Start Aktuelle Ausgabe
REPORTAGE

Freilernen statt Schulunterricht: Wir trafen Familie Siakkos

Karin: „Wenn Kindern lernen, dass sie kein Mitspracherecht haben und nicht entscheiden können, verlieren sie langsam das Verantwortungsgefühl.” (FOTO: zVg.)

Sozialisierung
Die größte Angst, die Eltern haben, die das Freilernen in Erwägung ziehen, ist, dass ihre Kinder von der Gesellschaft ausgeschlossen sein konnten. Laut Karin ist das das Vorurteil Nummer eins: „Das große Missverständnis ist, dass man in einer Blase aufwächst, wenn man nicht in die Schule geht. Man glaubt, dass diese ’Blase’ nicht der Realität entspricht. Es ist aber genau das Gegenteil der Fall. Unsere Kinder sind mitten im Leben, die sind immer mit dabei. Die reisen viel, machen bei Workshops mit, sie arbeiten auf der Baustelle oder im Garten mit und haben wirklich ’life skills’ bzw. Überlebensfähigkeiten, die für sie als Menschen notwendig sind. Und das sind alles die Dinge, die im Schulsystem völlig ausfallen. Ein Mensch braucht andere Menschen von seiner Natur her. Das ist ganz klar – wir sind soziale Wesen. Aber – es ist ein riesiges Missverständnis der Schule, dass die Kinder nur gleichaltrige brauchen. Kinder brauchen auch andere Menschen, egal, wie alt sie sind. Und je unterschiedlicher Alter und Hintergrund, desto besser. Je mehr sie dem wirklichen Leben ausgesetzt sind, mit all seiner Buntheit und Problematik, desto besser. Ich glaube, dass, wenn ein Kind mit 12 oder 14 Jahren in der Schule mit vorrangig seinen Gleichaltrigen eingesperrt ist, das eine Blase ist und niemals das echte Leben darstellt. Aus 14 Jahren Erfahrung kann ich sagen, dass soziales Lernen in der Schule leider nicht stattfindet. Es ist eher Ellbogentechnik und ich schaue, dass ich überlebe und was mit meinen Nachbarn passiert, ist mir ziemlich egal. Ich bin froh, wenn die anderen den Fünfer nach Hause bringen und nicht ich. Und das ist kein soziales Lernen. In der Schule gibt es auch keine Demokratie. Schüler haben nicht die gleichen Rechte wie die Lehrer. Von daher finde ich, dass das soziale Lernen eher in der Familie stattfindet. Auch, wenn es zu romantisch oder naiv klingen mag, finde ich, dass der Wert Familie etwas ist, was die Grundlage jeder Zivilisation ist. Eine intakte Familie ist alles, was eine Kind für die Sozialisation zumindest für die ersten acht bis elf Jahre braucht und darüber hinaus sind Freunde und soziale Kontakte natürlich wichtig, aber das heißt nicht, dass ich nur Freunde in meiner Alter haben darf. Außerdem stellt sich auch die Frage, wie viel Zeit bleibt überhaupt den Kindern für die Sozialisation in der Schule? Die Tendenz ist, dass die Unterrichtseinheiten immer länger werden, Hausaufgaben immer zeitaufwendiger sind und den Kindern weniger Freizeit zur Verfügung bleibt, die selbstbestimmt gefüllt werden darf. In der fünfminutigen Pause in der Schule, wo Jause gegessen oder aufs Handy geschaut wird, glaube ich nicht, dass sich die Kinder austauschen können.”

„In der fünfminutigen Pause in der Schule, wo Jause gegessen oder aufs Handy geschaut wird, kann keine ordentliche sozialisation stattfinden.”

Bewusst entscheiden
Während wir mit Karin sprechen, scheint es so, als ob das Freilernen nur auf dem Land möglich wäre, wo Kinder genug Platz und Möglichkeiten haben, das „echte” Leben zu erfahren. „Selbstbestimmte Bildung funktioniert immer und überall. In Wien gibt es hunderttausend Angebote für Kinder. Die Lebensqualität am Land ist ganz sicher anders als in der Stadt, aber da muss man die Entscheidung für sich selbst treffen, was einem lieber ist. Was zählt, ist der Wille, mein Kind achtsam, liebevoll und mit Vertrauen zu belgeiten. Ob ich jetzt ein Bauer oder UniProfessor bin, ist nebensächlich. Ich muss gemeinsam mit meinem Kind offen und neugierig sein und dieses Vertrauen in das Leben, in den Prozess, in das Kind selbst und auch in mich haben. Natürlich ist es wichtig, dass man über alle Möglichkeiten informiert wird, weil nur dann kann man eine bewusste Entscheidung treffen. Wenn man sich nicht informiert, beugt man sich dem, was einem von außen auferlegt wurde. Ich glaube es ist wichtig, dass man sich als Eltern zusammen mit der Familie bewusst für einen Bildungsweg entscheidet.”

„Was zählt, ist der Wille, mein Kind achtsam, liebevoll und mit Vertrauen zu belgeiten.”

Wer sich für Freilernen interessiert, kann die Webseite von der Familie Siakkos besuchen:www.mitanandahof.com