Kann der Behördenapparat – von Personenstandsregistern über Gerichte bis zur Verwaltung – sich gegen taktische Akteure wappnen, ohne dabei jene zu benachteiligen, die aus existenziellen Gründen eine Geschlechtsanerkennung benötigen?

Droht eine Verschärfung der Verfahren oder ein schwindendes Vertrauen in das bestehende System?